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Politik

G7: Krisenpolitik im Schatten der Ukraine

20. Mai 2022

Klimakrise, Ernährungssicherung, Pandemiebekämpfung: Der Krieg in der Ukraine wirkt wie ein Brandbeschleuniger auf die Probleme im globalen Süden. Die großen Wirtschaftsnationen müssen reagieren.

Hungersnot am Horn von Afrika
Die Hungersnot am Horn von Afrika wird durch den Krieg in der Ukraine noch verschärftBild: Zerihun Sewunet/UNICEF/AP Photo/picture alliance

Für die Entwicklungs- und Schwellenländer dürfte es eine Erleichterung sein: "Wir als G7 haben die anderen Krisen in der Welt nicht vergessen. Ganz im Gegenteil", beeilte sich die deutsche Entwicklungsministerin Svenja Schulze nach einem Treffen mit ihren Amtskollegen aus der Gruppe der Sieben in Berlin zu betonen.

Die G7, das sind Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und die USA. Als sich die Länder in den 1970er-Jahren zusammenschlossen, waren sie die stärksten Industrienationen der Welt. Wirtschaft war das dominierende Thema. Heute geht es vor allem um weltpolitische Themen, die nur multilateral, also gemeinsam zu bewältigen sind. Die EU-Kommission sitzt mit am Tisch, die Sorgen und Nöte der Entwicklungs- und Schwellenländer sind fester Bestandteil jeder G7-Agenda.

Verschobener Fokus  

Doch seit Russland die Ukraine überfallen hat, dominiert auch bei den G7 der Krieg. Themen wie Klimawandel, Pandemiebekämpfung, Umweltschutz, wirtschaftliche Stabilität und Nachhaltigkeit, die Deutschland zum Schwerpunkt seiner G7-Präsidentschaft erklärt hat, drohten in den Hintergrund zu geraten.  Dabei wirkt der Krieg für die Länder im globalen Süden wie ein Brandbeschleuniger und lässt die Probleme dort noch wachsen und größer werden.

Entwicklungsministerin Svenja Schulze mit Achim Steiner, dem Leiter des UN-EntwicklungsprogrammsBild: Thomas Koehler/photothek/IMAGO

"Wir vergessen oft, dass die Mehrheit der Menschheit in Entwicklungsländern lebt", sagte UNDP-Chef Achim Steiner, der bei dem Treffen der Entwicklungsminister dabei war. "Krisen auf Finanzmärkten oder die enorme Herausforderung durch den Krieg lassen auf den Weltmärkten die Preise für Nahrungsmittel, für Energie auch für Kapital explodieren, was vor allem bei der Verschuldung natürlich sofort ein Problem ist."

Schwerste Hungersnot seit dem Zweiten Weltkrieg

Russland und die Ukraine bedienen zusammen etwa 20 Prozent der weltweiten Mais- und 30 Prozent der Weizenexporte. Ägypten, Tunesien, Libyen, Libanon, Jemen, die Palästinensischen Gebiete, Somalia, die Sahel-Länder oder Pakistan - um nur einige zu nennen - sind von Importen der beiden großen Produzenten abhängig. Dazu kommen die massiven Preissteigerungen für Getreide.

Das Welternährungsprogramm (WFP) schätzt, dass der Krieg noch in diesem Jahr die Zahl der weltweit Hungernden um bis zu 47 Millionen Menschen erhöhen wird. "Es droht uns die schwerste Hungersnot seit dem Zweiten Weltkrieg. Und deswegen müssen wir jetzt entschlossen und vor allen Dingen gemeinsam handeln und dafür sorgen, dass das Getreide schnell zu den Hungernden kommt", so Entwicklungsministerin Schulze.

Hilfe koordinieren und organisieren

Gemeinsam mit Weltbank-Präsident David Malpass hat Schulze ein Bündnis für Ernährungssicherung initiiert und auf die G7-Agenda gesetzt. In einem ersten Schritt geht es darum, Länder und Organisationen so zu koordinieren, dass nicht ein Entwicklungsland von einer Vielzahl von Gebern überfordert wird und ein anderes Land gar keine Unterstützung bekommt.

"Es dürfen keine Exportbeschränkungen verhängt werden und Agrarprodukte müssen weiter von den Sanktionen ausgenommen bleiben", so Schulze. "Es ist auch wichtig, dass Hilfsorganisationen wie das Welternährungsprogramm das nötige Geld haben, um dann eben Lebensmittel auch kaufen zu können und dann eben auch verteilen zu können."

Dürre und Unwetter lassen Ernten ausfallen

Das Bündnis soll aber mehr bewirken als nur Nothilfe. Man müsse darauf achten, "die Strukturen nachhaltig so zu verändern, dass Entwicklungsländer sich künftig stärker selbst versorgen können, anstatt vom Weltmarkt abhängig zu sein", so Schulze. "Es muss in den Entwicklungsländern selbst mehr produziert werden können, vor allen Dingen auch für den eigenen, für den regionalen Markt." Der Anbau müsse "klimaangepasster und vielfältiger" werden und die Ernährungssysteme widerstandsfähiger.

