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Präsidentschaftswahlen

Das Interview führte Ina Rottscheidt21. August 2007

Trotz der Niederlage in der ersten Abstimmung gilt die Wahl des türkischen Außenministers Gül als sicher. Im DW-WORLD.DE-Interview spricht der Europapolitiker Cem Özdemir über die Chancen und Folgen, auch für Europa.

Cem Özdemir, Mitglied im Europäischen Parlament, Foto: dpa
Der Europapolitiker Cem Özdemir befürwortet eine Wahl Güls zum türkischen PräsidentenBild: picture-alliance/dpa

DW-WORLD.DE: Nach dem klaren Sieg der AKP bei der vorgezogenen Parlamentswahl im Juli gilt Güls Wahl als sicher. Spätestens am 28. August dürfte er mit der notwendigen Mehrheit seiner AKP zum Präsidenten gewählt werden. Vor der Wahl noch hatte Gül versprochen, die Demokratie und die verfassungsmäßige Trennung von Staat und Religion in der Türkei schützen. Ist er glaubwürdig?

Cem Özdemir: Man muss nur die letzten viereinhalb Jahre der Politik der AKP-Regierung betrachten: Die haben nicht zu einer Fundamentalisierung der türkischen Gesellschaft beigetragen, im Gegenteil. Die türkische Gesellschaft hat sich geöffnet wie noch nie in ihrer Geschichte zuvor: So viele Reformen, etwa in Sachen Demokratie oder Frauenrechte. Dass es Misstrauen gegenüber Gül gibt, ist bekannt, und jetzt liegt es an ihm - sollte er gewählt werden - dieses Misstrauen abzubauen.

Ist denn diese Kritik nicht auch berechtigt?

Sie richtet sich vor allem gegen die Kopftuchfragen bei den Frauen, wobei Gül zu Recht darauf hinweist, dass nicht seine Frau zur Wahl steht, sondern er selber. Und ansonsten gilt das, was der Oppositionsführer Deniz Baykal gesagt hat, woran er sich aber leider selber nicht hält: "Entscheidend ist nicht, was sie auf dem Kopf hat, sondern was sie im Kopf hat." Und bislang haben weder Frauen noch Herr Gül Anlass dazu gegeben, dass man sie für radikale Fundamentalisten hält. Von allen Oppositionspolitikern kann man das nicht unbedingt behaupten. Gül steht für eine liberale Öffnung der Türkei. Diejenigen, die ihn verhindern wollen, stehen für Ultranationalismus.

Als Außenminister hat er sich zudem erfolgreich um Verhandlungen über die Aufnahme der Türkei in die Europäische Union bemüht. Wie ist Gül in Europa angesehen?

Bei europäischen Politikern, etwa Erweiterungskommissar Olli Rehn, Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier oder seinem Vorgänger Joschka Fischer genießt er ein sehr hohes Ansehen. Er gilt als ein verlässlicher Partner, mit dem man Vereinbarungen treffen kann, an die sich die andere Seite auch hält. Insofern kann man sagen, dass Gül im Ausland weniger Misstrauen entgegen schlägt, als in seinem eigenen Land.

Was würde Güls Wahl für die Beitrittsambitionen der Türkei bedeuten?

Es würde vieles leichter machen. Man darf nicht vergessen, dass der jetzige Amtsinhaber Sezer viele wichtige Reformen in der Türkei blockiert hat: Etwa das Stiftungsgesetz, das christliche und jüdische Stiftungen in der Türkei massiv benachteiligt: Das wollte die AKP-Regierung beenden. Es wurde aber von der Opposition blockiert und auch der Staatspräsident hat dieses Gesetz nicht unterschrieben. Außerdem wurden wichtige Initiativen im Bereich der Reform des Beamtenapparates, ein späterer Eintritt ins Rentenalter oder die Sanierung des Haushaltes ebenfalls vom Staatspräsidenten blockiert. Und wenn jetzt ein Präsident wie Gül käme, der Reformen gegenüber aufgeschlossener ist, würde das vieles für die Regierung erleichtern.

Zentraler Kritikpunkt, wenn es um den EU-Beitritt geht, ist auch immer die Frage der Menschenrechte – wird sich daran etwas ändern?

Ich kenne Gül noch aus Zeiten, als er noch als Oppositioneller in der fundamentalistischen Partei war und versucht hat, sie zu reformieren, bis er sie dann verlassen hat. In der Zeit bin ich oft bei ihm gewesen mit Kritik von Menschenrechtsorganisationen und ich habe diese Gruppen auch immer zu Gül befragt. Mein Eindruck war, dass sie in Gül einen Gesprächspartner hatten, der zumindest immer zugehört hat und von dem man annehmen konnte, dass ihm die Anliegen wichtig sind - auch wenn er sie nicht immer umsetzen konnte aufgrund der Zwänge, in denen er sich befand und der Probleme, die die Türkei nach wie vor hat. Ich glaube, dass Gül in der Menschenrechtsfrage sicher jemand ist, der für Reformen steht.

Also befürworten Sie aus europapolitischer Sicht eine Wahl Güls zum Präsidenten ?

Ich finde nicht nur, er ist gut für Europa, ich glaube auch, dass er gut für die Türkei ist. Allerdings: Die Ängste, die es gibt, müssen Gül und seine Partei sehr ernst nehmen: Die entkräftet man am besten dadurch, dass man belegt, dass sie unberechtigt sind. Und da gibt es zwei wichtig Gruppen, denen sich Gül zuwenden muss: Die eine sind Frauen ohne Kopftuch, denen Gül signalisieren muss, dass das Kopftuch seiner Frau keineswegs ein Zeichen ist. Im Gegenteil, dass Vielfalt akzeptiert wird. Die andere Gruppe, die auf ein Signal wartet, das ist die religiöse Minderheit der Aleviten in der Türkei: Auch da wäre es wichtig, dass Gül ihnen signalisiert, dass er auch der Staatspräsident der Aleviten ist.

Cem Özdemir ist deutscher Politiker türkischer Abstammung und sitzt seit 2004 für die Fraktion "Die Grünen / Freie Europäische Allianz" im Europäischen Parlament.

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