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Gao Yu: Gefangen, aber nicht vergessen

Jun Yan14. November 2014

Für die weltweit bekannte Schriftstellervereinigung PEN International ist der 15. November der Tag der inhaftierten Autoren. Dieses Jahr richtet PEN seine Aufmerksamkeit besonders auf die DW-Autorin Gao Yu.

Die Journalistin Gao Yu auf einem Archivbild aus dem Jahr 2012 (Foto:ap)
Bild: picture alliance/AP Photo

Körperlich fühle sie sich "O.K.", sagt Gao Yus Rechtsanwalt Shang Baojun der Deutschen Welle. Die 70-Jährige habe aber im Gefängnis mit ihrem hohen Blutdruck, ihren Herzproblemen sowie der Menière-Krankheit zu kämpfen, einer Erkrankung des Innenohrs, die das Gehör und den Gleichgewichtssinn beeinträchtigt. Am 31. Oktober durfte Shang seine Mandantin das letzte Mal besuchen. Obwohl Gao die notwendigen Medikamente von ihren Wächtern bekommen habe, sehe sie extrem geschwächt aus, so ihr Anwalt. "Im Vergleich zu früheren Fotos von ihr hat sie mindestens zehn Kilo verloren."

Shangs Mandantin Gao Yu ist eine der mutigsten Journalistinnen Chinas. Wenn es um Kritik an der chinesischen Führung geht, nimmt Gao Yu kein Blatt vor den Mund. In einem auf Youtube veröffentlichten Video sagte sie bei einem Auftritt in New York: "Das heutige China ist eine Kombination aus modernem Nazistaat und stalinistischem Kommunismus." Wegen ihrer scharfen Kritik an Chinas politischem System saß die DW-Autorin schon zweimal im Gefängnis. Die dritte Haft begann am 24. April 2014. Nach Angaben chinesischer Staatsmedien soll Gao ein "hoch vertrauliches Dokument" an eine "Quelle außerhalb des Landes" weitergeleitet haben.

Bis jetzt ist unklar, welches Dokument Gao Yu weitergegeben haben soll. Vermutungen zufolge könnte es sich um das sogenannte "Dokument Nr. 9" der kommunistischen Partei gehandelt haben. Darin werden Bedrohungen für die allein-herrschende Partei aufgezählt und ein harter ideologischer Kurs gefordert.

Stimme der Reformer

Gao startete ihre journalistische Karriere bei der staatlichen Nachrichtenagentur "China News Service". Da diese ein wichtiger Teil des chinesischen Propagandaapparates war, konnte Gao gute Beziehungen zur obersten Führungsebene aufbauen. Freunde von ihr sagen, dass sie unter anderem die Kindern vieler, einst sehr mächtiger, Parteioberhäupter wie Lin Biao und Deng Xiaoping gut kannte. Lin war stellvertretender Parteivorsitzender unter Mao Zedong und wurde eine Zeit lang als dessen designierter Nachfolger gehandelt. Deng Xiaoping war nach Maos Tod bis 1997 faktisch der mächtigste Staatslenker Chinas.

Die türkische Schriftstellerin Elif Safak wandte sich in einem offenen Brief an Gao YuBild: picture-alliance/dpa

Durch ihre guten Kontakte zur Führungsebene der kommunistischen Partei versuchte Gao den Fürsprechern von Reformen innerhalb des autoritären Systems eine Stimme zu geben. Für das chinesischsprachige Angebot der Deutschen Welle schrieb Gao zahlreiche Kommentare und Berichte. In ihrem letzten Artikel vor ihrer Verhaftung im April hob sie die Bedeutung des im Jahr 1986 gestürzten, reformorientierten Parteichefs Hu Yaobang hervor und brachte so die internen Konflikte der neuen chinesischen Staatsführung ans Tageslicht.

Erzwungenes Schuldgeständnis

Nach der jüngsten Verhaftung wurde die 70-jährige Gao ohne Gerichtsurteil im chinesischen Staatsfernsehen vorgeführt. Vor der Kamera bedauerte die international bekannte Autorin, dass ihr Verhalten "den nationalen Interessen geschadet" und die Gesetze verletzt habe. Sie werde "eine Strafe im Rahmen der chinesischen Rechtsprechung akzeptieren".

Allerdings revidierte Gao dieses Geständnis später wieder. Gegenüber ihrem Anwalt Shang Baojun sagt sie, dass sie dieses Geständnis nur abgelegt habe, um ihren Sohn zu schützen, so Shang gegenüber der Deutschen Welle. Denn die chinesische Polizei nahm Ende April zeitgleich auch Gaos Sohn Zhao Meng fest. Gao erklärt, dass die Polizei ihren Sohn als Druckmittel benutzt habe, um von ihr ein Geständnis zu erzwingen. So ließ die Sicherheitsbehörde ihren Sohn nach fast einem Monat wieder frei.

Internationale Unterstützung

DW-Intendant Peter Limbourg hat die chinesischen Behörden wegen ihres Umgangs mit der Journalistin Gao Yu scharf kritisiert. Es sei "menschenunwürdig, sie im Fernsehen als geständige Kriminelle vorzuführen". Limbourg erklärte, Gao Yu habe "einen Anspruch auf ein faires und rechtsstaatliches Verfahren." Er sei in großer Sorge um das Schicksal der DW-Autorin und nutze jede Kontaktmöglichkeit mit der offiziellen chinesischen Ebene, um sich für eine Freilassung Gaos einzusetzen.

In großer Sorge um das Schicksal Gao Yus: DW-Intendant Peter LimbourgBild: DW/M. Magunia

Auch auf internationaler Ebene erhält Gao immer mehr Unterstützung. Eine der bekanntesten türkischen Schriftstellerinnen, Elif Safak, veröffentlichte am sogenannten Tag der inhaftierten Autoren einen offenen Brief an Gao. In diesem Brief heißt es: "Wir haben uns zwar noch nie persönlich getroffen. Doch die Ehrlichkeit, die Integrität und die Kraft Ihrer Worte sowie Ihr außergewöhnlicher Mut gehen über die Grenzen Chinas hinaus und haben mein Herz berührt […]. Ich möchte, dass Sie wissen, dass es auf der ganzen Welt Menschen gibt, die sich der ungerechten Behandlung und der Not, die Sie erleben müssen, bewusst sind."

Doch Gao Yu hilft derartige Unterstützung nur mental. Sie wartet weiter auf ihre erste Gerichtsverhandlung, die jederzeit stattfinden kann. Über ihren Anwalt Shang Baojun lässt sie ausrichten, dass ihre Familie ihr angesichts des bevorstehenden Winters bald warme Kleidung bringen solle.