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Politik

G20: EU schnürt Hilfspaket für Afghanistan

12. Oktober 2021

Afghanistan droht nach der Eroberung durch die Taliban eine humanitäre Katastrophe. Die wichtigsten Industrie- und Schwellenländer stellen Hilfe in Aussicht. Auch Kanzlerin Merkel pocht auf humanitäre Hilfe für Kabul.

Türkei Istanbul | Virtueller G20-Sondergipfel | Recep Tayyip Erdogan
An der virtuellen G20-Konferenz nahmen etliche Staats- und Regierungschefs teilBild: Mustafa Kamaci/Anadolu Agency/picture alliance

Angesichts einer drohenden Hungerkatastrophe will die EU-Kommission die Menschen in und um Afghanistan mit rund einer Milliarde Euro unterstützen. Das kündigte Kommissionschefin Ursula von der Leyen mit Blick auf das virtuelle G20-Sondertreffen zu Afghanistan an. 300 Millionen Euro dieser Summe waren als humanitäre Hilfe bereits zuvor angekündigt worden. Die G20, in der die stärksten Volkswirtschaften wie Deutschland vertreten sind, berieten auf Einladung der italienischen Regierung über die humanitäre Lage am Hindukusch. Italien hat derzeit den G20-Vorsitz inne.

Zu den genannten 300 Millionen Euro hinzu kommen unter anderem mindestens 250 Millionen Euro für gesundheitliche Maßnahmen. Das Geld soll sowohl Menschen in Afghanistan als auch in den Nachbarstaaten zugutekommen. In den Nachbarstaaten sollen damit auch das "Migrationsmanagement", der Kampf gegen Menschenschmuggel und organisiertes Verbrechen sowie Terrorismusprävention gefördert werden.

Afghanistan vor dem wirtschaftlichen Kollaps

02:30

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UN sollen koordinieren

Bei dem Gipfel beauftragten die G20-Staaten die Vereinten Nationen, die humanitäre Hilfe für Afghanistan zu koordinieren. Das teilte der italienische Ministerpräsident Mario Draghi als Gastgeber nach der Videokonferenz der 20 wichtigsten Industrienationen mit. Zudem seien sich alle Staats- und Regierungschefs einig, dass das Land nach der Machtergreifung der Taliban die Menschen- und vor allem Frauenrechte anerkennen müsse und kein Rückzugsort für Terroristen werden dürfen. "Wir dürfen nicht an den Punkt kommen wie vor 20 Jahren", unterstrich Draghi. Er zeigte sich zufrieden, dass es das erste Mal eine gemeinsame Linie der weltweit wichtigsten politischen Entscheider beim Thema Afghanistan gebe. "Der Multilateralismus kehrt zurück, zwar mit Mühe, aber er kommt wieder."

Der italienische Ministerpräsident Mario Draghi hatte zu dem Video-Gipfel eingeladenBild: Riccardo Antimiani/LaPresse/ZUMA Press/picture alliance

Merkel betont Rolle der UN

Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßte die Ankündigung der EU und bekräftigte zugleich, dass Deutschland in diesem Jahr 600 Millionen Euro bereitstelle. Das hatte die Bundesregierung schon vor gut einem Monat angekündigt. Der wirtschaftliche Kollaps Afghanistans müsse verhindert werden, betonte Merkel. Alle Menschen in Afghanistan hätten "ein Recht auf ein Leben in Frieden, Würde und Sicherheit", betonte die Kanzlerin. Man könne nicht zuschauen, wie ein Land mit 40 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner ins Chaos stürze. Ein Teil der deutschen Hilfe geht ebenfalls an die Nachbarländer. Gemeinsam werde man alles tun, dass die Menschen in der Nähe ihrer Heimat leben könnten, sagte die Kanzlerin.

Den Vereinten Nationen komme bei der Krisenbewältigung und der "absehbaren humanitären Herausforderung" eine besondere Bedeutung zu. "Wir fordern, dass alle Organisationen der Vereinten Nationen auch Zugang haben für die humanitäre Hilfe, die sie durchsetzen wollen", sagte Merkel. Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank hätten die Aufgabe, "den Zusammenbruch des Zahlungssystems zu verhindern". Nur so könne humanitäre Hilfe die Menschen überhaupt erreichen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel informiert im Kanzleramt über den virtuellen G20-Gipfel zu AfghanistanBild: Christoph Soeder/dpa/picture alliance

Die radikalislamischen Taliban hatten im August die Macht in Afghanistan wieder an sich gerissen. Während die ausländischen Truppen das Land verließen, sind UN-Agenturen und ihre Partner weiterhin vor Ort, um der Bevölkerung zu helfen. Die Islamisten bemühen sich seitdem um die internationale Anerkennung ihrer Regierung sowie um humanitäre Hilfe, um eine Hungerkatastrophe zu verhindern.

Nach Angaben von US-Präsident Joe Biden berieten die G20 auch über die Notwendigkeit, die Bemühungen zur Terrorismusbekämpfung äußerst konzentriert fortzusetzen. Demnach wurde auch darüber gesprochen, wie man gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) vorgehen könne, die in Afghanistan auch unter der Taliban-Herrschaft Anschläge verübt hat.

Grundversorgung vor dem Kollaps

Nach UN-Angaben sind rund 18 Millionen Afghanen - und damit die Hälfte der Gesamtbevölkerung - auf humanitäre Hilfe angewiesen. 93 Prozent der Haushalte haben nicht genug zu essen. Die Grundversorgung steht nach UN-Einschätzung vor dem Zusammenbruch. Es drohe eine noch viel größere Katastrophe, wenn die internationale Gemeinschaft es zulasse, dass Afghanistans Gesundheitswesen, die Banken und die Wirtschaft kollabieren.

Ein Überblick über die drohende Hungersnot wegen der Dürre (01.09.2021)

Auch das Kinderhilfswerk UNICEF warnte vor den Folgen der "dramatischen Gesundheits- und Ernährungskrise" in dem Land. Der schon bald heraufziehende Winter bringe die afghanischen Kinder in tödliche Gefahr. Nach Schätzungen könnten bis Ende des Jahres 3,2 Millionen Kinder unter fünf Jahren an akuter Mangelernährung leiden. Eine Million Kinder könnten so schwer mangelernährt sein, dass sie sterben.

Derweil berichtet Fabrizio Cesaretti, ein Vertreter der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaf (FAO) in Afghanistan, das Land sei mit der schlimmsten Dürre seit mehr als 35 Jahren konfrontiert, was zu schlechten Ernten geführt habe. "Die Lage ist wirklich verzweifelt. Der lange Konflikt und die Dürre, die das Land heimgesucht hat, machen es den Menschen schwer, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten", sagte Cesaretti der Deutschen Welle. Dies erschwere es auch, "Getreide wie Weizen anzubauen - ein Grundnahrungsmittel, das für viele Familien eine wichtige Rolle spielt, um den harten Winter zu überstehen." Cesaretti fügte hinzu: "Auch die Grenzen zu Ländern wie Pakistan sind geschlossen, was es den Landwirten erschwert, ihre Produkte zu exportieren und ihren Lebensunterhalt zu verdienen." Er rief die G20-Staaten dazu auf, den afghanischen Agrarsektor dringend durch Finanzierungsprogramme zu unterstützen.

kle/ehl (epd, afp, rtr, dpa)

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