Gastbeitrag: Transatlantische Zerwürfnisse auf dem Balkan?
7. März 2025
Schon der frühere NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg warnte regelmäßig vor der Gefahr der eingefrorenen Konflikte in Bosnien und Herzegowina und in Kosovo. Nun bereist sein Nachfolger Mark Rutte die beiden Länder erstmals seit seinem Amtsantritt im Oktober 2024. Am 10. März 2025 wird er zunächst in die bosnische Hauptstadt Sarajevo reisen und tags darauf nach Prishtina, die Hauptstadt Kosovos.
Der Besuch erfolgt in der Atmosphäre eines transatlantischen Zerwürfnisses, das die europäische Sicherheitsordnung vor ungekannte Herausforderungen stellt - nicht zuletzt auf dem Westbalkan, dessen unvollendete Transformation und EU-Integration ihn zum wunden Punkt des Kontinents machen.
In Kosovo sichert die NATO-Truppe KFOR seit dem Ende des Krieges 1999 den Frieden und die Grenzen. Auch in Bosnien und Herzegowina ist seit dem Friedensvertrag von Dayton 1995 eine internationale Friedenstruppe im Einsatz, die seit 2004 von der EU geleitet wird. Mehr als 20 Jahre nach Kriegsende ist kein Abzug der europäischen Soldaten in Sicht - im Gegenteil. Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine ist die Region wieder stärker in den Fokus der weltweiten Aufmerksamkeit gerückt, zumal sich die angespannte Sicherheitslage durch die globalen geopolitischen Verschiebungen in den vergangenen Jahren noch verschärft hat.
Angespannte Sicherheitslage
Seit Dayton ist Bosnien und Herzegowina unterteilt in zwei Entitäten, die weitreichende Autonomie besitzen, auf Bundesebene aber zusammen regieren: Die Föderation, in der vor allem Bosniaken (muslimische oder muslimisch-stämmige Bosnier und Bosnierinnen) und bosnische Kroaten und Kroatinnen leben, sowie die Republika Srpska mit mehrheitlich ethnisch serbischer Bevölkerung. Letztere strebt unter ihrem Präsidenten Milorad Dodik, der seit Jahren eine militant-nationalistische Politik betreibt, die Abspaltung vom Gesamtstaat Bosnien an, was international scharf kritisiert wird.
Dodik steht unter Sanktionen der USA und wurde im Februar von einem bosnischen Gericht in erster Instanz zu einer Haftstrafe und einem sechsjährigen Verbot der Ausübung politischer Ämter verurteilt. Er erkennt das Urteil jedoch nicht an und wird dabei vom serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic und dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban unterstützt.
Auch zum Kreml unterhält Dodik gute Beziehungen. Am 9. Januar 2025 fand in Banja Luka wie jedes Jahr eine Parade der Sicherheitskräfte der Republika Srpska unter serbischer und russischer Beteiligung statt. Damit soll an den Tag der Ausrufung der Republika Sprksa im Jahr 1992 erinnert werden - die damalige illegale Abspaltung war einer der Meilensteine auf dem Weg in den Bosnien-Krieg. Als Gedenktag wurde der 9. Januar durch das oberste bosnische Gericht verboten.
Spannungen in Kosovo
In Kosovo setzt die Regierung in Prishtina seit 2021 die Nutzung einheitlicher nationaler Symbole und Institutionen durch. Die größtenteils von ethnischen Albanern bewohnte ehemalige serbische Provinz erklärte 2008 ihre Unabhängigkeit von Serbien, was dieses bis heute nicht anerkennt. In der Folge wurden zentrale öffentliche Einrichtungen wie Bildung und Gesundheit vor allem im mehrheitlich ethnisch-serbisch besiedelten Norden weiter aus Belgrad unterhalten und dort eigene Dokumente sowie der serbische Dinar statt der Landeswährung Euro benutzt.
Als die aktuelle Regierung unter Ministerpräsident Albin Kurti begann, dieser Praxis Einhalt zu gebieten, kam es im Grenzgebiet wiederholt zu Aufständen und Blockaden, die von radikalen Nationalisten aus Serbien und dem serbischen Staat unterstützt wurden. 2022 quittierten nahezu alle kosovo-serbischen Abgeordneten und Staatsangestellten im Polizei- und Justizwesen ihren Dienst, zudem wurden Lokalwahlen in den nördlichen Provinzen zweimal nacheinander boykottiert. 2023 beschloss die EU deshalb politische und wirtschaftliche Maßnahmen gegen die Regierung Kurti.
