Görlach Global: Nordkoreas gefährliches Spiel
22. Oktober 2024Nordkoreas Steinzeit-Diktator Kim Jong-un hat in den vergangenen Wochen und Monaten das Verhältnis zum Süden der Halbinsel massiv verschlechtert, Friedenspläne als Langzeitziel auf Eis gelegt und Straßen nach Südkorea sprengen lassen. Die Staatspropaganda klingt nach Russland und China: Die USA seien schuld an Pjöngjangs zunehmend kriegsbereiter Rhetorik, man wehre sich nur gegen den "imperialistischen Feind".
Doch das Gegenteil ist der wahr: Kim Jong-un hat seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine begonnen, Russland und China gegeneinander auszuspielen. Dadurch will er Nordkoreas Stellung auf der Halbinsel und in den internationalen Beziehungen verbessern. Sowohl Peking als auch Moskau sollten deshalb alarmiert sein.
Aktuell scheint Kim Jong-un mehr in Richtung Russlandzu tendieren, was die Bereitstellung nordkoreanischer Soldaten für die Front in der Ukraine nahelegt. In Reaktion darauf hat Seoul den russischen Botschafter einbestellt und gefordert, dass die Truppen aus Pjöngjang Russland verlassen. Es ist jedoch zu erwarten, dass Moskau dem nicht nachkommen wird. Südkorea muss also davon ausgehen, dass nicht nur China und Nordkorea, sondern auch Putins Russland ein Interesse an Konflikten hat, die dem freien, demokratischen und wohlhabenden Land schaden könnten.
China als Verlierer
Verlierer der aktuellen Situation auf der Achse der Diktaturen, die von Moskau über Peking nach Pjöngjang und Teheran reicht, ist die Volksrepublik China. Diktator Xi Jinping setzt alles auf diese gefährliche Allianz, die er selbst mitgeschmiedet hat. Er hofft, durch eine Schwächung der gemeinsamen Feinde, also der freiheitlich-demokratischen Welt, Vorteile zu erzielen, ohne dabei selbst Schaden zu nehmen. Doch diese Rechnung könnte mit einem unberechenbaren Kim Jong-un nicht mehr aufgehen. Wenn Nordkorea weiterhin den Süden provoziert und es zu einer militärischen Eskalation kommt, müsste China sich positionieren und könnte sich nicht wie gewohnt neutral verhalten.
Kims Agenda ist schwer durchschaubar. Eigentlich könnte seine Diktatur mit der Fähigkeit, Langstreckenraketen einzusetzen, zufrieden sein, die jedes Ziel in den USA erreichen können. Das gibt ihm einen gewissen Schutz vor amerikanischen Angriffen und sichert die Herrschaft seiner Clique. Nichts fürchtet Kim mehr als einen Regimewechsel, und das dürfte der Hauptgrund sein, warum er mit Xi und Putin verbunden ist. Die aufgeheizte Stimmung auf der koreanischen Halbinsel nutzt er dazu, die eigenen Reihen hinter ihm zu schließen.
Verschiebung globaler Macht als Ziel
Die Regierung Südkoreashat aufgrund der veränderten geopolitischen Lage Überlegungen publik gemacht, nukleare Sprengköpfe im freien Teil des Landes zu positionieren, um gewappnet zu sein, sollte Nordkoreas Nuklearprogramm mit der Hilfe Russlands und/oder Chinas zum Erfolg gelangen. Südkoreanische Atomsprengköpfe sollen Pjöngjang entsprechend abschrecken und vom Kriegstreiben abhalten.
Am Ende geht es bei der jetzigen Eskalation nur vordergründig um gesprengte Straßen: Es geht eigentlich um die Möglichkeit einer Verschiebung einer globalen Machtstruktur und davon möchte Pjöngjang profitieren. Kim Jung-un spielt ein gefährliches Spiel, das jederzeit eskalieren kann, sollte sich der Steinzeit-Diktator verkalkulieren. Peking hat seine eigenen Interessen eng mit denen Nordkoreas verknüpft, in der Annahme, militärisch und ökonomisch stets überlegen zu bleiben. Jetzt muss China jedoch mitansehen, wie Russland die Verhältnisse in seinem "Hinterhof" beeinflusst. Die "no limits"-Freundschaft zwischen Putin und Xi steht somit auch auf dem Spiel.
Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Adjunct Professor an der Gallatin School der New York University, wo er Demokratietheorie unterrichtet. Nach Aufenthalten in Taiwan und Hongkong wurde diese Weltregion, besonders der Aufstieg Chinas und was er für die Demokratien in Asien bedeutet, zu seinem Kernthema. Er hatte verschiedene Positionen an der Harvard Universität und den Universitäten von Cambridge und Oxford inne. Alexander Görlach lebt in New York und in Berlin.