Günter Grass: Stationen seines Lebens
13. April 2015Günter Grass: Stationen seines Lebens
Streitbarer Intellektueller, Bestseller-Autor, Nobelpreisträger: An diesem Sonntag wäre Günter Grass 95 Jahre alt geworden.
Der Durchbruch als Autor
Die "Blechtrommel" (1959) machte Günter Grass weltberühmt. Der Roman gehört zu den wichtigsten Büchern der deutschen Nachkriegsliteratur. Er ist Teil von Grass' "Danziger Trilogie", die sich mit der deutschen Schuld und der Erinnerung an das Dritte Reich befasst. Die "Blechtrommel" wurde 1979 von Volker Schlöndorff verfilmt und erhielt als erster deutscher Film einen Oscar.
Würdigung mit dem Literaturnobelpreis
Für die "Blechtrommel" erhielt Grass 1999 den Literaturnobelpreis. Laut Begründungsschrift des Komitees wurde er dafür geehrt, dass er "in munterschwarzen Fabeln das vergessene Gesicht der Geschichte gezeichnet" hat und die "Blechtrommel" zu den "bleibenden literarischen Werken des zwanzigsten Jahrhunderts gehören wird."
Jugend im deutschen Osten
"Das vergessene Gesicht der Geschichte" zu zeichnen, war Grass zeitlebens ein Anliegen. Geboren wurde er am 16. Oktober 1927 in Danzig. Dort wuchs er im Vorort Langfuhr (heute Gdansk-Wrzeszcz in Polen) in einfachen Verhältnissen auf. In seiner Jugend war er Messdiener und Mitglied der Hitler-Jugend. In deren Zeitschrift HJ veröffentlichte er erste Geschichten.
Mitglied bei der Waffen-SS
Er meldete sich freiwillig zur Wehrmacht. 1944 wurde er mit 17 Jahren zur Waffen-SS eingezogen. Gegen Ende des Krieges kam er in amerikanische Gefangenschaft. Jahrzehnte später erst äußerte er sich zu seiner Zeit bei der Wehrmacht: Er sei dorthin gegangen, um der familiären Enge zu entkommen, erklärte er 2006 in einem Interview.
Ausbildung zum Künstler
Nach dem Krieg begann er eine Ausbildung zum Steinmetz und nahm das Studium der Grafik und Bildhauerei in Düsseldorf auf. Es folgten Aufenthalte in Berlin und Paris, sowie Ausstellungen von Plastiken und Grafiken. Zeitlebens blieb er der Kunst treu und gestaltete die Umschläge seiner Bücher selbst.
Aufnahme in die "Gruppe 47"
In den 50er-Jahren wandte Grass sich der Literatur zu. 1955 wurde der einflussreiche Schriftstellerkreis "Gruppe 47" auf ihn aufmerksam. "Man wusste, er war Maler oder irgendwie bildender Künstler. Eine finstere Type mit Schlägermütze," erinnerte sich der Autor Hans Werner Richter. Bei einem Treffen der Gruppe las Grass zwei Kapitel aus der "Blechtrommel" vor und begründete damit seine Karriere.
Politisches Engagement
Grass engagierte sich auch politisch und setzte sich für die deutsch-polnische Freundschaft ein. In den 1960er-Jahren trat er - noch ohne Parteibuch - als Wahlkämpfer für die SPD auf. Parteimitglied war er lediglich von 1982 bis 1992. Die Sozialdemokraten unterstützte er jedoch sein Leben lang.
Grass in der Kritik
1995 zerriss der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki Grass' Roman "Ein weites Feld" - im wahrsten Sinne des Wortes, wie der "Spiegel"-Titel es suggerierte. Dieser politische Roman, der ein Panorama deutscher Geschichte zwischen 1848 und der Wende entwirft, löste heftige Debatten um Grass' angebliche Geschichtsverfälschung aus. Das Buch stürmte die Bestsellerlisten.