Im September 2023 kam es beim Kloster Banjska im Norden Kosovos zu einem Terroranschlag durch militante Serben aus Kosovo und Serbien, bei denen ein kosovarischer Polizist und drei der Angreifer getötet wurden. In der Folge wurden die Präsenz kosovarischer Sicherheitskräfte im Norden massiv erhöht und Checkpoints errichtet, der Import serbischer Güter wurde vorerst gestoppt. In der Folge all dieser Entwicklungen sind die interethnischen Beziehungen so schlecht wie schon lange nicht mehr. Vucic und Kurti machen einander gegenseitig dafür verantwortlich, während sie den EU-geführten Dialog zwischen den beiden Ländern blockieren.
Angst um amerikanische Sicherheitsgarantien
Zusätzlich zu diesen Spannungen fürchtet Brüssel den drohenden Rückzug der USA aus Europa, einschließlich ihres etwa 600-köpfigen Kontingents in KFOR. Auch wenn europäische Staaten seit den Jugoslawienkriegen eine zunehmend wichtige Rolle für die regionale Stabilität einnehmen, sind sie dabei immer auf die Unterstützung der USA angewiesen. Zwar sieht Rutte nach eigener Aussage keinen Grund zur Sorge vor einem raschen Truppenabzug, angesichts der zunehmend eskalierenden Rhetorik der neuen US-Regierung unter Präsident Donald Trump ist dieses Szenario aber nicht auszuschließen. Zudem fühlen sich lokale Nationalisten wie Dodik von Trumps Führungsstil bestärkt und hoffen auf Rückhalt.
So unterstützte die erste Trump-Regierung 2018 Pläne für einen Landaustausch zwischen Kosovo und Serbien. Dabei sollten mehrheitlich serbisch bewohnte Landstriche in Kosovo gegen mehrheitlich albanisch bewohnte Gebiete in Serbien getauscht werden.
US-Regierungsvertreter und Trump-Vertraute wie der Sonderbeauftragte Richard Grenell wettern gegen Kurti und fordern die Freilassung des ehemaligen Präsidenten Hashim Thaci, der vor dem Kosovo-Sondergerichtshof in Den Haag ausgerechnet von dem Staatsanwalt angeklagt wurde, der später in den USA als Sonderermittler für Verfahren gegen Trump selbst zuständig war. Die stellvertretende Pressesprecherin des Pentagon, Kingsley Wilson, schrieb unlängst auf X: "Make Kosovo Serbia again" .
Während der Fokus der NATO in beiden Ländern meist auf den Konflikten liegt, sind Bosnien und Herzegowina und Kosovo gleichzeitig zentral für die zukünftige europäische Sicherheitsarchitektur und die NATO. Daher sind in beiden Staaten die internationalen Missionen auch mit der Ausbildung lokaler Sicherheitskräfte beauftragt. Beide Länder haben diplomatische Missionen bei der NATO in Brüssel und streben einen Beitritt zu dem Militärbündnis an.
Allerdings wird Kosovo, dessen Bevölkerung dieses Ziel mit überwältigender Mehrheit unterstützt, von vier NATO-Mitgliedsstaaten nicht als unabhängig anerkannt. In Bosnien und Herzegowina blockiert die Regierung der Republika Srpska, die einen NATO-Beitritt ablehnt. Gleiches gilt für die pro-russische Regierung in Serbien, während die anderen Westbalkanstaaten Albanien, Montenegro und Nordmazedonien bereits NATO-Mitglieder sind. Ruttes Besuch ist ein deutliches Signal, dass die NATO die Region im Blick behält und ihre Stabilität weiterhin hohe Priorität für Europa und seine Partner hat.
Frauke Seebass ist Gastwissenschaftlerin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Brüssel und arbeitet zur EU-Erweiterungspolitik mit einem Schwerpunkt auf dem Westbalkan. Sie ist Doktorandin und Carl-Lutz-Fellow an der Andrássy Universität Budapest und Associate Fellow bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) Berlin.