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PolitikEuropa

G20: Der Gipfel unter den umstrittenen Saudis

21. November 2020

Saudi-Arabien führt beim Gipfel der Mächtigen und Reichen den Vorsitz. Das Land steht wegen der schlechten Menschenrechtssituation im eigenen Land am Pranger. Kümmert das die G20? Aus Brüssel Bernd Riegert.

Saudi Arabien | G20-Finanzministertreffen in Riad
Bild: Getty Images/AFP/F. Nureldine

Der gesundheitlich fragil wirkende 84 Jahre alte König von Saudi Arabien, Salman ibn Abd al-Aziz Al Saud, leitet den virtuellen G20-Gipfel am Wochenende in Riad. Die COVID-19-Pandemie, die auch das Hauptthema der Videokonferenz ist, macht ein persönliches Treffen der wichtigsten Staats- und Regierungschefs der Welt unmöglich. Zum Auftakt des Gipfels forderte König Salman eine gleichberechtigte Verteilung von Corona-Impfstoffen und -Medikamenten.

Wegen Corona hatte sich die "Gruppe der 20" bereits im März zu einer außerordentlichen Sitzung zusammengeschaltet. Damals hatte König Salman mit schleppender Stimme und blumigen Worten die internationale Zusammenarbeit gepriesen: "Durch unsere Kooperation sind wir heute zuversichtlich, dass wir zusammen die Krise überwinden werden und uns in eine Zukunft aufmachen, in der alle Völker gedeihen, wohlhabend und gesund sind."

Der greise Monarch Salman leitet das G20-TreffenBild: DPISA/Xinhua/picture-alliance

Mehr Konjunkturprogramme?

Überwunden ist die internationale Corona-Krise noch lange nicht. Die Welt steckt in einer nie dagewesenen Wirtschaftskrise, mit der sich die G20 auseinandersetzen müssen. Die saudi-arabische Präsidentschaft der G20 rechnet vor, dass die wichtigsten Industrie- und Schwellenländer und die EU insgesamt rund elf Billionen Dollar in Konjunkturprogramme stecken wollen. 21 Milliarden Dollar sind für Impfstoffe und Therapien gegen Corona vorgesehen. 14 Milliarden Dollar an Schuldzinsen sollen den ärmeren Ländern gestundet werden.

Die 19 Staats- und Regierungschefs sowie die Vertreter der EU müssen nun diskutieren, ob diese Summen ausreichen oder ob noch draufgesattelt werden muss. Dabei sind die Interessen der Runde sehr gegenläufig. Die USA, vertreten durch Noch-Präsident Trump, der sich weiterhin weigert abzutreten, halten von internationalen Institutionen wenig, während die Europäer auf eine globale Zusammenarbeit bei der Verteilung von Impfstoffen pochen.

Stundung von Zinsen, kein Schulden-Erlass

Die ärmeren Staaten der Welt, die nicht am G20-Tisch sitzen, erwarten nicht allzu viel von dem Treffen. Der aus Togo stammende und in Wien lebende Politikexperte Yves Ekoue Amaizo glaubt nicht daran, dass die G20 tatsächlich nennenswert Schulden erlassen werden. "Man wird über Schuldenerleichterung reden. Kein Zweifel", sagte Amaizo. Gestundet würden aber nur die Zinszahlungen. Die Schuld als solche bleibe bestehen. "Auch wird es da nicht um private Kredite gehen. Wenn, dann vielleicht um staatliche Kredite." Die machten aber eher den geringeren Teil der Schuldenlast aus, so Politikexperte Amaizo.

G20-Eperte Amaizo: Wenig konkrete Hilfen für AfrikaBild: Privat

Der togolesische Wissenschaftler glaubt nicht, dass die Industriestaaten ein wirkliches Interesse an einer Entschuldung Afrikas hätten. China, die USA, Russland und Europa würden untereinander streiten, wie sie sich über Kredite und Investitionen Zugang zu afrikanischen Rohstoffen sichern: "Sie haben kein Interesse daran, ihre Schuldner loszuwerden. Es wird heiß diskutiert werden. Es wird Druck geben, um an die produktiven Werte der Schuldner heranzukommen. Davon gibt es in Afrika nicht viel, wie Sie wissen, sondern hier geht es um Bodenschätze. Es geht um einfacheren, billigeren Zugang."

EU will mit Saudis Probleme bilateral verhandeln

Bei Parlamentariern in den USA und der EU gibt es starke Zweifel, ob ein Treffen unter dem Vorsitz der absoluten Monarchie Saudi-Arabien wirklich angezeigt ist. Das Europäische Parlament verlangte, dass EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel diesmal nicht persönlich vor dem Videoschirm sitzen. "Es wäre besser, keine hochrangige Delegation zu schicken, sondern eine einfache Delegation, die in der Lage ist, ein starkes Signal an die saudischen Behörden zu senden", sagte der belgische Europaabgeordnete Marc Tarabella der DW.

Ihr erster G20-Gipfel: EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen will Menschenrechte "bilateral" ansprechenBild: John Thys/AFP/Getty Images

Die EU-Kommission weist diese Forderungen zurück. Es gehe nicht um die Lage in Saudi-Arabien, sondern um globale Themen wie die Wirtschaftskrise oder den Klimaschutz, meint Eric Mamer, der Sprecher der EU-Kommission: "Wir legen die Tagesordnung der G20 nicht fest. Diese Treffen folgen sehr strikten Regeln und Protokollen, wenn es um das Rederecht geht. Das sind die Bedingungen, unter denen die EU an den G20-Treffen teilnimmt." Öffentliche Kritik am Gastgeberland Saudi-Arabien wird es wohl kaum geben. Das wolle die EU diskret erledigen, kündigte Eric Mamer an. "Es gibt viele Kommunikationskanäle in unserem bilateralen Dialog mit Saudi-Arabien, in denen wir unsere Bedenken zu Menschenrechten anbringen können."

Massive Probleme mit den Menschenrechten

Kritikpunkte am saudischen Herrschaftssystem gibt es viele. Noch immer ist der Mord an dem kritischen Journalisten Jamal Khashoggi vor zwei Jahren nicht aufgeklärt. Kronprinz Mohammed bin Salman soll hinter dem Anschlag stecken, der im saudischen Konsulat in Istanbul verübt wurde.

Doch die Beseitigung von Oppositionellen ist nur die Spitze des Eisbergs, sagt Rothna Begum von der Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch". Sie beobachtet seit Jahren die Zustände in der äußerst wohlhabenden Öl-Monarchie. "Saudi Arabien hat eine schlimme Menschenrechtslage. Es führt immer noch Krieg gegen sein Nachbarland Jemen. Saudi-Arabien unterdrückt Menschenrechts-Aktivisten im eigenen Land. Dutzende von Oppositionellen wurden ins Gefängnis geworfen, jeder, der irgendeine Form von Kritik äußert. Außerdem werden die Menschenrechte von Frauen verletzt, weil man mit männlichen Vormundschaften Frauen in ihrem eigenen Land zu Bürgerinnen zweiter Klasse degradiert", schätzt Rothna Begum die Situation ein.

Kronprinz Mohammed bin Salman (MBS) zieht die Fäden im HintergrundBild: picture-alliance/dpa

Während der G20-Präsidentschaft haben Kronprinz Mohammed bin Salman und viele andere Mitglieder der Herrscherfamilie versucht, dem Land ein neues Image zu verpassen. Reformfreudiger, weltoffener und zugänglicher als von vielen vermutet. Für Aufsehen sorgte die Erlaubnis für Frauen, Auto zu fahren und eigenständig einen Reisepass zu beantragen. Das System, in dem Männer alle Entscheidungen für Frauen treffen, wurde in dem zutiefst konservativ-islamischen Land etwas aufgeweicht.

"Der Kronprinz möchte sich mit den Reformen schmücken, die die Frauen selbst verlangt haben", bemängelt Rothna Begum von "Human Rights Watch". "Gleichzeitig sperrt er die Aktivisten für Frauenrechte ins Gefängnis. Das ist lächerlich. Wenn sie als Vorkämpfer für Frauenrechte gesehen werden wollen, können sie nicht gleichzeitig Frauen wegsperren, die eben diese einfordern."

Saudis nutzen ihren Einfluss

Saudi-Arabien, das mit seinem immensen Reichtum gerne bei Waffenproduzenten in Europa und den USA auf Einkaufstour geht, steht auch im Verdacht, islamistischen Terror aktiv zu fördern. Politikexperte Yves Ekoue Amaizo nennt ein Beispiel aus Afrika. "Afrikanische Staaten mit einer mehrheitlich muslimischen Bevölkerung schicken ihre Leute den Saudis, damit sie im Jemen kämpfen. Die Gründe dafür sind das Geld und die hohen Investitionen, die sie von den Saudis für ihr Land bekommen." Die Saudis schwiegen dabei im Gegenzug zu Korruption und Missständen in afrikanischen Staaten, so Amaizo.

EU-Diplomaten warnen vor zu großen Erwartungen und vor zu harten Maßstäben. Die G20 seien keine Wertegemeinschaft, sondern hauptsächlich ein Wirtschaftsklub. Schließlich müssten hier westliche Demokratien mit autokratischen Regimen wie in Russland, einer Einparteiendiktatur in China und eben auch der absoluten Monarchie Saudi-Arabien mit höchst unterschiedlichen Interessen eine Gesprächsbasis finden.

Dieser Artikel wurde aktualisiert.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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