1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Benedikt und Marx - Rücktritt aus identischem Motiv?

Alexander Görlach
9. Juni 2021

Die Rücktrittsbitte des Münchner Kardinals Marx hat auch Katholiken außerhalb Deutschlands aufgeschreckt. Denn Marx gilt als Verbündeter für die Reformabsichten von Papst Franziskus, meint Alexander Görlach.

Zitatkarte Alexander Görlach
Bild: DW

Das Rücktrittsgesuch des Münchener Erzbischofs Kardinal Marx hat nicht nur Auswirkungen auf die katholische Kirche in Deutschland, sondern auch auf die Weltkirche. Denn Kardinal Marx war bis zum vergangenen Jahr nicht nur der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, sondern er gehört bis heute auch dem wichtigen Kardinalsrat K9 an - einem Gremium, das anfangs nur aus neun der weltweit etwas mehr als 200 lebenden Kardinäle bestand. Papst Franziskus hat diesen Rat 2013 aus der Taufe gehoben mit dem einzigen Ziel, ihn bei der Reform der Kurie - also der Leitung der Weltkirche - zu unterstützen.

Diese Reform ist dringend nötig - nicht nur, aber doch in erheblichem Maße - wegen der Strukturen in der Kirche, die den Missbrauchsskandal möglich gemacht haben. Auf ausnahmslos allen Kontinenten haben sich in den vergangenen Jahrzehnten Priester an Kindern vergangen. Die Kirchenhierarchie - also die Bischöfe vor Ort, aber auch in Rom - hat dieses diabolische Treiben durch Untätigkeit und Wegschauen begünstigt und am Leben gehalten. So wurden straffällig gewordene Priester einfach nur in andere Gemeinden versetzt, wo sie weiterhin Kinder missbrauchten. Aufgrund dieser Schuld ist die Kirche heute moralisch bankrott. Nicht umsonst schreibt Kardinal Marx an den Papst, dass die Kirche an einem "toten Punkt" angekommen sei.

Nur heilige Männer

Die Frustration von Kardinal Marx lässt sich erahnen, wenn man sieht, wie sehr sich genau jene mit Händen und Füßen gegen jede Art der Reform wehren, die die größte Schuld am gegenwärtigen Untergang der Kirche tragen: jene ultra-orthodoxen Katholiken, für die Priester heilige Männer sind, für die die Kirche super-heilig ist und gar keine Fehler machen kann. In ihrer Kirche gibt es keine Sünde. Und wenn jemand sündigt, dann "nur", weil der Teufel sein Spiel treibt.

Kardinal Reinhard Marx zählt zum Führungszirkel von Papst Franziskus, den er installiert hat, um Reformen durchzusetzenBild: Reuters/CTV

Diese Über-Spiritualisierung ist es, die letztlich viele Männer für den Priesterberuf anzieht, die als Persönlichkeiten und sexuell nicht gefestigt sind und in normalen Berufen und Partnerschaften gar nicht bestehen könnten. Oder sie fangen zwar noch halbwegs normal an, werden dann aber so krass als engelsgleiche Wesen auf das Podest der Reinheit gestellt, dass sie am Ende geradezu zwangsläufig unter dieser Erwartungslast kollabieren.

Dass die kirchliche Sicht auf den Menschen und seine Sexualität ungesund und falsch ist, haben die Gläubigen längst begriffen. Seit den 1950er-Jahren leeren sich deshalb die Kirchen in der aufgeklärten Welt von Neuseeland bis Kanada. Auch "katholische Bastionen” wie Irland, Spanien, Italien oder Polen bilden hier schon längst keine Ausnahmen mehr.

Papst ohne Hausmacht

Dass auch ein Papst allein die Kirche nicht grundlegend reformieren kann, zeigt sich am Schicksal von gleich zwei Nachfolgern des heiligen Petrus: In Rom hält sich hartnäckig das Gerücht, dass der Rücktritt Benedikt XVI. im Jahr 2013 darauf zurückginge, dass er festgestellt habe, wie wenig Einfluss er auf die korrumpierte Kurie habe. Zustände wie zu Luthers Zeiten, aber vielleicht auch noch schlimmer.