Sensationserfolg mit deutscher Geschichte
2002 wurde Grass dann wieder von der Literaturwelt gefeiert: Die Novelle "Im Krebsgang", die den Untergang des Schiffes "Wilhelm Gustloff" im Jahr 1945 und die deutsche Vertreibung aus dem Osten behandelt, wurde zum Sensationserfolg. Kritiker priesen Grass dafür, dass er sich diesem schwierigen Thema angenommen habe und lobten die packenden Schilderungen im Roman.
Verlust der Glaubwürdigkeit?
Die nächste große Debatte in Deutschland löste 2006 Günter Grass' Biographie "Beim Häuten der Zwiebel" aus. Darin bekannte er sich dazu, 1944 der Waffen-SS beigetreten zu sein. Kritiker stellen daraufhin seine moralische Integrität und Glaubwürdigkeit in Frage.
Gedicht über Israel
Im Vorfeld seines 85. Geburtstags im Jahr 2012 sorgte Grass erneut für Kontroversen. Mit seinem Israel-Gedicht "Was gesagt werden muss", das in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht wurde, löste er einen Sturm der Kritik aus. Nicht nur stilistisch wurde das Gedicht verrissen: Grass wurde politische Unkenntnis und Antisemitismus vorgeworfen.
Meinungsstark und streitbar
Im Dezember 2013 gehörte er zu den 562 Unterzeichnern des "Writers Against Mass Surveillance"-Aufrufs, in dem zum Widerstand gegen die Überwachungspraktiken der US-Geheimdienste aufgerufen wurde. Günter Grass war sein Leben lang ein streitbarer Intellektueller, der in seinem schriftstellerischen Schaffen auf ebenso viel Begeisterung wie auf Kritik gestoßen war.
Neue Erzählung
Sieben Jahre nach seinem Tod erschien im Sommer 2022 eine bislang unveröffentlichte Erzählung des Nobelpreisträgers. Der Band "Figurenstehen" handelt von der Tochter eines Goldschmieds, die für die Skulptur Uta von Naumburgs Modell stand, einer der bedeutendsten Skulpturen des Mittelalters. Das Buch enthält auch Zeichnungen des Autors. Grass wäre am 16. Oktober 95 Jahre alt geworden.
Günter Grass: Stationen seines Lebens
Streitbarer Intellektueller, Bestseller-Autor, Nobelpreisträger: An diesem Sonntag wäre Günter Grass 95 Jahre alt geworden.
Der Durchbruch als Autor
Die "Blechtrommel" (1959) machte Günter Grass weltberühmt. Der Roman gehört zu den wichtigsten Büchern der deutschen Nachkriegsliteratur. Er ist Teil von Grass' "Danziger Trilogie", die sich mit der deutschen Schuld und der Erinnerung an das Dritte Reich befasst. Die "Blechtrommel" wurde 1979 von Volker Schlöndorff verfilmt und erhielt als erster deutscher Film einen Oscar.
Würdigung mit dem Literaturnobelpreis
Für die "Blechtrommel" erhielt Grass 1999 den Literaturnobelpreis. Laut Begründungsschrift des Komitees wurde er dafür geehrt, dass er "in munterschwarzen Fabeln das vergessene Gesicht der Geschichte gezeichnet" hat und die "Blechtrommel" zu den "bleibenden literarischen Werken des zwanzigsten Jahrhunderts gehören wird."
Jugend im deutschen Osten
"Das vergessene Gesicht der Geschichte" zu zeichnen, war Grass zeitlebens ein Anliegen. Geboren wurde er am 16. Oktober 1927 in Danzig. Dort wuchs er im Vorort Langfuhr (heute Gdansk-Wrzeszcz in Polen) in einfachen Verhältnissen auf. In seiner Jugend war er Messdiener und Mitglied der Hitler-Jugend. In deren Zeitschrift HJ veröffentlichte er erste Geschichten.
Mitglied bei der Waffen-SS
Er meldete sich freiwillig zur Wehrmacht. 1944 wurde er mit 17 Jahren zur Waffen-SS eingezogen. Gegen Ende des Krieges kam er in amerikanische Gefangenschaft. Jahrzehnte später erst äußerte er sich zu seiner Zeit bei der Wehrmacht: Er sei dorthin gegangen, um der familiären Enge zu entkommen, erklärte er 2006 in einem Interview.
