Gasans Gedanken zur Buchmesse (V)
12. Oktober 2003Offene Worte und umgeschriebene Geschichte
Die Führung um Präsident Wladimir Putin müsse regelmäßig daran erinnert werden, dass der blutige Krieg im Nordkaukasus noch nicht vorbei sei, sagte Alexander Tscherkassow, Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation "Memorial", auf der Frankfurter Buchmesse. „Das ist eine Aufgabe für Bundeskanzler Schröder, für Außenminister Fischer, aber auch für die deutschen Geschäftsleute, die in Russland tätig sind, denn die Wirtschaft hat eine moralische Verpflichtung“, so Tscherkassow.
Auch die russische Menschenrechtlerin Swetlana Gannuschkina hat im Gespräch mit der DW ihre Besorgnis ausgedrückt über eine neue "Verschwörung der Regierungen". Im Rahmen der Anti-Terror-Politik würden politische Prioritäten der westlichen Demokratien neu definiert, wobei die Menschenrechte durch eine neue Ideologie ersetzt werden. Gannuschkina verwies darauf, dass es dem russischen Präsidenten gelungen sei, sich selbst und den US-amerikanischen Präsidenten als Freunde im gemeinsamen Kampf zu positionieren. Das Leiden der Bevölkerung in Tschetschenien würden dabei als geduldete "Kollateralschäden" angesehen. Gannuschkina hat übrigens die Organisatoren der Frankfurter Buchmesse dafür gelobt, dass es den russischen offiziellen Vertretern nicht gelungen sei, das Thema Tschetschenien zu verschweigen.
Nach Ansicht der russischen Historikerin Irina Scherbakowa ist es kein Zufall, dass unter Präsident Putin die sowjetische Geschichtsmythologie wiederbelebt werde. Das sagte sie bei der Präsentation ihres Buches „Rußlands Gedächtnis“. Sie kritisierte dieses offizielle "Zurückdrehen" der Uhr. Dabei geht es bei weitem nicht nur um Symbole. Das sehe man auch daran, dass Präsident Putin unter anderem die alte sowjetische Hymne, die rote Armeeflagge und die Ansprache "Towarischtsch" ("Genosse") in der Armee wieder eingeführt habe.