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Politik

Das Ende von Hongkong als freie Stadt

China Demosisto Mitgleider in Hong Kong
Nathan Law
29. Juni 2020

Das neue Sicherheitsgesetz für Hongkong ist verabschiedet. Seine Details kennt bisher nur die Pekinger Führung. Das passt zur neuen autoritären Ära in Hongkong, meint der langjährige Demokratieaktivist Nathan Law.

Bild: picture-alliance/AP Photo/V. Yu

Das von Peking am Dienstag verabschiedete Nationale Sicherheitsgesetz hat die Bürger Hongkongs in den vergangenen Wochen stark beunruhigt. Im privaten Kreis und in der Öffentlichkeit wurde es als massiver Schlag gegen unsere Zivilgesellschaft beschrieben, wobei die das Gesetz umgebende Geheimnistuerei und Unklarheit unsere Ängste noch bestärkt haben.

Denn niemand in Hongkong, wahrscheinlich nicht einmal unsere Regierungschefin Carrie Lam, kennt bislang den Wortlaut des Gesetzes, das demnächst veröffentlicht werden soll. Hongkongs Parlament, der Legislativrat, wurde mit dem Gesetzesvorhaben überhaupt nicht befasst. Die chinesische Führung zeigt damit einmal mehr, wer das Sagen hat in Hongkong.

So bleiben bislang die entscheidenden Fragen unbeantwortet: Was genau sind die "Verbrechen", auf die Gesetz zielt? Werden die "Verbrechen" auch rückwirkend verfolgt? Bekommen Angeklagte einen Prozess in Hongkong oder auf dem Festland? Welches sind die Höchststrafen?

Nathan Law ist Demokratieaktivist in HongkongBild: DW/V. Wong

Marionette Pekings

Wir Hongkonger müssen uns fragen, ob wir weiterhin unsere gewohnte Meinungsfreiheit genießen werden. Für politische Aktivisten wie mich stellen sich dazu konkretere Fragen: Wann wird die neue, von Peking in Hongkong stationierte Geheimpolizei an unsere Türen klopfen und uns in Gewahrsam nehmen?

Früher konnten wir, die Bürger Hongkongs, davon ausgehen, dass unsere Regierung als eine Art Schutzschirm und Vermittler zwischen Hongkong und der Pekinger Führung fungieren würde, innerhalb des Rahmens "Ein Land, zwei Systeme". Unser Chief Executive, obschon nicht direkt gewählt, würde als ehrlicher Anwalt unsere Besorgnisse in Peking vorbringen, sollten dort Entscheidungen getroffen werden, die unserer Lebensweise und Einstellung zuwiderlaufen.

Dieser Mythos hat sich allerdings in Luft aufgelöst. Unsere Verwaltungschefin Carrie Lam hat sich während der Proteste in den vergangenen zwölf Monaten zu keiner echten Entscheidung durchringen können. Sie ist nicht viel mehr als eine Marionette Pekings. Ihre Kabinettsmitglieder geben zu, dass sie in Bezug auf das Sicherheitsgesetz nichts zu sagen haben - im doppelten Sinne. Sie wissen nicht mehr als das, was sich aus der oberflächlichsten Zeitungslektüre entnehmen lässt. Trotzdem mahnen sie uns, Peking zu "vertrauen", denn das Gesetz verspreche Stabilität.

Demonstranten forderten Rücktritt der Verwaltungschefin Carrie Lam 2019Bild: picture-alliance/AP Photo/V. Yu

Täuschung des Auslands

Die Hongkonger Regierungsvertreter versuchen, uns ein Produkt schmackhaft zu machen, das sie gar nicht kennen. Woher nehmen sie die Zuversicht, dass das Gesetz positiv für Hongkong sein wird? Wie können sie ernsthaft glauben, dass wir einem so umstrittenen Gesetz blind zustimmen werden? Wie kaputt ist das Konzept "Ein Land, zwei Systeme", wenn das weitreichendste Hongkonger Gesetzesvorhaben seit 1997 unter Umgehung der Hongkonger Legislative durchgesetzt werden muss?

Peking zeigt mit seinem Vorgehen, worum es ihm geht: Hongkong soll zu einer chinesischen Stadt neben anderen gemacht werden, unter Beibehaltung der äußeren Hülle. Damit soll das Ausland getäuscht und im Glauben gelassen werden, dass Hongkong weiterhin ein halb-autonomes Territorium bleiben wird. Unter diesem Deckmantel will Peking weiterhin wirtschaftlich und politisch von Hongkongs internationalen Verbindungen profitieren.

Zur Umsetzung dieser breit angelegten Strategie verfolgt Peking innerhalb Hongkongs eine Politik der Einschüchterung. Immer mehr Einwohner überlegen sich inzwischen, der Stadt den Rücken zu kehren; andere distanzieren sich von früheren politischen Äußerungen oder machen diese unkenntlich, damit sie nicht von Bekannten oder Kollegen angeschwärzt werden können.

Wenn es in Hongkong keinen freien Fluss von Informationen und Meinungen mehr gibt, endet auch Hongkongs Identität als eine freie Stadt. Welche Zukunft soll die einstige "Perle des Orients" haben, wenn seine Talente weggehen, um woanders freier atmen zu können, wenn Unternehmen ihren Geschäftssitz in liberalere Orte verlegen, wenn Jugendliche in Dauerkonfrontation zu einer autoritären Regierung stehen?

Trotz Covid-19 wird in Hongkong für mehr Bürgerrechte und Demokratie demonstriertBild: picture-alliance/I. Abreu

Xi Jinpings Kalkül

Es geht jetzt nicht um mögliche langjährige Gefängnisurteile gegen Demokratieaktivisten wie Joshua Wong, Jimmy Lai oder mich. Es geht um die drohende Zerstörung alles dessen, wofür Hongkong bisher stand. Rational denkende Beobachter von außen betrachten diese Entwicklung mit Kopfschütteln.

Aber aus Sicht von Xi Jinping sieht die Sache anders aus: Unruhe in Hongkong und China unter Druck könnten ihm nützen, seine Stellung als starker Parteiführer zu konsolidieren. Die Bedürfnisse der Einwohner Hongkongs sind ihm sowieso egal. Aber wer weiß: Vielleicht geht am Ende nicht nur Hongkong als Folge dieser aggressiven Strategie unter.

 

Nathan Law (27) ist ein ehemaliger Politiker und Aktivist in Hongkong. Er trat am Dienstag von seinem Posten in Hongkongs pro-demokratischer Organisation Demosisto zurück, nachdem der Ständige Ausschuss des Nationalen Volkskongresses in Peking das neue nationale Sicherheitsgesetz verabschiedet hatte.