Bei ihre Weihe legen sich Priesteramtskandidaten flach auf den Boden als Zeichen ihrer Demut gegenüber GottBild: picture-alliance/P. Deliss

Franziskus wiederum hat weder die theologische Tiefe, noch die Hausmacht, um diese Strukturen konsequent anzugehen und auszurotten. All seine Versuche, Reformen anzustoßen - sei es in Sachen priesterlicher Zölibat oder in Sachen Sexuallehre - wurden von den Hardlinern in Rom abgeblockt. Die sitzen auf wichtigen Posten, auf die sie Benedikt und sein Vorgänger Johannes Paul II. in der Vergangenheit mit dem ausdrücklichen Wunsch gesetzt haben, eine Liberalisierung der Kirche zu verhindern. Der mittlerweile zum Heiligen erhobene Johannes Paul II. war übrigens ein Freund des mexikanischen Ordensgründers der "Legionäre Christi", Marcial Maciel, der sich an unzähligen Schülern und Seminaristen vergangen, gleichzeitig aber auch Kinder mit Frauen in mindestens drei Ländern gezeugt hat.

Lehnt Papst Franziskus ab?

Die Rücktrittsbitte von Kardinal Marx schlägt deshalb auch in der italienischen und der spanischsprachigen Presse Wellen. Denn die liberalen Katholiken, von denen immer mehr ihrer Kirche den Rücken kehren, haben von ihm und dem Kardinalsrat K-9 mutige Reformen erhofft. Dabei verlangen liberale Katholiken ja nicht eine grundlegende Änderung der Glaubenslehre, sondern vor allem das Ende einer scheinheiligen Sexualmoral, an die sich der Klerus selbst am allerwenigsten hält.

Papst Franziskus hat nun natürlich die Möglichkeit, das Rücktrittsgesuch des Münchener Erzbischofs abzulehnen. Das wäre zwar eine gute Geste - aber eine ohne Konsequenzen.

Nicht nur in Deutschland ist nun die Stunde der Gläubigen gekommen, ihre Kirche zu retten. Sie zu verteidigen gegen die korrupte Kurie - und gegen Bischöfe wie den Kölner Kardinal Woelki, der sich weigert, zurückzutreten. Und wenn der gute Teil des Episkopats in Deutschland Mut und Verstand hat, dann stützt er Kardinal Marx und versagt dem Vatikan fortan den "Peterspfennig", also jene lebensnotwendigen Zuwendungen aus dem reichen Deutschland, welche die römische Kurie braucht, um ihren farbenprächtigen Lebensstil zu finanzieren.

Papst Benedikt XVI. und Kardinal Reinhard Marx - noch vor beider Rücktritt im Jahr 2011Bild: Stefano Spaziani/picture alliance

Schlaflose Nächte

Am Abgrund, an dem die Kirche heute steht, treffen sich also so unterschiedliche Persönlichkeiten und theologische Schwergewichte, wie Joseph Ratzinger und Reinhard Marx: Der eine war einmal, der andere ist noch der amtierende Erzbischof von München und Freising. Der eine war selbst Papst, der andere einer der engsten Berater des gegenwärtigen Papstes. Beide geben ihr Amt auf und treten zurück, weil die Brutalität der kirchlichen Missbrauchsverbrechen sie nachts nicht mehr schlafen lässt. Wie heißt es im Matthäus-Evangelium, Kapitel 13, Vers 9? "Wer Ohren hat, der höre.”

 

Alexander Görlach ist Senior Fellow des Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Senior Research Associate an der Universität Cambridge am Institut für Religion und Internationale Studien. Der promovierte Linguist und Theologe war zudem in den Jahren 2014-2017 Fellow und Visiting Scholar an der Harvard Universität, sowie 2017-2018 als Gastscholar an der National Taiwan University und der City University of Hong Kong.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen