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Politik

"Wir gegen die" und der Terror als Konsequenz

Alexander Görlach
20. März 2019

Alle Menschen sind gleich an Würde - unabhängig von ihrer Herkunft, Rasse oder Religion. Es ist erschreckend, wenn dies in immer mehr Regionen der Welt wieder in Frage gestellt wird, meint Alexander Görlach.

Zitattafel Alexander Görlach

Die hässliche Saat der Illiberalen ist wieder aufgegangen: In Christchurch, Neuseeland, wurden 50 Menschen Opfer der menschenverachtenden Ideologie, die Rasse und Blut an die Stelle von Menschenrechten und Staatsbürgerschaft setzen. Diese Ideologie, deren Anhänger mit der US-amerikanischen Wortschöpfung "white supremacist" benannt werden, ist Konsequenz aus einer Weltanschauung, die immerzu von "uns" und "denen" spricht, und dabei dem Eigenen einen höheren Wert zuschreibt als dem Fremden.

Diese Zusammenfassung klingt trivial angesichts des Massakers, das der Attentäter angerichtet hat. Letzten Endes kann aber aus einem konsequent zu Ende gedachten "Wir sind besser als die" nichts anderes herauskommen, als dass man meint, auf der Menschenwürde der Anderen herumtrampeln, sie rechtlich und sozial schlechter zu behandeln und sie dann in letzter Konsequenz auch töten zu können.

"Wir gegen die" als politischer Markenkern

Die politischen Bewegungen, die das "Wir gegen die" zu ihrem Markenkern gemacht haben, finden sich überall: Im China Xi Jingpings wird der Han-Chinese nebst Konfuzianismus gegen die 55 weiteren Ethnien des Landes in Stellung gebracht. In Indien regiert mit Narendra Modi ein Hindu-Nationalist das Land, der die 200 Millionen Muslime, die in der größten Demokratie der Welt leben, eher als Parasiten denn als Mitmenschen und Mitbürger auffasst. In Russland sind angeblich die Homosexuellen Schuld an der wirtschaftlichen Misere und in der Türkei sind es alle jene, die für Präsident Erdogan nicht auf der richtigen Seite stehen. Und auch Israel ist unter Benjamin Netanjahu zu einem Schrecken geworden.

Die Al Noor-Moschee von Christchurch, in der mehr als 40 Menschen während des Freitagsgebets getötet wurdenBild: Reuters/SNPA/M. Hunter

Auch in Europa gibt es unzählige "Wir gegen die"-Vertreter - angefangen bei der AfD in Deutschland, über die sogenannte Freiheitliche Partei in Österreich. Beim Brexit-Votum hat das "wir gegen die" eine Rolle gespielt und was für die Europäer die Muslime als "die Anderen" sind, sind für etliche US-Amerikaner die Lateinamerikaner, die von Präsident Trump in regelmäßigen Abständen massiv beschimpft werden. Man kann bei all dem leicht den Überblick verlieren oder gar den Glauben an die Menschheit.

"Die" und "Wir" hat dabei immer etwas mit Nähe und Ferne zu tun. Wir sollten uns von diesem menschlichen Mechanismus nicht in die Irre führen lassen: Es betrifft auch die Christenheit in Europa, wenn am anderen Ende der Welt Muslime in Moscheen niedergemetzelt werden. Genauso wie es die Muslime interessieren muss, dass in den Ländern, in denen sie die Mehrheit stellen, Christen für ihren Glauben leiden müssen.

Die Empathie allerdings, die wir Menschen einander entgegenbringen und von der man sagen kann, dass sie den Menschen erst zum Menschen macht, gewähren wir einander ja nicht, weil wir denselben Glauben haben, sondern die selbe Ausstattung als Menschen. Empathie verbindet Verstand und Gefühl und schafft so ein Gleichgewicht, das immun ist gegen rassistischen oder religiösen Aberglauben. Die Empathie ist die Grundlage dafür, dass sich Menschen einander ihre Würde zusprechen und in rechtlichen Systemen kodifizieren.

Rückabwicklung der Aufklärung

Das ist überhaupt der Zusammenhang, den der Humanismus und die Aufklärung als philosophische Strömungen in das politische System und die Welt eingespeist haben: Unsere Welt besteht aus Staaten, deren Einwohner Staatsbürger sind. Die Staatsbürgerschaft bekommen wir qua Geburt - unabhängig von unserer Hautfarbe, Herkunft, Religion oder Konfession. Ein Inder ist ein Inder, egal, ob er Hindu oder Muslim ist. Ein Israeli kann Jude, Muslim oder Christ sein. Über die Staatsbürgerschaft ist die Übereinkunft gesichert, dass alle Menschen als Menschen gleich und vom Gesetz geschützt sind. Wer diesen Zusammenhang aufbrechen will, führt nichts Gutes im Schilde: Es soll die Aufklärung und die Ordnung der Welt, wie wir sie kennen, rückabgewickelt werden in einen Kampf aller gegen alle, den Thomas Hobbes als den schlimmsten aller möglichen Naturzustände gegeißelt hat.

Trauer und Gedenken in der Nähe der Al-Noor-Moschee von ChristchurchBild: picture-alliance/dpa/M. Tsikas

Während die Familien der Opfer trauern, während Neuseeland trauert, ist es an uns allen, die in den Demokratien der liberalen Welt leben und jenen, die sich den Menschenrechten verpflichtet fühlen, dass wir die räumlich Fernen emotional an uns heranlassen: Denn es sterben nicht Muslime oder Christen, nicht Schwarze oder Weiße, nicht diese oder jene, sondern immer unsere Mitmenschen, deren bloßes Leben in den Augen der Extremisten ein Verbrechen ist. Wir müssen wachsam sein und die Menschenwürde verteidigen - an jedem Ort der Welt.

Alexander Görlach ist Senior Fellow des Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Senior Research Associate an der Universität Cambridge, am Institute für Religion und Internationale Studien. Der promovierte Linguist und Theologe war zudem in den Jahren 2014-2017 Fellow und Visiting Scholar an der Harvard Universität, sowie 2017-2018 als Gastscholar an der National Taiwan University und der City University Hong Kong.

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