1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Kein Hoffnungsträger und kein Brückenbauer

Kommentarbild PROVISORISCH | Rainer Hermann, FAZ & Klett-Cotta
Rainer Hermann
7. Februar 2020

Der ägyptische Präsident ist das Gegenteil dessen, was auszeichnungswürdig ist. Und dennoch wird er hofiert - nicht allein in Dresden, meint Rainer Hermann von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Ende Januar wurde al-Sisi (re.) der Preis aus Dresden noch überreicht - und nun wieder aberkannt Bild: picture-alliance/dpa/Egyptian Presidency

Es klang fast wie ein kleiner Friedensnobelpreis, den die Veranstalter des Dresdner Opernballs vergeben wollten. Der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi werde in diesem Jahr als "Hoffnungsträger und Mutmacher eines ganzen Kontinents" ausgezeichnet, hieß es. Er sei ein "Brückenbauer und Friedenstifter".

Der zum Präsidenten gewordene General stehe also in einer Reihe mit dem äthiopischen Ministerpräsidenten Abiy Ahmed. Den hatte das Friedensnobelpreiskomitee im vergangenen Jahr ausgezeichnet, weil er mit Eritrea nach einem jahrzehntelangem Konflikt Frieden endlich Frieden geschlossen hat, und im Innern ließ Abiy Ahmed politische Gefangene frei. Er brachte hinter Gitter, wer gegen Menschenrechte verstoßen hatte, und er öffnete das Land, politisch wie wirtschaftlich.

Nie saßen mehr Menschen in Ägyptens Gefängnissen

Die Wirklichkeit von al-Sisis Ägypten ist jedoch genau das Gegenteil davon. Die ägyptische Armee, die al-Sisi bis zu seiner Wahl zum Präsidenten 2014 als Feldmarschall geführt hatte, beteiligt sich an Kriegen, in Libyen ebenso wie im Jemen. In Ägypten selbst kontrolliert diese Armee mindestens die Hälfte der Wirtschaft, damit sichern sich die Generäle Pfründe und verhindern Wettbewerb. Auf über 60.000 wird die Zahl der politischen Gefangenen geschätzt. Nie waren in der Geschichte Ägyptens die Gefängnisse so voll, Berichte von grausamer Folter dringen nach draußen.

Rainer Hermann ist Redakteur der Frankfurter Allgemeinen ZeitungBild: Helmut Fricke

Eine Opposition, die diesen Namen verdient, gibt es nicht mehr. Die Medien, einst die führenden in der arabischen Welt, sind zu loyalen Sprachrohren der Machthaber verkommen und damit irrelevant geworden. Das restriktive Gesetz für die Arbeit von Nicht-Regierungsorganisationen nimmt der einst lebendigen Zivilgesellschaft jegliche Luft zum Atmen. Wer für eine solche Politik steht, ist kein Brückenbauer und kein Friedenstifter, kein Hoffnungsträger und kein Mutmacher.

Offiziell begründet die ägyptische Führung diese Repression mit der Notwendigkeit, für Stabilität sorgen zu müssen. Es brauche eine eiserne Hand, um den dschihadistischen Terror zu bekämpfen und ein Land im Griff zu halten, dessen Einwohnerzahl 100 Millionen überschritten hat und das jedes Jahr um zwei Millionen Menschen wächst, heißt es.

Nichts hat sich seit 2011 gebessert - im Gegenteil

Doch was 2011 schlecht war und zu den Massenprotesten auf dem Tahrir-Platz und in ganz Ägypten geführt hat, ist heute noch schlechter. Die Infrastruktur hält mit dem Bevölkerungswachstum nicht Schritt, das Erziehungssystem ist in einem miserablen Zustand, und nur ein Teil der weit mehr als eine Million jungen Ägypter, die jedes Jahr auf den Arbeitsmarkt drängen, findet Arbeit.

2011 hatte es noch Ventile gegeben, um Druck abzulassen - etwa politische Mediatoren wie Oppositionsparteien, wie die Zivilgesellschaft und freie Medien. Diese Ventile sind heute aber geschlossen, und der Druck im Kessel nimmt wieder zu, zumal die Substanz der Mittelschicht, wirtschaftlich zu überleben, aufgebraucht ist. Im Jahr 2011 hatte es noch die Chance zu einem geordneten Wandel gegeben. Dieses Tor ist seit der Konterrevolution im Jahr 2013 aber verschlossen. Aus dem Griff der eisernen Hand ist ein Würgegriff geworden.

Die Veranstalter des Dresdner Opernballs haben die Reißlinie gezogen und al-Sisi den Preis wieder aberkannt. Die westliche Politik hofiert das Regime aber weiter, schließlich hält es ja Flüchtlinge aus Afrika zurück. Diese Sicht auf Ägypten ist kurzfristig. Denn der Preis dieser kurzfristig erkauften Scheinstabilität ist die Gefahr, dass Ägypten mittelfristig zu scheitern droht. Die heutigen Militärmachthaber tun nicht das, was getan werden müsste, damit das Land nicht von den gewaltigen Herausforderungen, vor denen es steht, überrollt wird.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen