1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Glaube

Günstig ins Grab

Merlin Bartel
30. März 2018

"Gestorben wird immer", heißt es in der Bestattungsbranche. An Aufträgen mangelt es nicht, doch die günstige Konkurrenz wächst. Funktioniert Sparen mit Pietät?

Urnengräberfeld auf dem Nordfriedhof in Oberhausen (Foto: Imago/Werner Otto)
Bild: Imago/Werner Otto

Der Tod ist näher, als man denkt. Schon immer ist er ein großes Geschäft, doch das war noch nie so präsent in der Öffentlichkeit wie heute. Ob als Reklame in der Straßenbahn oder Werbeanzeige im Internet: Bestatter unterbieten sich mit günstigen Angeboten. "Ab 444 Euro" oder "950 Euro für ganz NRW" heißt es darauf, oft neben christlichen Symbolen.

Lange Zeit war die Branche von religiösen und moralischen Vorstellungen geprägt. "Der Bestattungsmarkt war bis ins späte 20. Jahrhundert intransparent und weitestgehend von Familienunternehmen dominiert", sagt der Sozialhistoriker Norbert Fischer, der derzeit eine Gastprofessur an der Universität Wien hat. "In den 90er-Jahren sorgten verstärkt Konzerne für Konkurrenz."

Jede zehnte Bestattung ist vom "Discounter"

Rund 4000 Bestattungsunternehmen gibt es heute in Deutschland. Nach Angaben des Zentralverbands des Deutschen Handwerks leiten sie knapp 5400 Filialen. Neben Traditionsbetrieben etablieren sich auch zunehmend sogenannte Discount-Bestatter. "Die Verteilung nimmt sowohl im unteren als auch im oberen Marktsegment zu. Das geht zulasten der bürgerlichen Mitte, die noch 65 Prozent ausmacht", sagt Oliver Wirthmann, Geschäftsführer des Kuratoriums Deutsche Bestattungskultur. "Das untere Segment macht etwa zehn bis 15 Prozent aus." Das durch das Internet gewachsene Angebot löste eine intensivere Beschäftigung mit dem Thema Bestattung aus, sagt Historiker Fischer. "Routinen wurden aufgebrochen und anstelle des alteingesessenen Bestatters vor Ort konnte verglichen werden."

"Ein teurer Sarg ist längst nicht mehr Zeichen von Wertschätzung"Bild: picture-alliance/dpa/S. Kembowski

Die Bestattungskultur in Deutschland hat sich dadurch in den vergangenen Jahren gewandelt. "Preisbewusstsein wird – zurecht – verstärkt akzeptiert und nicht mehr als mangelnder Respekt vor den Toten verstanden", sagt Alexander Helbach, Pressesprecher von Aeternitas, einer Verbraucherinitiative für Bestattungskultur. "Wir würden aber nie empfehlen, nur auf den Preis zu schauen. Schließlich lässt sich eine Bestattung nicht wiederholen." Das müsse nicht viel Geld kosten, denn ein teurer Sarg sei längst nicht mehr Zeichen von Wertschätzung. "Es ist sinnvoll, sich zu fragen, was dem Verstorbenen wirklich wichtig gewesen wäre", sagt Helbach.

Bestattungen kosten mehr als 2000 Euro

Der Preis für eine Bestattung ist aufgrund der großen Vielfalt sehr variabel: Sarg oder Urne, Wahl- oder Gemeinschaftsgrab, Seebestattung oder anonyme Bestattung? "Für eine Beerdigung sollten etwa 2500 bis 4000 Euro einkalkuliert werden", sagt Oliver Wirthmann. "Billig-Bestatter erscheinen günstig, doch oft fallen versteckte Zusatzkosten an." Unter 2000 Euro sei es schwierig, alle Leistungen anzubieten, da bei einer Bestattung sowohl handwerkliche, beratende als auch aus kaufmännische Kosten anfallen. Hinzu kommen Friedhofsgebühren, die regional unterschiedlich hoch sind. Eine Preisgrenze nach oben gebe es nicht: "Im hochpreisigen Segment sind leicht 8000 bis 10.000 Euro möglich", sagt er.

