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Politik

China auf einem gefährlichen Weg

Alexander Görlach
19. Februar 2019

Während die Welt von China vor allem den Süden und die entwickelten Küstenregionen wahrnimmt, regiert im Nordwesten der Ein-Parteien-Staat mit totalitärer Härte. Hier darf niemand wegschauen, meint Alexander Görlach.

Zitattafel Prof. Dr. Alexander Görlach

Es gäbe, so las ich jüngst in einem Artikel, ein gutes und ein schlechtes China. Das gute, so der Autor, sei jenes südlich einer imaginären Linie, die vom Nordosten in den Südwesten des Landes reicht, das schlechte liege nördlich davon. Das südliche China ist jenes, das prosperiert und von der Welt bewundert wird: Hier liegen die ökonomisch bedeutenden Städte, die Mehrheit der Bevölkerung lebt hier, große Infrastrukturprojekte haben dort Städte für Millionen Menschen geschaffen, wo vor 30 Jahren noch nichts stand. Im Norden hingegen liegen die politischen Krisengebiete des Riesenreiches: die Innere Mongolei, Tibet, die Provinz Xinjiang.

Im Westen hat man sich angewöhnt, allein auf das südliche China zu schauen, das in seiner Adaption des US-amerikanischen Modells beachtliche Erfolge erzielt hat. Deng Xiaoping, dessen Reformen vor genau 40 Jahren begannen, ist es zu verdanken, dass sich das Land vom rückständigen Mao-Staat, der nicht zimperlich war, ganze Landstriche verhungern zu lassen, in eine moderne Nation verwandelte.

Ende der Reformen Dengs

Unter Präsident Xi Jinping hat nun aber das, was das schlechte China ausmacht, die Oberhand gewonnen. Er hat nicht nur damit begonnen, die ökonomischen Reformen Dengs zurückzudrehen und damit die chinesische Wirtschaft auf einen gefährlichen Kurs navigiert, sondern auch die politischen Freiheiten, die unter seinen Vorgängern Stück für Stück erlaubt wurden, komplett unterbunden. Dieser rigide Kurs nach innen, der dem manch anderer selbsternannter "strengen" Herrscher vergleichbar ist, findet seinen vorläufigen traurigen Abschluss in einer ethnischen Überlegenheitserzählung, wonach die Han-Chinesen den anderen 55 bisher anerkannten ethnischen Minderheiten überlegen seien. Dazu kommt eine neue Lesart des Konfuzianismus, die dazu dienen soll, die Herrschaft der kommunistischen Partei weiter zu zementieren.

Besonders hart trifft es jene Menschen, die im nördlichen, dem als "schlecht" apostrophierten Teil des Reiches leben. Darunter fallen die Menschen in Tibet und in Xinjiang. In der Bewertung Pekings sind diese minderwertig und müssen sich anpassen. Es geht um ihre totale kulturelle Assimilation und Unterdrückung jeder kultureller Eigenständigkeit, wie wir es aus Europa beispielsweise aus dem Spanien Francos kennen, in dem den Basken ihre Sprache verboten war.

Die Tibeter müssen schon seit Jahrzehnten erleben, wie ihre Kultur zerstört und ihre Tempel abgebrannt werden. Nun trifft es auch die Uiguren in Xinjiang, die mehrheitlich Muslime sind. Riesige Konzentrationslager, die in den Augen der Regierung in Peking Erziehungslager sind, wurden in der jüngeren Vergangenheit errichtet. Satellitenbilder belegen ihre Existenz, Schätzungen zufolge werden dort eine Million Menschen nur aufgrund ihres Glaubens und ihrer Ethnie eingesperrt.

Sicherheitskräfte in Xinjian treten unter der Aufgabenbeschreibung "Terrorabwehr" oft extrem martialisch aufBild: Imago/VCG

Komplette Unterdrückung anderer Kulturen

China ist nach wie vor ein atheistischer Staat - religiöse Praxis jeglicher Glaubensrichtung, kann nur unter rigider Aufsicht der Partei stattfinden. Darüber kann auch eine jüngst erreichte Übereinkunft mit dem Heiligen Stuhl nicht hinwegtäuschen. In Xinjiang geht es aber um mehr als um einen staatlich verordneten Atheismus: Es geht um die komplette Unterdrückung einer anderen Ethnie und ihrer Kultur. So sollen mittlerweile bei Familien in Xinjiang Han-Chinesen einquartiert worden sein, die überwachen, dass die Familie nicht zu uigurisch, also nicht zu muslimisch, lebt. Peking liefert also den Blockwart frei Haus - eine erschreckende Art der Überwachung, welche den Totalitarismus in einer Provinz, die von Polizeistationen und Überwachungskameras übersät ist, auf ganz undigitale Weise ergänzt.

