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Vonne Endlichkait: Günter Grass' letztes Buch

Jochen Kürten27. August 2015

Bis kurz vor seinem Tod hat Grass an dem Werk gearbeitet. "Vonne Endlichkait" ist ein grundehrliches Buch und wenig politisch. Vor allem aber ist es ein schonungsloses Opus über die Vergänglichkeit des Körpers.

Günter Grass (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/Gambarini

Günter Grass war ein furchtloser Mensch. Ein Schriftsteller, der keiner Auseinandersetzung aus dem Weg ging. So kennen die Leser aus aller Welt den Nobelpreisträger. Gut vier Monate nach seinem Tod liegt jetzt sein letztes Werk in den Buchläden. Und auch das bestätigt eines: Der Autor hatte bis zuletzt keine Scheu, sich mit unangenehmen Dingen auseinanderzusetzen.

Doch in "Vonne Endlichkait" ("Von der Endlichkeit": Grass lehnte den Titel an die ostpreußische Mundart seiner Heimat an) geht es kaum um Politik und Gesellschaft, nicht um Krieg und soziale Verwerfungen - jene Themen also, mit denen sich der Autor in den letzten Jahren immer wieder beschäftigt hat, in Büchern, aber auch in öffentlichen Statements und Interviews. Stattdessen ist es ein Buch über den Zerfall des eigenen Körpers.

Grass' radikaler Blick auf den menschlichen Verfallsprozess

Dazu gehört Mut, vor allem, wenn man es in einer solch radikalen Art und Weise beschreibt. "Vonne Endlichkait" umfasst 176 Seiten, Gedichte und kurze Prosastücke wechseln sich ab, dazu kommen rund 60 Bleistiftszeichnungen von Grass. Wenn man so will, könnte man dem Buch den Modebegriff "Gesamtkunstwerk" überstülpen. Doch in erster Linie ist es dem Autor der "Blechtrommel" darum gegangen, ein im Wortsinne schönes, gut ausgestattetes Buch vorzulegen, in dem eben nicht nur Schriftliches gedruckt ist.

Verleger Gerhard Steidl und Grass-Witwe Ute bei der Buchpräsentation in GöttingenBild: picture-alliance/dpa/S. Pförtner

Die meisten Texte und Gedichte handeln vom geistigen und körperlichen Zustand eines alternden Menschen. Es geht um Krankheiten, Medikamente und den Prozess des Alterns, den Gemütszustand eines Mannes im Greisenalter, nicht aber um den eines berühmten Autors. Doch keine Angst. "Vonne Endlichkait" ist ein ungemein sinnliches Buch, das mit einer gehörigen Portion Ironie und Humor daherkommt.

Detailreich: Blick auf die eigene Person

Am deutlichsten wird das wohl nach einem Drittel des Bandes: Auf der linken Buchseite ist dort das Gedicht "Selbstbild" abgedruckt, auf der rechten die entsprechende Zeichnung: Grass zeigt sich dort als Greis mit offenem Mund, in dem ein einziger Zahn verblieben ist. Dazu heißt es:

Gaumenkauer, Mümmelgreis,

dem nur löffelweise Brei bekömmlich,

lägen nicht im Wasserglas

nachts und reinlich dritte Zähne.

So geht es weiter, es ist von Spucke und Rotz die Rede, von Kurzatmigkeit und letzten Zähnen. Überhaupt die Zähne. Immer wieder begegnet der Leser ausfallenden Zähnen, in Text und Bild, sie werden bei Grass zum Sinnbild des körperlichen Verfalls.

"Senile Bettflucht" und Geschmacksverlust

Doch dabei bleibt es nicht. Es ist von seniler Bettflucht die Rede, von nachlassender Libido, von Ohnmachtsanfällen und brabbelnden Selbstgesprächen, vom Verlust des Geschmacks- und Geruchssinns. In Lyrik und Prosa wird davon ohne Scheu berichtet. Doch Grass wäre nicht Grass, wenn er das nicht auf seine ganz eigene derb-ironische Art zu Papier gebracht hätte, prall und bunt, auch heiter und ironisch.

