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PolitikTaiwan

Taiwan, China und die Mär vom Separatismus

Alexander Görlach - Carnegie Council for Ethics in International Affairs
Alexander Görlach
14. Januar 2024

Ist Taiwans neuer Präsident Lai wirklich ein "gefährlicher Separatist", wie man in Peking poltert? Weit gefehlt. Ein Blick in die lange Besiedlungsgeschichte der Insel zeichnet ein anderes Bild, meint Alexander Görlach.

Blick auf Taiwans Hauptstadt Taipeh: Vier Kennzeichen eines NationalstaatsBild: Valeria Mongelli/Anadolu/picture alliance

Chinas Reaktion auf den Ausgang der Präsidentenwahl in Taiwan hat nicht lange auf sich warten lassen: Die totalitäre Volksrepublik keilt heftig in Richtung des Inselstaates und wiederholt ihr Mantra, dass die Insel mit dem Festland "wiedervereinigt" werden müsse. Dabei verschweigt Peking wie üblich, dass Taiwan niemals ein Teil des kommunistischen Chinas war.

Wahlgewinner Lai Ching-te wird entsprechend als "Separatist" geschmäht, der die "Unabhängigkeit" der Insel wolle. Auch das ist falsch, denn die Demokratische Fortschrittspartei, der Lai angehört, betont ihrerseits Mantra-artig, dass Taiwan bereits seit 1912 ein unabhängiger Staat ist. Die "Republik China", wie Taiwan mit vollem Namen heißt, müsse sich also von niemand unabhängig machen.

Diese Haltung teilt das außenpolitische Komitee des britischen Parlamentes: Die Abgeordneten in London gaben in einem Bericht im August zu verstehen, dass Taiwan in der Tat über alle Marker eines Nationalstaats verfüge: Territorium, Staatsvolk, eine funktionierende Regierung und die Fähigkeit, außenpolitische Beziehungen zu knüpfen und zu erhalten.

Wahlsieger Lai: Als "Separatist" geschmähtBild: Ann Wang/REUTERS

Die Volksrepublik scheint dies auch so zu sehen. Denn nur so erklärt sich, warum China mit viel Geld und Einflussnahme versucht, die wenigen Staaten mit vollen diplomatischen Beziehungen zu Taiwan auf seine Seite zu ziehen und zu einer diplomatischen Rochade zu animieren. Sobald Taiwan die Anerkennung dieser 13 Länder verloren hätte, würde eines der vier Kennzeichen eines Nationalstaats erlöschen. Peking könnte dann jede Bestrebung Taiwans, Beziehungen zu anderen Nationen aufzunehmen und zu unterhalten, in einen "Separatismus"-Versuch umdeklarieren - ein guter Vorwand für einen militärischen Angriff auf die Insel.

In der Tat gibt es in Taiwan Unabhängigkeitsbestrebungen. Allerdings geht es dabei nicht um eine Unabhängigkeit von der Volksrepublik. Denn diese sahen im nun vergangenen Wahlkampf alle drei Kandidaten für das höchste Amt im Staat ja bereits als gegeben an.

Taiwans jahrtausendealte Geschichte

Wenn auf Taiwan von Unabhängigkeit die Rede ist, dann geht es um die Unabhängigkeit von der "Republik China". An diesen Staat fiel nach Ende des Zweiten Weltkriegs die Insel Taiwan, die zuvor eine japanische Kolonie war. Der Anführer der nationalistischen Kuomintang, Chiang Kai-shek, war den Truppen Mao Tsetung im chinesischen Bürgerkrieg unterlegen und floh in den Jahren 1947 bis 1949 mit zwei Millionen Getreuen auf die Insel. Von dort aus plante Chiang die Rückeroberung des Festlands, aus der bekanntlich nie etwas wurde.

Allerdings war Taiwan im Jahr 1947 keine unbesiedelte Insel. Ganz im Gegenteil: In den Bergen, die rund zwei Drittel der Inseltopografie ausmachen, leben seit rund 6000 Jahren insgesamt 16 einheimische Stämme. Sie gingen von Taiwan in die weite Welt hinaus. Bis nach Neuseeland gelangten Emigranten von Taiwan - lange, bevor die chinesische oder christliche Zeitrechnung begann.