Grundsätzlich sei nichts dagegen einzuwenden, wenn Menschen auch bei der Bestattung nach niedrigen Preisen suchen, sagt Alexander Helbach. "Kunden, die zum ersten Mal eine Bestattung in Auftrag geben, durchschauen jedoch häufig nicht, dass diese Angebote unvollständig sind."

Auch vom Kuratorium Deutsche Bestattungskultur gibt es Kritik: "Discount-Bestatter beschäftigen häufig schlecht qualifiziertes Personal und versäumen es oft, notwendige Aspekte durchzuführen", sagt Wirthmann. "Solche Firmen schädigen den Ruf der Branche." Aus Sicht des Bundesverbandes Deutscher Bestatter (BDB) sind für eine würdige Bestattung insbesondere eine qualifizierte Beratung und der Umgang mit dem Verstorbenen wichtig. Dazu zählen die "hygienische Versorgung", also das Waschen und Ankleiden eines Verstorbenen, die Planung der Trauerfeier sowie bürokratische Formalien.

Steinmetze müssen hohe Provisionen an Discount-Bestatter zahlenBild: DW/V. Weitz

Sarg oder Urne?

Zentral unterschieden wird zwischen Erd- und Feuerbestattungen. "Diese ähneln sich in ihren Kostenpunkten sehr", sagt Alexander Helbach. "Zwar kostet bei Feuerbestattungen die Einäscherung zusätzlich, insgesamt sind sie trotzdem meist preiswerter." Man spare häufig am Sarg und habe niedrigere Kosten für das Grabmal und dessen Pflege. Die Gesamtkosten hängen jedoch vor allem von der Ausgestaltung der Bestattung ab, sagt Helbach. "Es kann sein, dass eine Familie den günstigsten Einäscherungssarg wählt, aber tausende Euro für die Trauerfeier und Traueranzeigen ausgibt." Doch auch bei Erdbestattungen werde gespart: Anstelle von Marmorsteinen seien günstige Grabsteine aus Asien im Trend.

"Steinmetze bieten Natursteine, die unter fairen Arbeitsbedingungen gewonnen und handwerklich gestaltet werden. Das alles können wir zu fairen, aber nicht billigen Preisen anbieten", sagt Masood Bashary vom Bundesverband Deutscher Steinmetze. Bei Discount-Anbietern hingegen müsse alles billig sein. "Diese Bestatter bieten ein eingegrenztes Angebot. Steinmetze oder Friedhofsgärtner müssen hohe, unfaire Provisionen zahlen. Mit Respekt für den Verstorbenen hat das nichts mehr zu tun."

Feuerbestattungen sind im Trend

Nach Angaben des BDB entfallen 45,5 Prozent aller Beerdigungen auf Erdbestattungen und 54,5 Prozent auf Feuerbestattungen. Im Jahr 1999 war das Verhältnis Aeternitas zufolge noch umgekehrt: 60 Prozent Erd- und 40 Prozent Feuerbestattungen. 1960 waren Feuerbestattungen mit zehn Prozent noch die Ausnahme. "Es gibt einen Trend zur Feuerbestattung", sagt Oliver Wirthmann.

Zunehmend entstehen auch neue Beisetzungsformen, wie etwa in Grabeskirchen oder Waldarealen. In sogenannten Friedwäldern werden die Toten in kompostierbaren Urnen beerdigt, sodass die Grabpflege entfällt. "Bremen erlaubt außerdem als erstes Bundesland die Bestattung der Asche in der Weser sowie in einer Urne im eigenen Garten", sagt Sozialhistoriker Norbert Fischer. Trotz gesunkener Auslastung bleibt die Anzahl der rund 32.000 Friedhöfe in Deutschland nach Angaben von Aeternitas konstant.

Alternative zum Friedhof: Bestattungen in Flüssen und Wäldern sind im TrendBild: Imago/R. Oberhäuser

Mehr Todesfälle als Geburten

Im Jahr 2016 starben in Deutschland 911.000 Menschen. Damit sank die Zahl der Verstorbenen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes gegenüber dem Vorjahr um 1,5 Prozent. Seit 1972 starben jährlich mehr Menschen, als Kinder geboren wurden. 2016 lag die Differenz demnach bei 118.000. Auch der jüngste Anstieg der Geburtenzahlen kann den demografischen Wandel nicht aufhalten – Deutschland altert. Die Zahl der Sterbefälle wird also voraussichtlich nicht sinken. Das gibt Anlass für wirtschaftlichen Optimismus in der Branche. Getreu dem Motto: "Gestorben wird immer." An Aufträgen mangelt es nicht, doch die günstige Konkurrenz wächst. Eine Google-Suche zu "Discount-Bestattung" ergibt 370.000 Treffer.

