Gamescom: Polens junge Games-Branche buhlt um Aufmerksamkeit
21. August 2025
Special Agent T.H.U.N.D.E.R. reist um die Welt, um das Böse zu besiegen. Er rennt, schleicht sich an, kämpft wie ein waschechter Actionheld und hat dabei allerlei Gadgets zur Verfügung. So kann er zum Beispiel kurze Strecken in der Luft fliegen. Aber 009 ist kein durchtrainierter, Martini-schlürfender Frauenheld à la James Bond: Der furchtlose Geheimagent ist ein Hund.
Ein Action- und Schleichspiel (ein Game, bei dem der Spieler versucht, unentdeckt zu bleiben, Anm. d. Red.), in dem die Spielerinnen und Spieler in die Rolle eines kläffenden Vierbeiners schlüpfen - darauf muss man erst mal kommen. "Barkour" heißt das Spiel der polnischen Varsav Game Studios, das noch 2025 erscheinen soll. Gründer und Studiochef Łukas Rosinski erklärt im DW-Gespräch auf der internationalen Spielemesse Gamescom in Köln, was aus seiner Sicht die große Stärke polnischer Entwicklerinnen und Entwickler ist. "Wir sind kreativ. Und das ist das Wichtigste, was derzeit in Polen passiert. Spiele aus Polen sind in vielerlei Hinsicht einzigartig."
"Spezielles Gen" zum Überleben
Łukas Rosinski glaubt, dass dies mit der Geschichte des Landes zusammenhängt, das jahrhundertelang von fremden Mächten beherrscht wurde und mal dem Osten, mal dem Westen näher war. Bis zum Fall der Mauer und dem Zusammenbruch des Ostblocks war Polen sozialistisch, wenig später fanden die ersten freien Wahlen statt. Seit 2004 ist Polen EU-Mitglied.
"Es gab immer das Problem, kämpfen zu müssen, um zu überleben. Wenn man kämpft und überlebt, hat man ein spezielles Gen, das einen dazu zwingt, Dinge anders zu machen, um zu überleben", so Rosinski. "Man muss sich verstecken. Man muss anders denken. Und so blieb dieses spezielle Gen bei uns. Davon bin ich überzeugt." Auch junge Menschen suchten heute noch nach anderen Wegen, Dinge zu tun - zum Beispiel kostengünstiger. "Die Arbeitskosten in Polen sind zwar nicht so viel niedriger, aber immer noch niedriger. Und die Anzahl der kreativen Menschen ist immer noch höher als in Europa."
Aufstieg der polnischen Spielebranche
Rund 500 Studios zählte Polen dem Bericht des europäischen Dachverbands der Videospielentwickler zufolge im Jahr 2022. Das Zentrum der polnischen Spieleindustrie liegt in der Hauptstadt Warschau, dem Sitz des Vorzeigeentwicklers CD Projekt Red, der mit "Cyberpunk 2077" und der "The Witcher"-Reihe weltweit Lorbeeren eingeheimst hat. Aber auch in Krakau, Breslau, Danzig und anderen Städten haben sich in den letzten Jahren Gamestudios gegründet. Insgesamt arbeiteten 2022 rund 15.000 Menschen in der polnischen Spieleindustrie. Damit belegte Polen neben Frankreich im europäischen Vergleich die ersten beiden Plätze. Zwischen 2014 und 2021 verkauften sich eine Handvoll Spiele aus Polen weltweit mehr als eine Million Mal.
Dabei ist die polnische Spieleindustrie vergleichsweise jung. Sie gründete sich erst in den 1990er-Jahren. Damals sei der PC für viele Menschen in Polen ein Statussymbol gewesen und habe sich rasant verbreitet, sagt Kuba Palyka, Creative Director des Warschauer Zenmaster Studios, im DW-Interview. Die ersten Spiele entstanden am Heimcomputer. Ihn selbst hat die Zeit ebenfalls geprägt.
