G7: So viel Harmonie war lange nicht
11. Juni 2021Trotz Corona-Pandemie hat der britische Premierminister Boris Johnson die Gruppe der sieben mächtigsten Demokratien der Welt zu einem Gipfeltreffen in das verträumte Küstendorf Carbis Bay in Cornwall eingeladen. Fast 60 Prozent der Menschen in Großbritannien sind mindestens einmal geimpft, dennoch steigt die Zahl der Infektionen seit zwei Wochen wieder drastisch an. Die ansteckende Variante "Delta", die aus Indien stammt, hat sich im Land breit gemacht. Mit einem enormen Aufwand an täglichen Corona-Tests und Hygiene-Regeln für die G7-Delegationen, die Medienvertreter und die Sicherheitskräfte versucht die britische Regierung, Infektionen zu verhindern.
Das gelang nicht ganz. Ein Regierungssprecher bestätigte, dass ein Hotel in Carbis Bay wegen eines Corona-Ausbruchs geschlossen werden musste. In dem Hotel waren auch zwei Sicherheitsbeamte der deutschen Delegation untergebracht. Auswirkungen auf den Ablauf des Gipfels wird dieser Zwischenfall wohl kaum haben, dennoch erinnert er daran, dass die Pandemie in Großbritannien und vielen Teilen der Welt noch nicht besiegt ist. Premier Johnson will aber daran festhalten, am 21. Juni sämtliche Beschränkungen für das alltägliche Leben, Maskenpflicht und Kontaktverbote aufzuheben. Parallel zum Start des Gipfeltreffens musste sich in London Gesundheitsminister Matt Hancock Vorwürfen der Opposition im Parlament erwehren, er habe zu spät energische Schritte gegen die Pandemie unternommen. Das Vereinigte Königreich verzeichnet weltweit eine der höchsten Todesraten durch COVID-19-Erkrankungen.
Harmonischer Auftakt
Die gute Laune am Vorabend des Gipfeltreffens, das an diesem Freitag beginnt, konnte aber auch die Pandemie nicht trüben. Der amerikanische Präsident Joe Biden traf mit seiner Gattin Jill bereits am Donnerstag das frisch vermählte Ehepaar Boris und Carrie Johnson. Auf der Terrasse des Tagungshotels am weizengelben Sandstrand von Carbis Bay scherzte Biden, er und Johnson seien glücklich, dass sie Frauen heiraten konnten, die eigentlich über ihrem Niveau lägen. "Ich würde unserem amerikanischen Verbündeten in keiner Weise irgendwo widersprechen wollen", gab Boris Johnson gegenüber Reportern zurück. Jill Biden trug eine Jacke mit der Aufschrift "Love". Liebe sei doch ein gutes Motto für die Gipfeltreffen in schweren Zeiten, meinte die First Lady auf Fragen der Presse.
Die beiden Ehepaare schauten auf das türkisblaue Meer und eine kleine Insel samt mittelalterlicher Burg in der Bucht. Joe Biden meinte, es sei so schön hier, dass er gar nicht mehr nach Hause wolle. Er sagte das trotz relativ trüben Wetters und Nieselregens. Wegen Nebels konnte Biden auch nicht mit dem Hubschrauber nach Carbis Bay einschweben, sondern musste sich in einer Kolonne aus 21 schwarzen Limousinen durch die engen Landstraßen von Cornwall schlängeln.
Enormer Aufwand
Die 3000 Einwohner von Carbis Bay waren nicht so glücklich über den Besuch, wie einige im Lokalradio erzählten. Ihr Dorf wird tagelang von einem drei Meter hohen dichten Stahlzaun eingeschlossen. Straßen sind gesperrt. Lange Staus sind die Folge. Ein Pub-Besitzer klagte über einen totalen Umsatzausfall. Der Bahnverkehr wurde eingestellt. In der Bucht kreuzen Fregatten der Marine. Taucher und Schnellboote der Eliteeinheiten sind im Einsatz.
Rund 6000 Polizisten sind in Cornwall, um die Sicherheit des britischen Premiers, des amerikanischen Präsidenten und weiterer Gäste zu gewährleisten, die am Freitag nach und nach ankommen: Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron, Bundeskanzlerin Angela Merkel, Italiens Premier Mario Draghi, Kanadas Premier Justin Trudeau, Japans Regierungschef Yoshihide Suga sowie EU-Ratspräsident Charles Michel und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Große Themenpalette: Klima, Corona, China
Die Tagesordnung der G7 bis zum Sonntag ist lang. Vor der Sitzung hatten jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin erklärt, was erreicht werden soll. Frankreichs Präsident will den Klimaschutz voranbringen. Kanzlerin Merkel will über eine Russland-Strategie sprechen. Italiens Ministerpräsident liegt der wirtschaftliche Wiederaufbau nach Corona am Herzen. Der amerikanische Präsident will vor allem eine Allianz der Demokratien gegen China in Stellung bringen.
