Gasans Gedanken zur Buchmesse (IV)
11. Oktober 2003
Über eigene Klugheit und westliche Dummheit
Bei einer der vielen Podiumsdiskussion in Frankfurt äußerte sich die bekannte russische Schriftstellerin Tatjana Tolstaja über die vergeblichen Versuche des Westens, Russland rational zu verstehen. Dabei schrieb doch schon Fedor Tjutschew im 19. Jahrhundert, man könne Russland gar nicht mit dem Verstand begreifen.
Tatjana Tolstaja kennt sich mit diesem Thema gut aus: Sie habe schon zahllose Begegnungen mit Lesern im Westen gehabt und immer wieder stelle man ihr immer wieder die gleichen Fragen, erzählt sie. Inzwischen bezweifele sie gar, dass Menschen im Westen überhaupt Verstand haben. Tolstaja: "Wir, Russen, verstehen den westlichen Menschen. Warum versteht uns niemand?"
Ihre, etwas düstere Erklärung (der westliche Mensch sei eine gehirnlose "tabula rasa"), weckte in Frankfurt dann doch leise Proteste. Einem Journalisten, der den Verdacht äußerte, dass Frau Tolstaja einfach zu wenige Werke einschlägiger Russland-Experten aus Deutschland, Frankreich oder anderer Länder kenne, las die Tolstaja regelrecht die Leviten. Zu Sowjetzeiten habe sie im Ausland erschienene Bücher gelesen - und sogar rezensiert. Heute mache das wenig Sinn: Je mehr sie wisse, desto dümmer erschienen ihr ihre westlichen Kontrahenten!
Übrigens: In Russland hat sich Tatjana Tolstaja nicht nur als Autorin, sondern auch als TV-Moderatorin einen Namen gemacht. Dabei stellt die an einer US-amerikanischen Hochschule lehrende Schriftstellerin ihre Begegnung mit dem Westen in den Mittelpunkt: als das Aufeinandertreffen einer witzigen und geistreichen Persönlichkeit mit den engstirnigen West-Zombies.