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G7 beschließen "Steuerrevolution"

5. Juni 2021

Finanzminister Scholz spricht von einer guten Nachricht für die Steuergerechtigkeit: Konzerne sollen künftig nicht mehr in Steueroasen flüchten können und mindestens 15 Prozent Steuern zahlen. Bernd Riegert berichtet.

London | G7 | Treffen der G7 im Lancester House
Bild: Henry Nicholls/AFP

Die Finanzministerinnen und Finanzminister der sieben leistungsstärksten Industriestaaten der Welt (G7) haben sich auf  ein Jahrhundert-Projekt geeinigt. "Eine beispiellose, durchschlagende Verpflichtung." So beschreibt zumindest die amerikanische Finanzministerin Janet Yellen das Ergebnis der Beratungen in London. Denn vor rund 100 Jahren wurde das letzte Mal auf globaler Ebene eine Regelung zur Besteuerung von Unternehmen eingeführt. Damals wurde vom Völkerbund kurz nach dem Ersten Weltkrieg die Regel eingeführt, dass Unternehmen dort besteuert werden, wo sie ihren physischen und rechtlichen Sitz, ihre "Betriebsstätte" haben. Dieses "Ortsprinzip" soll nun abgelöst werden durch das "Umsatz-Prinzip", das besser auf die Geschäftsmodelle der globalisierten Wirtschaft im Internet-Zeitalter passt.

Die großen multinationalen Konzerne sollen in dem Land Steuern zahlen, in dem sie Umsatz machen. Google soll also dort versteuern, wo es seine Daten einsammelt und Werbung verkauft. Handelsplattformen wie Amazon sollen in dem Land Steuern zahlen, in dem ihre Kunden einkaufen. Die Neuordnung betrifft auch eher traditionelle Konzerne wie die deutschen Autobauer. Volkswagen würde dann mehr Steuern in China zahlen und weniger in Europa. Denn die meisten Fahrzeuge setzt das Wolfsburger Unternehmen in China ab. Steuervermeidung ist heute nach einer Studie der Universität Oxford schon eher der Regelfall als die Ausnahme. Rund die Hälfte der im G7-Gastgeberland ansässigen internationalen Unternehmen zahlen in Großbritannien keine Steuern, weil sie ihre Gewinne ins Ausland verschieben.

Ordentlich was zu holen: Entgangene Steuern von Internet-Konzernen

Finanzminister hoffen auf mehr Einnahmen

Die Finanzminister Frankreichs, Italiens und Deutschlands sowie das ständige G7-Gastland Spanien sprachen sich nachdrücklich für die neue Ordnung aus. Das Vereinigte Königreich, derzeit Vorsitzender der G7, zögerte noch. Deshalb hat man sich in London auf das Prinzip geeinigt, weitere Einzelheiten müssen noch ausgehandelt werden. Finanzminister Rishi Sunak will zuerst genau durchrechnen, welche Folgen die Jahrhundert-Reform für sein Land hätte. Es geht nach Schätzungen der EU-Kommission um einen Kuchen von mindestens 50 Milliarden Euro an zusätzlichen weltweiten Steuereinnahmen. Die neue US-Finanzministerin Janet Yellen hofft, dass große amerikanische Internetkonzerne künftig mehr Steuern in den USA zahlen müssten und sie auch mehr Geld von europäischen Konzernen kassieren kann, die in Amerika gute Geschäfte machen. Erst das neue Engagement der USA nach dem Regierungswechsel von Präsident Trump zu Präsident Biden im Januar machte den Durchbruch möglich.

Breites Grinsen: Finanzminister Scholz freut sich in London über "faires Steuersystem"Bild: Alberto Pezzali/AP/dpa/picture alliance

Aus für Steuervermeidung?

Mit dem "Umsatz-Prinzip" würden auch viele Möglichkeiten zur Steuervermeidung für die Unternehmen wegfallen. Bislang ist es ihnen rechtlich möglich, Gewinne über ein weit verzweigtes Netz von Tochterfirmen weltweit dahin zu verschieben, wo die Steuersätze niedrig oder die Schlupflöcher groß sind. Oder beides. So ist kein Zufall, dass Google seine Gewinne in Irland beim Fiskus anmeldet und Amazon in Luxemburg. Beides sind Länder mit einem günstigen Steuerumfeld für internationale Konzerne. In der EU gibt es weitere günstige Steuerhäfen, wie die Niederlande, Zypern, Malta.

Hinzu kommen zahlreiche Steueroasen in der Karibik oder unter britischer Verwaltung. "Das ist eine sehr gute Nachricht für die Steuergerechtigkeit und die Solidarität. Konzerne werden nicht mehr in der Lage sein, sich ihrer Steuerpflicht dadurch zu entziehen, dass sie ihre Gewinne geschickt in Niedrigsteuer-Länder verschieben", lobte Bundesfinanzminister Olaf Scholz die Beschlüsse.

Mindestens 15 Prozent Steuer auf Gewinne

Zusätzlich zum "Umsatz-Prinzip" wollen die Reformer in der G7 einen weltweit gültigen Mindeststeuersatz von mindestens 15 Prozent durchsetzen, was den Verschiebebahnhof für Gewinne und Steuerschulden wohl erheblich behindern würde. Hier war die amerikanische Finanzministerin Yellen bei den Beratungen in London ebenfalls treibende Kraft. US-Präsident Biden hatte zunächst 21 Prozent Mindeststeuer auf Unternehmen vorgeschlagen und erntete Widerstand von einer ganzen Reihe von Staaten, die heute weiter unter dieser Marke mit ihren Steuersätzen liegen. Daraufhin wurde der Steuersatz auf 15 Prozent vermindert, die ungefähr das untere Ende der heute nominal fälligen Steuersätze in der EU abbilden.