Angehörige dieser einheimischen Stämme haben heute im demokratischen Taiwan volle autonome Rechte - ganz anders, als unter der Herrschaft von Chiang und seiner Kuomintang, die noch heute zur Wahl antreten. Alle anderen Inselbewohner - ob Portugiesen, Spanier, Holländer oder Festlandchinesen - waren ursprünglich Eroberer und Kolonialherren, die sich genommen haben, was ihnen nicht gehörte.

Indigenes Selbstbewusstsein

Die Möglichkeiten, das genetische Erbgut auf ihren Ursprung erkunden zu lassen, wird in Taiwan oft genutzt. Dies führt seit einigen Jahren dazu, dass mehr und mehr Taiwaner herausfinden, dass sie einheimische, indigene Wurzeln haben - und nicht, wie von Chiang immer behauptet, zu 100 Prozent Chinesen seien.

In dem Maße wie das Bewusstsein für dieses eigene, taiwanesische Erbe wächst, fremdeln immer mehr Menschen mit der "Republik China", deren Militär auf die Insel kam und die Einheimischen überrollte und über vier Jahrzehnte in einer Militärdiktatur knebelte. Tausende Menschen starben unter Chiang Kai-shek Knute in Lagern.

In Pekings Fadenkreuz: Taiwans bedrohte Inseln

06:21

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Die Unabhängigkeit von der "Republik China" ist also gemeint, wenn in der Demokratischen Fortschrittspartei von einigen von einer Unabhängigkeit gesprochen wird. Es ist nicht die Unabhängigkeit von der Volksrepublik China! Peking versteht dies allerdings nicht aus Unkenntnis miss. Ganz im Gegenteil.

Die Angehörigen der einheimischen 16 Stämme weisen völlig zurecht darauf hin, dass sie seit Jahrtausenden auf Taiwan leben und die Insel Taiwan mitnichten ein Teil von etwas anderem sei, sondern, wie man im neuzeitlicher Terminologie sagt, eine Nation in ihrem eigenen Recht. Sie zeigen damit einmal mehr, dass es keinen Anspruch der Kommunistischen Volksrepublik auf die Insel Taiwan gibt.

Die Volksrepublik gibt sich heftig Mühe, diesen Umstand zu verschleiern. Selbst der entschlossenste Partner der Inselnation Taiwan, die Vereinigten Staaten von Amerika, blendet diese Realität aus. Es ist seit über vier Jahrzehnten die Politik der USA, die "Republik China" vor einer feindlichen Übernahme durch das Kommunistische China zu schützen. Präsident Joe Biden hat mehrfach betont, der Insel militärisch zu Hilfe zu eilen, sollte Chinas Präsident Xi Jinping angreifen lassen.

Eine Unabhängigkeit von dieser "Republik China" darf es aus der Sicht Washingtons nicht geben. Und auch aus Sicht der taiwanischen Regierung nicht, denn dann würde die Insel den Schutz der USA verlieren. Und das will keiner der politischen Akteure im Land.

Deshalb hat die Demokratische Fortschrittspartei betont, dass man keine Staatsneugründung anstrebe, sondern den Status Quo erhalten wolle. Diese Haltung teilt die große Mehrheit der Menschen auf der Insel. Und sehen sich, so zeigen alle Umfragen der vergangenen Jahre, in überwältigender Zahl als Taiwaner und nicht etwa als Chinesen.

Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Adjunct Professor an der Gallatin School der New York University, wo er Demokratietheorie unterrichtet. Nach Aufenthalten in Taiwan und Hongkong wurde diese Weltregion, besonders der Aufstieg Chinas und was er für die Demokratien in Asien bedeutet, zu seinem Kernthema. Er hatte verschiedene Positionen an der Harvard Universität und den Universitäten von Cambridge und Oxford inne. Alexander Görlach lebt in New York und in Berlin.

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