Arbeitssitzung der G7-Entwicklungsminister in BerlinBild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Ernteausfälle in Entwicklungsländern als Folge des Klimawandels sollen besser aufgefangen werden. "Das Thema wird seit langem sehr kontrovers international diskutiert zwischen den Entwicklungsländern, die sozusagen einen Schadensersatz von den Verursachern des Klimawandels fordern, von uns Industrieländern", umreißt Schulze das Problem. Doch diese lehnen eine Haftung ab.

Ernteausfälle versichern

Stattdessen soll es einen "Schutzschirm gegen Klimarisiken" geben, der etwa mit Versicherungen oder sozialen Sicherungssystemen vorsorgt. "Wenn dann die Dürre kommt, steht das Geld schon bereit, und das vermindert dann den Schaden", erklärt Schulze. "Ich bin zuversichtlich, dass dieses Konzept auch bei der nächsten Klimakonferenz dieses Jahr in Ägypten helfen kann, Brücken zu bauen."

Versicherung gegen Ernteausfall für Malis Bauern

02:10

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Ein weiteres Thema der deutschen G7-Präsidentschaft ist die sogenannte feministische Entwicklungspolitik, bei der es darum geht, Strukturen und Rollenbilder aufzubrechen, die "einfach ungerecht" seien, wie Schulze betont. "Mädchen und Frauen sind oft von den Krisenfolgen besonders stark betroffen." Die G7 wollen den Anteil der Entwicklungsmaßnahmen für die Stärkung von Frauen in den nächsten Jahren steigern. "Das ist eben kein Gedöns, sondern die Voraussetzung für erfolgreiche Entwicklungspolitik."

Gesundheitsvorsorge stärken

Svenja Schulze war nicht das einzige deutsche Regierungsmitglied, das in der vergangenen Woche G7-Amtskollegen empfing. Die Gesundheitsminister tagten ebenfalls in Berlin, die Finanzminister in Bonn. Viele Themen betreffen mehrere Ressorts, beispielsweise die Überschuldung der Entwicklungsländer und der Kampf gegen COVID-19. "In den ärmsten Ländern sind teilweise erst 15 Prozent der Menschen geimpft, und wir können und müssen das ändern", fordert Gesundheitsminister Karl Lauterbach.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach in BerlinBild: Thomas Trutschel/photothek/picture alliance

Ziel der G7 sei es jetzt, "die letzte Meile" in den Blick zu nehmen. "Es geht um den Transport der Impfstoffe in den Entwicklungsländern, um so etwas wie Kühlschränke zur Lagerung und Verbrauchsmaterialien wie Spritzen, und eben auch um ausgebildetes Gesundheitspersonal." Woher die Gelder dafür kommen sollen, darüber berieten die Gesundheitsminister am Freitag zusammen mit den Finanzministern.

"Zoonosen werden zunehmen"

Aufgabe der G7 sei neben der Bekämpfung der aktuellen Pandemie aber auch die Prävention absehbar weiterer Virusausbrüche. So simulierten die Gesundheitsminister bei ihrem Treffen in einer Übung den Ausbruch einer Pocken-Pandemie, ausgehend von einem Leopardenbiss. Eine Übung mit unerwarteter Aktualität. Wie man angesichts der sich ausbreitenden Affenpocken sehe, seien Tierpocken, die sich auf Menschen übertragen, "keine reine Theorie", sagte Lauterbach.

Arbeitssitzung der G7-Gesundheitsminister in BerlinBild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

"Die Zoonosen werden zunehmen", warnt der Gesundheitsminister und macht dafür auch den Klimawandel und die daraus resultierenden Veränderungen der Ökosysteme verantwortlich. "Die Wahrscheinlichkeit, dass es neue Pandemien aus solchen Ausbrüchen heraus gibt, steigt überproportional, wir werden eine Zunahme von Übertritten von Viren oder anderen Erregern auf den Menschen sehen."

G7-Gipfel kostet 80 Millionen Euro

Ein Pakt zur Bekämpfung von Pandemien sieht vor, weltweit Expertennetzwerke aufzubauen und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu stärken. "Wir brauchen Institutionen, die zuständig sind. Wir brauchen aber auch sehr gut ausgebildete junge Leute, die eine Spezialausbildung für Pandemien haben, die es derzeit nur sehr begrenzt gibt", so Lauterbach. Über ein Pandemie-Frühwarnsystem sollen Daten schneller und besser analysiert und genutzt werden können, die WHO soll außerdem mehr Geld bekommen. "Die G7 wollen ihre Pflichtbeiträge langfristig um 50 Prozent erhöhen", so Lauterbach.

In den kommenden Wochen sind weitere G7-Ministerrunden in Deutschland angesetzt, um die Schwerpunkte der deutschen Präsidentschaft zu konkretisieren und beschlussreif zu machen. Mündend in den G7-Gipfel Ende Juni, zu dem Bundeskanzler Olaf Scholz die G7-Staats- und Regierungschefs auf Schloss Elmau in Bayern begrüßen wird. Ein Treffen übrigens, dessen Ausrichtung bis zu 80 Millionen Euro kosten wird. Das meiste Geld davon wird in die Absicherung des Tagungsorts fließen.