Verleger Steidl präsentiert die Entwürfe zum Grass-BuchBild: picture-alliance/dpa/S. Pförtner

Erinnerungen an frühere Tage

Man kann die Augen nicht verschließen vor dem körperlichen Verfall, aber man sollte sich von ihm auch nicht unterkriegen lassen, so der dichterische Duktus. Der Autor bäumt sich immer wieder auf, erinnert sich an das Leben, verdrängt die körperlichen Malaisen.

So wird der längste Prosatext des Bandes "Worin und wo wir liegen werden" vom Besuch des Autors und seiner Frau beim befreundeten Tischler zum Höhepunkt des Buches: Bei ihm sollen die eigenen Särge in Auftrag gegeben werden:

Nach abschweifendem Blick durch die offene Fenstertür in den sommerlichen, von keinem Wind bewegten Garten erklärt er sich bereit, die Kisten in Auftrag zu nehmen. Seinem Vorschlag, Länge und Breite individuell zu bemessen, stimmten wir zu…

Was folgt, ist eine Art Beratung und Verkaufsgespräch über den letzten Aufenthaltsort eines jeden Menschen, den Sarg. Im Verlauf des Gesprächs geht es dann auch noch um den Ort der letzten Ruhestätte, und dort trifft der Leser auch mal wieder auf den politischen Zeitgenossen Günter Grass:

Ute Grass bei der Vorstellung des BuchesBild: picture-alliance/dpa/S. Pförtner

Zuletzt die Frage, wo wir liegen werden. Vor gut dreißig Jahren, als wir städtisch wohnten und uns erstmals zur Platzsuche entschlossen hatten, gefiel mir der Friedenauer Friedhof. Aber meine Frau hatte was gegen Berlin als Endstation. Ich schließlich auch, weil dort, bald nach dem Mauerfall, allzu großmäulig die Behauptung, nun Hauptstadt zu sein, schillernde Sprechblasen prahlen ließ.

Es geht auch politisch zu in "Vonne Endlichkait"

Das ist er wieder, jener Günter Grass, der viele Konservative im Lande in den letzten Jahren mit seinen Reden und Schriften nicht selten zur Weißglut gebracht hat. Als Sprechblasen werden jene sicher auch die vier, fünf Texte des Bandes empfinden, in denen sich der Autor aktueller Politik zuwendet. Einmal ist es der Politikstil Angela Merkels, der Grass nicht passt, dann ist es der ungezügelte Wirtschaftsliberalismus, ein Gedicht ist den Griechen gewidmet, ein anderes Syrien.

Bild: Steidl Verlag

Und wer aufmerksam sucht, wird auch auf das Grummeln von Grass über die Reaktionen auf seine lang verschwiegene SS-Mitgliedschaft stoßen: "… seit langem reif zum Abschuss", heißt es an einer Stelle. Doch bleiben dies Randnotizen in einem Buch über das große Thema Altern.

Bilder der Vergänglichkeit

Dazu gehören auch die Zeichnungen. Grass, Steinmetz, Bildhauer und Grafiker in einer Person, hatte ja stets auch zu Zeichenstift, Pinsel und Feder gegriffen. Sein letztes Buch ist von Motiven durchzogen, die man von dem Künstler kennt. Es sind Vögel und Pilze, absterbendes Holz und Wurzelwerk, Blätter, Federn und Steine, Schnecken, Fossilien, Knochen und Gerippe. Auch hier also: Verfall und Verwitterung.

Immer wieder hat Günter Grass auch Nägel gezeichnet. Mag sein, dass er dabei auch an diejenigen Nägel gedacht hat, die seiner letzten Ruhestätte einmal Standfestigkeit und Halt verleihen sollten. Doch "Vonne Endlichkait" ist auch ein Buch, dass die Kraft der Poesie beschwört, die sich ja immer schon einen Weg zu bahnen wusste aus fest verschlossenen Räumen, jenseits allen körperlichen Verfalls und der Vergänglichkeit des Leibes.

Günter Grass. Vonne Endlichkait, Steidl Verlag 2015, 176 Seiten, ca. 60 Zeichnungen des Autors, 28 Euro, ISBN 978-3-95829-042-6.

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