Dazu gehört auch Segenius. Geschäftsführer Jörn Gerischer beschäftigte sich nach dem Tod eines Angehörigen mit der Preispolitik von Bestattern. "Der Preis eines Sarges stand für mich in keinem Verhältnis zu anderen Tischlerprodukten", sagt er. 2010 gründete er selbst ein Internet-Bestattungsunternehmen, das nach eigenen Angaben mittlerweile zu den größten in Deutschland zählt.

In den ersten Jahren stieß Gerischer mit seinem günstigen Angebot "hin und wieder" auf Unverständnis bei Friedhofsverwaltungen und Standesämtern. "Unsere Abläufe unterschieden sich von dem eines Traditionsbestatters", erklärt er. Trotzdem etablierte sich Segenius. Genaue Angaben zu Umsatz und Gewinn will der Unternehmer nicht machen, doch: "Unser Umsatz wuchs von Gründung an ständig, wir haben weit mehr als tausend Kunden."

Großbestellung polnischer Särge

Was ist das Erfolgsgeheimnis von Discount-Bestattern? "Wir kaufen unser Zubehör in sehr großen Mengen wesentlich günstiger ein, unsere Särge etwa in Polen", sagt der Segenius-Geschäftsführer." Der Bestatter führt fast ausschließlich Feuerbestattungen durch, Erdbestattungen machen nach eigenen Angaben nur drei Prozent aus. Die Mehrheit werde in Urnen auf dem Friedhof beerdigt. "Die Nachfrage nach alternativen Bestattungsformen steigt stetig", sagt Gerischer. "Mehr als 30 Prozent der Kunden wünschen sich für ihre Angehörigen eine Seebestattung oder eine anonyme Baumbestattung auf einem deutschen Ruhe-Forst." Die Kosten dafür liegen zwischen rund 650 und 1200 Euro.

Trotz ihres Erfolges ist die Kritik an den Billig-Bestattern geblieben. Segenius-Chef Jörn Gerischer wehrt sich gegen solche Vorwürfe: "Die Arbeitsschritte finden durch gut ausgebildetes Personal in Deutschland statt." Dazu gehören demnach die Abholung der Verstorbenen, die Einbettung in den Sarg, die Einäscherung in einem Krematorium, die Bestattung auf dem Friedhof und die Trauerfeier. "Unsere Verträge enthalten alle Leistungen und sind klar definiert", sagt er.

60 Millionen Euro für Sozialbestattungen

Nicht nur Sparsamkeit treibt Kunden zu den preiswerten Bestattungsunternehmen. Auslöser des Trends sei auch, "dass sich viele Menschen seit dem Wegfall des Sterbegeldes im Jahr 2004 teure Bestattungen nicht mehr leisten können", sagt Historiker Norbert Fischer. Rund 21.500 Menschen hatten nach Angaben des Statistischen Bundesamts im vergangenen Jahr nicht genug Geld für die Beerdigung ihrer Angehörigen. Sie mussten einen Antrag auf finanzielle Unterstützung beim Sozialamt stellen: Aufgrund der Beerdigungspflicht übernimmt dieses bis zu 750 Euro für die Bestattung sowie die Gebühren für Krematorium und Friedhof. Die sogenannten Sozialbestattungen kosteten die Kommunen im Jahr 2017 demnach etwa 60 Millionen Euro.

Bis 2004 zahlten die gesetzlichen Krankenkassen ein sogenanntes Sterbegeld als Zuschuss zu den Bestattungskosten. Im Laufe der Zeit sank die Summe stetig und lag zuletzt bei 525 Euro. Dann strich die damalige rot-grüne Bundesregierung die Summe komplett aus den Standardleistungen. "Seit das Sterbegeld weggefallen ist, trägt die Familie die Verantwortung und muss die Beerdigung ihrer Angehörigen planen", sagt Oliver Wirthmann. "Menschen haben allerdings kein Preisgefühl in diesem Bereich und sind anfällig für Lockangebote."

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen