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PolitikAsien

Was Indiens nationalistischer Kurs auf Dauer bewirkt

Alexander Görlach
31. Januar 2023

Indien gilt als die größte Demokratie der Welt. Und doch ähnelt das Land in manchem sehr seinem Rivalen China oder Autokratien wie Russland und der Türkei. Auf Dauer schadet das dem Land, meint Alexander Görlach.

Narendra Modi mit einem Turban in den indischen Landesfarben und gefalteten Händen vor dem Kopf
Indiens Premierminister Narendra Modi ist ein glühender Hindi-NationalistBild: Adnan Abidi/REUTERS

Die Kontroverse um die BBC-Dokumentation über den indischen Regierungschef Narendra Modi lenkt den Blick auf ein Land, das schon seit Jahren in Richtung Autokratie taumelt. Dabei zeigt die größte Demokratie der Welt dieselbe Anfälligkeit für das Wirken eines auftrittsstarken Populisten, wie andere große demokratische Nationen: Brasilien, die Philippinen und die Vereinigten Staaten von Amerika. Die Dokumentation thematisiert eine Phase von Pogromen gegen die Minderheit der Muslime im Jahr 2002, als Modi noch Gouverneur der Provinz Gujarat war.

Narendra Modi glaubt, wie auch Chinas Machthaber Xi Jinping und Russlands Herrscher Wladimir Putin, dazu berufen zu sein, sein Land zu der Größe zu führen, die ihm von der Geschichte vorherbestimmt sei. Für Modi bedeutet diese Vision ein hinduistisches Indien, in dem Angehörige anderer Religionen nur als Menschen zweiter Klasse betrachtet werden. Die Dokumentation zeigt ihn in traditionellem Ornat, mit erhobenen, rituell verzierten und geschmückten Händen, laut hinduistische Gebete singend. So sieht kein Führer eines säkularen, demokratischen Rechtsstaats aus.

Indien - entscheidendes Bollwerk gegen China

Die Reportage kommt für Narendra Modi zur Unzeit, bemühen sich doch vor allem die Vereinigten Staaten derzeit um die Gunst Indiens. Denn im Kampf gegen das totalitäre China Xi Jinpings stellt der indische Subkontinent im Kalkül Washingtons ein entscheidendes Bollwerk dar. Gemeinsam mit Australien und Japan sind beide Staaten bereits in der auch als "Quad" bezeichneten Vierergruppe verbunden. Es geht vor allem um militärische Zusammenarbeit. Überhaupt ist die Idee, neben dem atlantischen und pazifischen auch über einen indo-pazifisches Bündnis nachzudenken, eine eher neue Idee, der sich die Administration von US-Präsident Joe Biden verschrieben hat.

DW-Kolumnist Alexander GörlachBild: Hong Kiu Cheng

Für Indien, das voraussichtlich in den kommenden drei Monaten die Volksrepublik als bevölkerungsreichstes Land der Erde ablösen wird, verschaffte dieses Interesse bisher einen großen Sympathiebonus. Die BBC-Dokumentation, die inzwischen in Indien verboten wurde und dadurch erst recht das Interesse der Menschen dort geweckt hat, könnte dem einen Dämpfer verpassen. So wie mit den Enthüllungen zu den Konzentrationslagern, die Xi Jinping für die ethnische Minderheit der Uiguren in der Provinz Xinjiang hat errichten lassen, eine Kehrtwende in der weltweiten Wahrnehmung der Volksrepublik unter Xi begonnen hat. In Xinjiang soll mindestens eine Million Menschen in Lagern drangsaliert und gefoltert werden. In Indien geht es um rund 200 Millionen Menschen, denen Modi schlicht ihre Daseinsberechtigung in Indien abgesprochen hat.

Der indische Sympathiebonus lief wahrscheinlich auch deshalb jetzt sehr plötzlich aus, weil Delhi die Amerikaner und ihre Partner seit dem Beginn der russischen Invasion in die Ukraine hat hängen lassen: Modi hat sich nicht eindeutig gegen Moskau positioniert, sondern vielmehr - wie Erzrivale Xi auch - von zusätzlichen Gas- und Öl-Lieferungen aus Russland zu Dumpingpreisen profitiert. Würde Indien wenigstens an dieser Stelle umdenken, könnte das für den Moment von den Enthüllungen der BBC-Dokumentation ablenken.

Strategische Ambiguität als Kennzeichen autoritärer Regime?

Narendra Modi versucht - wie auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan - sein Land als unabhängige Größe im internationalen Kräftespiel zu positionieren. Erdogan unterhält nach wie vor Beziehungen zu Moskau und Kiew, kauft einerseits Waffen in Russland und verkauft andererseits Waffen an die Ukraine. Ankaras Spiel bereitet den NATO-Partnern Kopfzerbrechen. Eine Politik strategischer Ambiguität scheint, anders als in der Vergangenheit, heute zum Kennzeichen von autoritären Regimen zu werden. Denn Erdogan hat, wie auch Modi in Indien, die Demokratie in seinem Land untergraben und ausgehöhlt, Medien und Zivilgesellschaft gleichgeschaltet und unter seine Kontrolle gebracht. 

Wenn man, wie die Türkei, selbst eine rein interessengeleitete Politik betreibt, hat man nicht mehr genug moralische Autorität, um gegen die Verfolgung religiöser Minderheiten in Xinjiang oder Indien zu protestieren. Denn Allianzen - das macht der Ukraine-Krieg genauso deutlich wie Chinas zunehmend aggressives Säbelrasseln - werden künftig mehr von geteilten Werten getragen und weniger von der Maximierung eigener Interessen.

Und die Menschen in Indien werden sich spätestens bei der nächsten Wahl im Frühjahr 2024 entscheiden müssen, ob sie Narendra Modi erlauben den nationalistischen Kurs weiter zu verfolgen, der das Land im Ergebnis von seinen demokratischen Partnern entfremdet, oder ob sie eine Kehrtwende verlangen. 

 

Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Research Associate am Internet Institut der Universität Oxford. Nach Aufenthalten in Taiwan und Hongkong wurde diese Weltregion, besonders der Aufstieg Chinas und was er für die freie Welt bedeutet, zu seinem Kernthema. Er hatte verschiedene Positionen an der Harvard Universität und der Universität von Cambridge inne.

 

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