Die Unternehmenssteuern sind in den letzten Jahrzehnten stetig gefallen. In Deutschland lagen sie 1980 noch bei 60 Prozent, inzwischen bei 30 Prozent. In den USA haben sie sich in den letzten vier Jahrzehnten ebenfalls von 50 auf 25 Prozent halbiert. Ebenso in Japan. In Großbritannien liegen sie sogar knapp unter 20 Prozent. G7-Offizielle in London sagten, sie müssten noch Mechanismen finden, damit Staaten mit Ausnahmeregeln und laschen Kontrollen die Mindestbesteuerung nicht unterlaufen könnten.

Kritik kommt aus "Niedrigsteuer-Ländern"

Bedenken gibt es vor allen von kleineren EU-Staaten und ärmeren Staaten in aller Welt, die niedrige Steuersätze als Argument im Wettbewerb um Unternehmensansiedlungen anführen. "Dieser Wettbewerb nach unten" müsse aufhören, fordert der französische Finanzminister Bruno Le Maire. "Digitalisierung und internationaler Steuerwettbewerb haben zu lange Schlupflöcher geöffnet, die manchen Unternehmen Steuerflucht erlauben. Wir müssen ein System wiedererrichten, das auf fairer Besteuerung fußt", sagte Le Maire in London. Mit einem Steuersystem aus den Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts könne man nicht mehr arbeiten.

Sollte sich auch der G7-Gipfel der Staats- und Regierungschefs kommende Woche der "Steuerrevolution" anschließen, zieht die Karawane weiter. Neben den sieben Großen wird vor allem die Zustimmung der 20 wichtigsten Volkswirtschaften der Erde (G20) gebraucht. Wenn man ein globales Besteuerungsprinzip und einen globalen Mindeststeuersatz will, muss man die G20, zu denen auch China, Brasilien, Südafrika, Indien und Australien gehören, einen. Die G20 vertreten 66 Prozent der Weltbevölkerung und 90 Prozent der globalen Wirtschaftskraft.  Auch hier stehen die Chancen nach Einschätzung von Experten nicht schlecht. Spätestens Ende Oktober soll der G20-Gipfel in Italien das Projekt beschließen.

Biden und Corona beflügeln

Neben dem neuen Engagement der Biden-Regierung in den USA hat auch die Corona-Pandemie den Finanzministern Beine gemacht. Sie brauchen Geld für den Wiederaufbau ihrer arg gebeutelten Wirtschaftssysteme und zur Sanierung der hoch verschuldeten Haushalte. "Stabile Steuereinnahmen sind wichtig, damit Staaten ihre Aufgaben erfüllen können. Das wird nach der Corona-Pandemie noch dringlicher", sagte Finanzminister Olaf Scholz nach den erfolgreichen Verhandlungen.  Mehr Steuereinnahmen durch ein besser durchdachtes, vielleicht sogar gerechteres Steuersystem sind da sehr verlockend. Die Diskussion über Internet-Steuern und Finanzmarkt-Transaktionssteuern begann bereits nach der Finanzkrise 2010. Da die Staaten alle unterschiedlich betroffen waren, konnte man sich bis 2019 nicht einigen. Die G20 verabschiedeten eine wohlfeile Absichtserklärung nach der anderen. Nun aber sitzen durch die Corona-Krise und ihre Folgen alle Finanzminister mehr oder weniger in einem Boot. Das schweißt zusammen.

Digital-Steuern wieder abschaffen

G7-Mitglieder: USA, Kanada, Vereinigtes Königreich, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan

Italien, Frankreich und Großbritannien haben bereits eigene nationale Steuern für Internet-Geschäfte erlassen, die vor allem auf amerikanische Tech-Giganten zielen. Diese Steuern müssen Paris und London nun wieder abschaffen. Das war für die USA eine Vorbedingung für den Deal. Im Gegenzug streicht Finanzministerin Yellen die Sanktionen, mit denen französische und britische Produkte als Antwort auf die Internetsteuer belegt werden sollten.

Kompliziert dürfte die Diskussion in der Europäischen Union in den nächsten Wochen ausfallen. Zwar ist auch die EU Mitglied der G7 und im Prinzip für die große Steuerreform, aber einzelne Mitgliedsländer, wie das Niedrigsteuerland Irland, die um ihre Geschäftsmodelle fürchten, sperren sind. Der irische Finanzminister Paschal Donohoe, der auch Vorsitzender der Euro-Gruppe ist, mahnte an, dass die Interessen der kleinen Länder gewahrt werden müssten. "Ich freue mich auf eine engagierte Diskussion im Rahmen der OECD, der 139 Staaten angehören", meinte Donohoe und hofft wohl darauf, in der "Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung" noch Änderungen an den neuen Steuer-Regeln durchsetzen zu können.

Als ersten Schritt haben sich die EU-Institutionen auf ein Gesetz geeinigt, dass großen Firmen vorschreibt, ihre Steuerzahlungen pro EU-Mitgliedsland aufzuschlüsseln. Dieses "country-by-country-reporting" soll für mehr Transparenz sorgen und aufzeigen, in welche Länder Gewinne geschoben werden, um sie niedrig besteuern zu lassen. Eine zunächst vorgeschlagene "Digitalsteuer" auf Internetgeschäfte, die die EU im Frühjahr vorgeschlagen hat, dürfte nach der Einigung der G7 jetzt begraben werden.

 

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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