Die Führung in Peking hat die Existenz dieser Konzentrationslager lange geleugnet, durch die Satellitenaufnahmen wurde sie entlarvt. Nun ist der Moment erreicht, wo in der Wahrnehmung der Welt der Fokus vom "guten" auf das "schlechte" China gehen muss. Trotz aller Attraktivität, die der Riesenmarkt der Volksrepublik auf die westlichen Länder hat, überschreitet die chinesische Führung mit ihrem Vorgehen in Xinjiang jede Grenze. Konnte man bis dato noch annehmen, dass Xi Jinping "nur" eine Art autokratischer Führer wie Wladimir Putin oder Recep Tayyip Erdogan sei, so verlässt er mit der Errichtung von Konzentrationslagern selbst deren Gruppe, um sich jenem extrem abstoßenden Kreis der Hölle zu nähern, in dem sich Massenmörder wie Stalin, Hitler und Mao tummeln.

Folgt auf Internierung die Auslöschung?

Wie weit ist der Weg vom Konzentrationslager zur "Endlösung"? Wir Deutschen wissen, wie schnell dieser Weg eingeschlagen werden kann. Und wer erst einmal damit beginnt, Menschen nur aufgrund ihrer Identitätsmerkmale einzusperren und "umzuerziehen", der ist schon so degeneriert, dass ihm der Mord an diesen Menschen bald wie ein administrativer, logischer Akt erscheint. Xi Jinping hat sein Land auf diese schiefe, "schlechte" Bahn gebracht. Es bleibt zu hoffen, dass sich auf dem Weg in einen möglichen Genozid an den Uiguren alle Chinesen guten Willens und die internationale Gemeinschaft in den Weg stellen.

Uiguren nach dem Freitagsgebet vor einer Moschee in Kashgar, Provinz XinjiangBild: picture-alliance/dpa/H. W. Young

Vor allem die deutsche Regierung muss aufgrund der Geschichte besonders klar auf die erschreckenden Nachrichten aus der Volksrepublik China reagieren. Wichtig ist dabei, zwischen der chinesischen Führung und den Menschen in China zu unterscheiden. Denn es gibt gute Gründe anzunehmen, dass viele gar nicht wissen, was wirklich in Xinjiang geschieht. Präsident Xi ist allgegenwärtig und hat sich, anders als Deng, zum Präsidenten auf Lebenszeit erklären lassen. Im Westen deutet man seine Allgegenwart als Zeichen der Stärke, dabei ist es vielmehr eines der Schwäche. Denn Deng führte das Land allein mit seiner Autorität und bekleidete doch nie ein politisches Spitzenamt.

Besser mit als gegen die USA

Unter Präsident Xi isoliert sich China zunehmend, der Kurs gegen die Uiguren verschlimmert das. Zeitgleich verstärkt die Führung ihre Drohungen gegen den unabhängigen Inselstaat Taiwan sowie gegen Hongkong, dem eigentlich demokratische Rechte zugestanden wurden. Dass Präsident Xi mächtige Feinde hat, die diesen Kurs nicht hinnehmen möchten, wurde im Umfeld der Feiern zum 40. Jahrestag der Reformen von Deng deutlich: Dort trat ein Enkel des Reformers öffentlich auf und erinnerte daran, dass sein Großvater mit den USA zusammenarbeitete. Denn jedes Land, so Deng, das sich bisher auf die Amerikaner eingelassen habe, stand später stets besser da als zuvor. Das war unmissverständlich als Kritik an Xi zu verstehen, die sich in China nur noch jemand mit einem derart prominenten Familiennamen leisten kann. Denn ansonsten ist die Kritik verstummt, die Zivilgesellschaft liegt am Boden. Umso klarer müssen die Zeichen aus dem Ausland sein: Die Uiguren dürfen in dieser existenziell bedrohlichen Situation nicht allein gelassen werden. Die internationale Gemeinschaft kann nur mit einem guten China zusammenarbeiten.

Alexander Görlach ist Senior Fellow des Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Senior Research Associate an der Universität Cambridge, am Institute für Religion und Internationale Studien. Der promovierte Linguist und Theologe war zudem in den Jahren 2014-2017 Fellow und Visiting Scholar an der Harvard Universität, sowie 2017-2018 als Gastscholar an der National Taiwan University und der City University Hong Kong.

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