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Game over für "Super-Mario"

24. Oktober 2019

Mario Draghi tritt als Präsident der Europäischen Zentralbank ab, ohne jemals die Zinsen angehoben zu haben. Bilanz eines Notenbankers, der den Euro im Alleingang gerettet hat - und doch eine tragische Figur ist.

Super Mario wird 30
Nintendo's Videospiel-Held gab Mario seinen Spitznamen: Super MarioBild: picture-alliance/dpa/P. Pleul

Draghis letzte Sitzung

02:05

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Noch keine neun Monate war Mario Draghi im Amt, als er am 26. Juli 2012 jene Worte sprach, die ihm seinen Platz in den Geschichtsbüchern sichern. Damals war die Schuldenkrise in der Eurozone auf ihrem Höhepunkt. Griechenland war pleite, und selbst große Länder wie Italien, Spanien und Frankreich hatten Probleme, an Geld zu kommen. An den Finanzmärkten wurde gewettet, wann die Währungsunion auseinanderbrechen würde.

Mit nur einem Satz nahm Draghi den Spekulanten den Wind aus den Segeln. Die EZB sei im Rahmen ihres Mandats bereit, "alles zu tun, was nötig ist, um den Euro zu bewahren", sagte Draghi auf einer Konferenz in London. "Und glauben Sie mir, es wird genug sein", fügte er nach einer kurzen Pause hinzu. Die Botschaft an die Finanzmärkte war deutlich: Gegen die Europäische Zentralbank könnt ihr nicht gewinnen.

Euro-Retter

Das war riskant, brachte aber die gewünschte Wirkung: Die Spekulation nahm ab, die Risikoaufschläge gingen zurück, der Politik blieb wieder etwas Luft zum Atmen. "Mit seiner Rede in London hat Draghi den Euro vermutlich gerettet", sagt Thomas Mayer, früher Chefvolkswirt der Deutschen Bank und heute Leiter der Denkfabrik Flossbach von Storch Research Institute.

EZB-Präsident Mario Draghi in den letzten Monaten seiner AmtszeitBild: picture-alliance/Photoshot/Lu Yang

Und Draghi machte deutlich, was er unter "whatever it takes" verstand: Er flutete die Märkte mit billigem Geld. Die Leitzinsen, die sein Vorgänger Trichet bereits wieder angehoben hatte, senkte er auf null Prozent. Für Banken führte er sogar Negativ-Zinsen ein, um sie davon abzuhalten, ihr Geld zu parken, statt es zu verleihen. Und er kaufte jeden Monat für bis zu 80 Milliarden Euro Anleihen von Staaten und Unternehmen. Gesamtvolumen bis jetzt: 2,6 Billionen Euro.

So entschlossen war sein Einsatz, dass er ihm den Spitznamen "Super Mario" einbrachte, nach dem italienischen Klempner aus dem gleichnamigen Videospiel (Artikelbild).

Feind der Sparer

Vor allem in Deutschland, dem Land der Sparer, wurde Draghi heftig kritisiert, weil Ersparnisse wegen der Nullzinsen keine Erträge mehr bringen. "So steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen im Alter in Armut geraten", so der Ökonom Mayer zur DW. "Gleichzeitig werden durch die Null- und Negativzinsen Vermögen umverteilt."

Denn auf der Suche nach Rendite fließt enorm viel Geld in Immobilien und Aktien. Börsenkurse gehen ebenso durch die Decke wie Wohnungspreise und Mieten. "Die Profiteure sind ganz klar die Immobilien- und Aktienbesitzer - in Deutschland ist das eine absolute Minderheit", so Mayer.

Nicht nur deutsche Boulevardmedien wie die "Bild" erklärten Draghi zum FeindbildBild: bild.de

Deutsche Professoren warfen Draghi zudem vor, das Mandat der EZB zu überschreiten und unerlaubte Staatsfinanzierung zu betreiben, konnten sich damit aber vor Gericht nicht durchsetzen. Ähnlich sieht das Draghis Gegenspieler im EZB-Rat, der Chef der Deutschen Bundesbank, Jens Weidmann. Noch in der vergangenen Woche sagte er, Zentralbanken sollten sich "an eine enge Auslegung ihres Mandats halten".

Draghis Tragik

Allerdings musste sich Draghi in der Krise eben entscheiden - er konnte keine Geldpolitik machen, die allen passte. Seine Priorität war, den angeschlagenen Staaten des Südens mit Nullzinsen und Anleihekäufen etwas Zeit zu kaufen. Zeit, das betonte er selbst immer wieder, die die Regierungen für grundlegende Reformen nutzen sollten. Konkret: Weniger ausgeben, mehr tun für Wachstum, effizienter werden und faule Kredite im Bankensektor abbauen.

Es gehört zur Tragik des EZB-Chefs Draghi, dass seine Appelle an die Politik oft ungehört verhallten, gerade in seinem Heimatland Italien. Auch gelang es ihm nicht, sein Hauptziel auch nur ansatzweise zu erreichen. Trotz der Geldflut ist die Inflation weit niedriger als die angepeilten knapp zwei Prozent.

Jetzt, da sich die Konjunktur auch in Europa wieder abzukühlen beginnt, steht die Zentralbank sozusagen mit heruntergelassener Hose da: Sie hat keine Instrumente mehr, um der Wirtschaft durch die kommende Flaute zu helfen. Auch in der letzten EZB-Ratssitzung unter der Leitung Draghis beließen die Währungshüter den Leitzins wie erwartet bei 0,0 Prozent. Zudem bekräftigten sie den umstrittenen Kauf von Anleihen ab November wiederaufzunehmen. Je Monat sollen Wertpapiere im Umfang von 20 Milliarden Euro erworben werden. Ein konkretes Enddatum für die Transaktionen nannte die Notenbank erneut nicht.

Draghis Verdienst ist es also, der Währungsunion durch beherztes Handeln das Leben gerettet zu haben. Sein Vermächtnis ist, dass er seiner Nachfolgerin Christine Lagarde ein fast leeres Waffenarsenal für den Kampf gegen die nächste Krise hinterlässt.

Ohne Munition für die nächste Krise? Christine Lagarde ist ab November EZB-PräsidentinBild: picture-alliance/dpa/J. Woitas

Die allerdings werde sicher kommen, ist Ökonom Thomas Mayer überzeugt. "Ich würde Christine Lagarde raten, sich auf die nächste Krise vorzubereiten und Alternativen zur gegenwärtigen Politik durchzuspielen."

Früher oder später wird auch die neue EZB-Chefin mit jenem Grundproblem zu kämpfen haben, an dem schon Draghi unverschuldet scheiterte: Die Währungsunion kann nur funktionieren, wenn alle Mitglieder Souveränität abgeben. Entweder betreiben alle eine ähnliche Fiskal- und Wirtschaftspolitik, oder sie haften füreinander. Beides ist derzeit gleichermaßen unwahrscheinlich.

Andreas Becker Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Geldpolitik, Globalisierung und Verteilungsfragen.
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