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Politik

Wenn ein Präsident nicht gut sein will

Alexander Görlach - Carnegie Council for Ethics in International Affairs
Alexander Görlach
7. August 2019

Platons Ideale vom guten Herrscher haben die abendländische Geistesgeschichte und unser Verständnis von moderner Politik geprägt. Doch immer mehr Staats- und Regierungschefs handeln anders, meint Alexander Görlach.

Als Schüler bin ich in den Genuss humanistischer Bildung gekommen, fünf Jahre Altgriechisch inklusive. Da haben wir auch Platons "Der Staat" gelesen - sein Meisterwerk, in dem er uns als idealen Regenten den Philosophen auf dem Königsthron ans Herz legt. Es handelt sich um einen Herrscher, der nach den Regeln des Wahren und Guten die richtigen Entscheidungen trifft. "Wann aber", fragte mein gestrenger Griechischlehrer, "fällt dieses Ideal in sich zusammen?" Eine viel klügere Mitschülerin gab die richtige Antwort: "Wenn der König nicht will."

Wir operieren in der Politik immer unter der Annahme, dass die Regierenden im platonischen Sinne auch "wollen", also immer an der Lösung von Konflikten mittels guter Entscheidungen interessiert sind. Weil wir in Europa bleibend von der abendländischen Philosophie geprägt sind, nehmen wir an, dass auch Regenten wie der russische Präsident Wladimir Putin "wollen" - also am Ende des Tages rationale Ziele verfolgen, die sich mittels Vernunft und guter Sitte erreichen lassen. Aber will Wladimir Putin das - das Beste für die Russen, das Gute für und mit Russland in der Welt? In den vergangenen Wochen zeigte sich auf Moskaus Straßen überdeutlich, was der Regent im Sinne hat. Und es ist nicht das Interesse des Volkes, welches allein sich und seinen Anliegen politisch Gehör verschaffen möchte.

Das christliche Herrscher-Ideal

Da Platon in "Der Staat" von einem idealen König spricht, brauchen wir an dieser Stelle nicht zuerst die Demokratie einfordern (wie es etliche der Demonstranten in Moskau tun), sondern dürfen uns Wladimir Putin als Zaren oder König vorstellen. Dieser musste in der mittelalterlichen Vorstellung bestimmten Idealen entsprechen, um als legitimer Herrscher zu gelten. Diese Ideale orientierten sich an Christus, dem himmlischen König. Und auch hieran muss sich Präsident Putin messen lassen, redet er doch nachhaltig einer Re-Christianisierung Russlands das Wort. Solch ein König muss auch ein Stück weit auf seine Untergebenen hören: "Vox Populi - Vox Dei", die Stimme des Volkes ist die Stimme Gottes.

Ljubow Sobol, eines der prägenden Gesichter der aktuellen Protestwelle in Moskau, wurde am Samstag abgeführt Bild: picture-alliance/dpa/D. Serebryakov

Davon aber ist Russlands Präsident weit entfernt. Im Rest der Welt muss man sich daher die Frage stellen, was denn wirklich bei einem Dialog mit Russland herauskommen kann? Ich selbst glaube an den Primat des Wortes: Die Debatte und der sachliche Streit sind unvermeidlich in jeder Gemeinschaft und Gesellschaft. Das etablierte internationale Regelwerk vermittelt so verschiedene Interessen von Teilnehmern, denen Rationalität unterstellt wird. Aber in Russland wird die Autokratisierung des Landes weiter zementiert, die Zivilgesellschaft mundtot gemacht. Das völkerrechtliche Vergehen auf der Krim bleibt bestehen. Die internationale Gemeinschaft weiß keine Antwort, weil die Annexion konträr zu dem stand, was man Platon folgend hat vermuten wollen: dass die Strategien der Politik des 19. Jahrhunderts lange hinter uns lägen, und dass kein europäisches Land Interesse an Landnahme von einem anderen haben würde. Viele der Ziele von Wladimir Putin richten sich nach innen, um im Land Signale zu setzen und Erfolge vorzuweisen.

Die Zahl wird kleiner

Präsident Putin ist mit diesem Kurs nicht alleine, was das Problem größer und nicht kleiner macht: In den vergangenen Tagen hat Donald Trump auf einer Veranstaltung mit seinen Anhängern die Aufforderung einer Teilnehmerin, Immigranten erschießen zu lassen, mit einem Lachen goutiert. Wohin sind die USA gekommen, wenn ihr Präsident auf offener Bühne die Aufforderung zum Massenmord nicht verurteilt, sondern sich zu eigen macht? In Großbritannien hat sich eine Reihe von Egoisten das Ziel gesetzt, das Land wieder unter die Knute einer kleinen Elite zu bringen und - um das zu erreichen - aus der Europäischen Union zu führen.

US-Präsident Donald Trump (li.) und der neue britische Premier Boris Johnson

Die Zahl der Akteure, die "wollen", wird kleiner. Doch eine Welt mit vielen kleinen und größeren Zaren und Königen wäre ja beileibe keine bessere als die demokratische und regelbasierte, die wir heute haben. Im Gegenteil! Eine Diskussion, eine Debatte unter verschiedenen Akteuren macht nur dann Sinn, wenn alle auf dem selben Spielfeld stehen. Russland tut das gegenwärtig nicht. Deswegen führt das Gespräch mit dem Kreml auch nirgendwo hin. Leider. Für diejenigen, die an regelbasierte Politik glauben, ist momentan keine gute Zeit. Wenn wir doch nur mehr Philosophen auf dem Thron oder im Amt hätten!

Alexander Görlach ist Senior Fellow des Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Senior Research Associate an der Universität Cambridge am Institut für Religion und Internationale Studien. Der promovierte Linguist und Theologe war zudem in den Jahren 2014-2017 Fellow und Visiting Scholar an der Harvard Universität, sowie 2017-2018 als Gastscholar an der National Taiwan University und der City University of Hongkong.

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