Ausbildung zum Künstler
Nach dem Krieg begann er eine Ausbildung zum Steinmetz und nahm das Studium der Grafik und Bildhauerei in Düsseldorf auf. Es folgten Aufenthalte in Berlin und Paris, sowie Ausstellungen von Plastiken und Grafiken. Zeitlebens blieb er der Kunst treu und gestaltete die Umschläge seiner Bücher selbst.
Aufnahme in die "Gruppe 47"
In den 50er-Jahren wandte Grass sich der Literatur zu. 1955 wurde der einflussreiche Schriftstellerkreis "Gruppe 47" auf ihn aufmerksam. "Man wusste, er war Maler oder irgendwie bildender Künstler. Eine finstere Type mit Schlägermütze," erinnerte sich der Autor Hans Werner Richter. Bei einem Treffen der Gruppe las Grass zwei Kapitel aus der "Blechtrommel" vor und begründete damit seine Karriere.
Politisches Engagement
Grass engagierte sich auch politisch und setzte sich für die deutsch-polnische Freundschaft ein. In den 1960er-Jahren trat er - noch ohne Parteibuch - als Wahlkämpfer für die SPD auf. Parteimitglied war er lediglich von 1982 bis 1992. Die Sozialdemokraten unterstützte er jedoch sein Leben lang.
Grass in der Kritik
1995 zerriss der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki Grass' Roman "Ein weites Feld" - im wahrsten Sinne des Wortes, wie der "Spiegel"-Titel es suggerierte. Dieser politische Roman, der ein Panorama deutscher Geschichte zwischen 1848 und der Wende entwirft, löste heftige Debatten um Grass' angebliche Geschichtsverfälschung aus. Das Buch stürmte die Bestsellerlisten.
Sensationserfolg mit deutscher Geschichte
2002 wurde Grass dann wieder von der Literaturwelt gefeiert: Die Novelle "Im Krebsgang", die den Untergang des Schiffes "Wilhelm Gustloff" im Jahr 1945 und die deutsche Vertreibung aus dem Osten behandelt, wurde zum Sensationserfolg. Kritiker priesen Grass dafür, dass er sich diesem schwierigen Thema angenommen habe und lobten die packenden Schilderungen im Roman.
Verlust der Glaubwürdigkeit?
Die nächste große Debatte in Deutschland löste 2006 Günter Grass' Biographie "Beim Häuten der Zwiebel" aus. Darin bekannte er sich dazu, 1944 der Waffen-SS beigetreten zu sein. Kritiker stellen daraufhin seine moralische Integrität und Glaubwürdigkeit in Frage.
Gedicht über Israel
Im Vorfeld seines 85. Geburtstags im Jahr 2012 sorgte Grass erneut für Kontroversen. Mit seinem Israel-Gedicht "Was gesagt werden muss", das in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht wurde, löste er einen Sturm der Kritik aus. Nicht nur stilistisch wurde das Gedicht verrissen: Grass wurde politische Unkenntnis und Antisemitismus vorgeworfen.
Meinungsstark und streitbar
Im Dezember 2013 gehörte er zu den 562 Unterzeichnern des "Writers Against Mass Surveillance"-Aufrufs, in dem zum Widerstand gegen die Überwachungspraktiken der US-Geheimdienste aufgerufen wurde. Günter Grass war sein Leben lang ein streitbarer Intellektueller, der in seinem schriftstellerischen Schaffen auf ebenso viel Begeisterung wie auf Kritik gestoßen war.
Neue Erzählung
Sieben Jahre nach seinem Tod erschien im Sommer 2022 eine bislang unveröffentlichte Erzählung des Nobelpreisträgers. Der Band "Figurenstehen" handelt von der Tochter eines Goldschmieds, die für die Skulptur Uta von Naumburgs Modell stand, einer der bedeutendsten Skulpturen des Mittelalters. Das Buch enthält auch Zeichnungen des Autors. Grass wäre am 16. Oktober 95 Jahre alt geworden.