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Politik

Bouteflika ist Geschichte

Kommentarbild PROVISORISCH | Rainer Hermann, FAZ & Klett-Cotta
Rainer Hermann
23. März 2019

Der Weg Algeriens in die Zukunft ist völlig ungewiss. Der Langzeit-Herrscher hat zwar abgedankt, aber seinen Kritikern reicht das längst nicht mehr, meint Rainer Hermann von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Bild: picture-alliance/dpa/epa/M. Messara

Die Unterstützung für den greisen algerischen Präsidenten Abdelalziz Bouteflika bröckelt. So hat sich der Vorsitzende der Staatspartei FLN, Mouad Bouchareb, in den vergangenen Tagen von ihm abgewandt. Er findet, Algerien werde von "verfassungswidrigen Kräften regiert". Auch der mächtige Generalstabschef, Ahmad Gaid Salah, der überraschenderweise bei den Demonstranten "noble Ziele" entdeckt hat, geht auf Distanz zu Bouteflika. Die beiden sind nur die bekanntesten Namen derer, auf die sich Bouteflika und der Kreis um ihn nicht mehr bedingungslos verlassen können.

Die Kritiker wollen längst mehr

Damit geht Bouteflikas Rechnung nicht auf, Zeit zu schinden und die Übergabe der Macht hinauszuzögern. Das könnte sogar zum Bumerang werden. Denn zunächst hatten die Demonstranten lediglich Bouteflikas Verzicht auf eine fünfte Amtszeit gefordert. Bouteflika ist dazu inzwischen zwar bereit. Er will aber erst nach einem - zeitlich nicht festgelegten - Übergangsprozess aus dem Amt scheiden und nicht am 28. April, wenn seine vierte Amtszeit endet.

Rainer Hermann ist Redakteur der Frankfurter Allgemeinen ZeitungBild: Helmut Fricke

Damit sind nun die Kritiker Bouteflikas, die die Sklerose in ihrem Land aufbrechen wollen, aber nicht mehr zufriedenzustellen. Denn bestenfalls ist dabei ein Drehen an einigen Stellschrauben zu erwarten, nicht aber eine grundlegende Reform einer politischen Ordnung, die wenige begünstigt und viele ausschließt. Und die Drohung, dass ohne Bouteflika Algerien in "syrische Verhältnisse" abzugleiten drohe, zieht längst nicht mehr. Das Regime will jedoch Zeit gewinnen, um in den eigenen Reihen einen Kandidaten zu finden - was aber offenbar nicht gelingt.

Teilweise könnte das Kalkül Bouteflikas und seiner Umgebung jedoch aufgehen. Denn die Opposition ist so heterogen, dass sie sich jenseits der Forderung, dass Bouteflika abzutreten habe, auf wenig einigen kann. Die vom Regime geduldete Opposition ist zahnlos, und die Opposition, die sich nun auf der Straße zeigt, verfügt nicht über einen Anführer, der alle eint. Zudem reicht ihre Bandbreite vom frustrierten Jugendlichen über Islamisten bis hin zu Mitgliedern der alten Elite.

Zahl der Zweifel am System wächst

Positiv ist, dass sich bislang der Sicherheitsapparat gegenüber den Demonstranten zurückgehalten hat und dass auch die Armee nicht eingeschritten ist, um Bouteflika zu stützen. Offenbar steigt im Sicherheitsapparat und in der Armee die Zahl jener, die trotz ihrer Privilegien nicht daran glauben, dass sich das bisherige System aufrechterhalten lässt.

Die Proteste, die seit dem 22. Februar andauern, zeigen, dass Bouteflika Geschichte ist und dass der Kreis jener gewachsen ist, die über alle Generationen hinweg eine grundlegende Änderung der politischen Ordnung wollen. Die Chance besteht, dass die friedlichen Proteste die überfällige Erneuerung Algeriens einleiten. Nur muss dazu auch das Regime seine Hand reichen.

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