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Politik

Das Gespenst MH17 verfolgt den Kreml

23. November 2019

Je mehr niederländische Ermittler über den Abschuss eines Malaysia-Airlines-Jets über dem Osten der Ukraine herausfinden, desto deutlicher weisen die Spuren direkt zur russischen Regierung, meint Konstantin Eggert.

Bild: Reuters/F. Lenoir

Der 9. März 2020 dürfte einer der unangenehmsten Termine im Kalender des Kremls für das kommende Jahr werden. An diesem Tag wird ein Gericht in Den Haag den Prozess gegen diejenigen eröffnen, die im Verdacht stehen, am 17. Juli 2014 ein Passagierflugzeug von Malaysia Airlines (Flug MH17) über der Ukraine abgeschossen zu haben.

298 Passagiere und Besatzungsmitglieder starben, als das Flugzeug von einer Boden-Luft-Rakete vom Typ Buk über dem von russischen Separatisten kontrollierten Gebiet getroffen wurde. Das International Joint Investigation Team (JIT), das von einem niederländischen Polizeiinspektor geleitet wird, behauptet, dass der Raketenwerfer direkt aus Russland in die Ukraine gebracht wurde.

Bisher spricht das JIT von vier Verdächtigen, die höchstwahrscheinlich in Abwesenheit vor Gericht gestellt werden - drei russische Bürger und ein Ukrainer. Alle haben unklare postsowjetische Militärbiographien, und keiner ist der breiten Öffentlichkeit bekannt.

Neue Beweise

Die jüngsten JIT-Erkenntnisse könnten dieses Bild jedoch verändern. Auf ihrer Website veröffentlichten die Ermittler Aufzeichnungen von abgefangenen Telefongesprächen von pro-russischen Rebellen untereinander, in denen der russische Verteidigungsministers Sergei Schoigu sowie Wladislaw Surkow, der Berater und Sonderbeauftragte für die Ukraine von Präsident Wladimir Putin, eine Rolle spielten.

Diese Aufnahmen unterstreichen den weitreichenden Einfluss Russlands auf die selbsternannten Donezker und Luhansker Volksrepubliken. In einer Aufnahme erklärt Alexander Borodai - ein russischer Staatsbürger, der sich 2014 als "Premierminister" von Donezk ausgab - unmissverständlich, dass sein Hauptziel darin bestehe, "die Interessen der Russischen Föderation zu vertreten".

Es ist nicht das erste Mal, dass solche Aufnahmen auftauchen. Ukrainische Sicherheitsdienste und das Ermittlungsportal Bellingcat haben in der Vergangenheit ähnliche Bänder veröffentlicht. Aber Moskau hat bisher jede Beteiligung am Abschuss kategorisch geleugnet und das Material als "fake news" und "Manipulation" angeprangert, die Teil der "Propagandaanstrengungen" Kiews seien.

Der Aufbau der Befehlskette

Die neuen Aufzeichnungen sind jedoch offizielle Dokumente und werden als Beweise der Staatsanwaltschaft vor dem niederländischen Gericht verwendet. Sie widerlegen die Behauptung des Kreml, dass die Separatisten unabhängige Akteure seien. Tatsächlich beweisen sie genau das Gegenteil: Es gibt keine "Republiken", von denen man sprechen könnte. Es sind vielmehr russische Abgesandte, die diese Gebiete in engem Kontakt mit Spitzenleuten in Moskau führen.

Das Gericht muss herausfinden, welche Befehlskette existierte, um die Buk-Raketen in die Ukraine zu bringen. Nach den jüngsten JIT-Veröffentlichungen ist es immer wahrscheinlicher, dass die Indizien bis in den Kreml führen.

Konstantin Eggert ist russischer Journalist

Kaum jemand glaubt, dass der Abschuss der malaysischen Boeing Absicht war. Wahrscheinlich ist vielmehr, dass die Rebellen dachten, sie würden ein ukrainisches Militär-Transportflugzeug abschießen. Sie prahlten damit sogar in den Sozialen Medien, bevor sie ihren Fehler erkannten und die Beiträge umgehend löschten.

Der Prozess wird die Behauptungen des Kremls zunichte machen, dass "ukrainische Nationalisten" einen Bürgerkrieg gegen das friedliche Volk der überwiegend russischsprachigen Donbass-Region ausgelöst hätten und dass das offizielle Russland nichts damit zu tun habe.

Den Einfluss des Kreml nachweisen

Die russische Ukraine-Politik selbst könnte in den Mittelpunkt des Prozesses rücken. Der Westen hat den Krieg, der dem Kreml sehr entgegenkommt, weitgehend vergessen. Ein auf den neuen Erkenntnissen aufbauender Prozess könnte dies ändern - mit negativen Folgen für Moskau. 

Trotz gegenteiliger Behauptungen achtet die russische Führung stark auf die öffentliche Meinung im Westen. Sie hofft, den Westen zu ermüden, ihn zu zwingen, die Unterstützung für die Ukraine aufzugeben und damit implizit die inoffizielle Vorherrschaft Moskaus in den Resten des postsowjetischen Raums anzuerkennen.

Putin versucht, den neuen Präsidenten der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, zur Einhaltung des Minsker Friedensabkommens zu zwingen und der von Russland kontrollierten Donbass-Region einen Sonderstatus einzuräumen. Putin hofft, dass dann die europäischen und vielleicht sogar die US-amerikanischen Sanktionen gegen sein Regime gelockert, wenn nicht sogar ganz aufgegeben werden.

Klagen von Opfern gegen die russische Regierung?

Ein Prozess, der den Einfluss der russischen Führung auf den Abschuss des Malaysia-Airlines-Jets offenlegt, würde der Kreml-Strategie jedoch schweren Schaden zufügen. Er würde den ukrainischen Präsidenten zwingen, eine harte Linie gegenüber Moskau zu verfolgen, und die Stimmen in der EU verstummen lassen, die einen neuen Dialog mit Putin fordern.

Wenn es tatsächlich zu einem Nachweis der Beteiligung von Spitzenkräften des russischen Regimes kommt, könnten darüber hinaus Angehörige der Opfer beschließen, die Regierung in Moskau auf Entschädigung zu verklagen. Der Kreml müsste dann Ausgleichszahlungen anbieten, um einen Skandal zu vermeiden. Aber das wäre gleichbedeutend mit einem Eingeständnis der Schuld.

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