Alle zusammen sprechen sich dafür aus, mehr Impfdosen gegen Corona in den ärmeren Süden der Welt liefern zu lassen. US-Präsident Biden versprach, da in den Vereinigten Staaten die Mehrheit der Menschen geimpft sei, jetzt auch nach monatelangem Druck der Vereinten Nationen nicht nur 80 Millionen wie bisher zugesagt, sondern 500 Millionen Impfdosen zu exportieren. Sie sollen der UN-Impfinitiative COVAX gespendet werden. Auch die EU, Deutschland und Frankreich haben sich zu Lieferungen via COVAX verpflichtet.
Nach Meinung von EU-Diplomaten gibt es genug finanzielle Mittel und Spendenzusagen, es fehlt aber immer noch am verfügbaren Impfstoff. Deshalb wollen die G7 auch über eine Aussetzung von Impfstoff-Patenten beraten, so wie US-Präsident Biden dies überraschend vorgeschlagen hatte. Frankreich könnte sich diesem Vorschlag eventuell anschließen. Deutschland und die EU lehnen ihn weiter ab, weil freigegebene Patente nicht zu einer erhöhten Produktion führen würden, meint ein deutscher EU-Diplomat. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen setzt sich dafür ein, mehr Fabriken weltweit Lizenzen für die Impfstoffproduktion zu erteilen und Kapazitäten in Afrika, Asien und Lateinamerika aufzubauen.
Ein erneuerter Bund
Am Vorabend des Gipfeltreffens hatten der britische Premier und der amerikanische Präsident eine neue "Atlantische Charta" unterzeichnet. Sie stützt sich auf eine erste Charta, die 1941 der damalige Premier Winston Churchill und der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt im Zweiten Weltkrieg unterzeichnet haben, um das besondere Band der beiden Nationen deutlich zu machen.
"Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass diese erneuerte Charta für die Beziehungen Nordamerikas und Europas eine wirklich wichtige Rolle für die Sicherheit und den Wohlstand in der Welt spielt", sagte Johnson. Er zeigte sich erfreut, dass Biden einen "frischen Wind" für die Beziehungen bedeute. Dessen Vorgänger Donald Trump hatte internationale Zusammenarbeit auch in der G7 stark behindert. Boris Johnson hatte sich allerdings gegenüber dem Populisten Trump bei dessen Besuch in Großbritannien auch sehr begeistert von dessen "Amerika zuerst"-Politik gezeigt. Trump fand den Brexit, also das Ausscheiden der Briten aus der EU richtig. Biden hat diesen Schritt als Fehler bezeichnet.
Alternative zur Seidenstraße
Bis Sonntag werden die Vertreter der wichtigsten westlichen Demokratien versuchen, gemeinsame Positionen bei vielen Problemen zu finden, um sich gegenüber Autokratien und Diktaturen wie Russland und China abzugrenzen. Einfach wird das nicht, da die Interessen der sieben Staaten unterschiedlich sind. Einigen wird man sich wohl auf eine globale Initiative für mehr Infrastruktur-Investitionen in Afrika und auf dem westlichen Balkan. Mit dieser Idee wollen die USA einen Kontrapunkt zur chinesischen "Seidenstraßen"-Initiative setzen, mit der Peking großen Einfluss in vielen ärmeren Staaten erreicht hat. Auch EU-Länder wie Ungarn, Griechenland oder Italien nehmen an der chinesischen Seidenstraße teil.
Von deutscher Regierungsseite hieß es dazu, Berlin unterstütze die westliche Investitions-Initiative im Prinzip. Einzelheiten müssten aber noch ausgearbeitet werden. "Darüber müssen wir noch weiter sprechen", sagten Vertraute der Bundeskanzlerin, die für Kooperation mit China in wirtschaftlichen Fragen stärker eintritt als andere G7-Vertreter. Cornwall ist der letzte G7-Gipfel, an dem Merkel teilnehmen wird. Sie tritt nach 16 Jahren als Regierungschefin bei der Bundestagswahl im September nicht mehr an.