Das neue Zenmaster-Spiel "Blood of the Tyrant" ist eine Reminiszenz an die meist kostenlosen Flash-Spiele, die in den späten 1990er-Jahren die Browser eroberten. Zu Beginn der sich langsam professionalisierenden Spielebranche in Polen herrschte in eine Wildwest-Atmosphäre, erinnert sich Kuba Palyka. "Es gab nicht so viele Regeln, manchmal war es schwierig an sein Geld zu kommen und bezahlt zu werden." Doch mit dem Erfolg polnischer Games auf dem Weltmarkt kamen die Investoren.
Eine "polnische Spezialität" sind Simulationen, in denen Spieler bestimmte Charaktere darstellen: vom Automechaniker ("Car Mechanic Simulator") über einen Drogendealer ("Drug Dealer Simulator") bis hin zum Renovierungsprofi ("House Flipper"). Außerdem sind Horrorspiele, Rollenspiele, Aufbauspiele und Retro-Shooter Genres, die viele Studios in Polen bedienen. Mittlerweile gibt es staatliche Förderprogramme – die jedoch aus Sicht der Indie-Entwickler bei weitem nicht ausreichen – sowie zahlreiche Ausbildungsstätten, wie Privatschulen und Universitäten, wo junge Menschen ihr Handwerk lernen können.
Krise der Games-Industrie trifft auch Polen
Doch die Krise in der Games-Branche ist auch an Polen nicht vorbeigegangen. Welche Krise, möchte man fragen, wenn man die Besuchermassen auf der Gamescom sieht und von den Veranstaltern neue Messerekorde verkündet werden. Über 1500 Aussteller aus 72 Ländern präsentieren sich dem Publikum. Doch der erste Eindruck täuscht - hinter den Kulissen schwächelt die Branche tatsächlich.
Nach dem Hoch des Entertainment-Sektors während der Corona-Pandemie, als viele Menschen Videospiele für sich entdeckten, die Spielefirmen expandierten und Investoren Geld in die Branche pumpten, kam der Einbruch. Seit 2022 haben weltweit schätzungsweise mehr als 37.000 Menschen aus der Games-Branche ihren Job verloren. Große Firmen haben Mitarbeitende entlassen, kleine Studios mussten komplett schließen.
Der Markt war nach dem übermäßigen Wachstum in den Lockdown-Zeiten übersättigt, die allgemeine Lage der Weltwirtschaft mit Inflation und steigenden Zinsen erhöhte die Kosten für neue Entwicklungen und die starke Konkurrenz unzähliger neuer Spiele tat ihr Übriges. Hinzu kam, dass Investoren ihr Geld in anderen Branchen anlegten (nach Beginn des Ukraine-Kriegs nicht zuletzt in der Rüstungsindustrie). Auch in Polen hätten sich Investoren zurückgezogen, sagt Łukas Rosinski. Das führt dazu, dass einige Indie-Studios auf Spenden angewiesen sind und über Crowdfunding Gelder akquirieren.
Hoffen auf staatliche Förderung
Manch einer finanziert das erste Spiel überwiegend selbst - so wie der Gründer des Studios Dark Jay, Dominik Sójka, der "Arms of God" komplett alleine entwickelte. Er weiß um die Nöte der Branche.
Sei es vor ein paar Jahren schwierig gewesen, Grafiker oder Designer für ein Projekt zu gewinnen, sagt er der DW, erhielten Auftraggeber heute in wenigen Tagen zahlreiche Bewerbungen. Auch die KI verdrängte in den letzten Jahren Designerinnen, Übersetzer und Sprecherinnen, erklärt Dominik Sójka.
Polens Indie-Entwickler wünschen sich daher mehr finanzielle Unterstützung durch eine stabile staatliche Games-Förderung insbesondere, wenn es um die Produktion des ersten Spiels eines Studios geht. Aktuell sei die Hilfe nicht besonders groß, bemerkt Dominik Sójka. Ob die Krise noch andauert oder bereits vorüber ist, darüber sind sich die polnischen Indie-Entwickler uneins.
Doch jetzt wollen sie erst mal gemeinsam am Stand des polnischen Publishers Galaktus auf der Gamescom ihre Spiele präsentieren. Alle hoffen, den Geschmack des internationalen Publikums zu treffen und herauszustechen aus der Masse an Games, die tagtäglich um Aufmerksamkeit konkurrieren.