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Politik

Der Kollaps des Iran steht nicht bevor

Kommentarbild PROVISORISCH | Rainer Hermann, FAZ & Klett-Cotta
Rainer Hermann
18. Januar 2020

Es brodelt zwar in der Gesellschaft der Islamischen Republik Iran. Doch die Situation ist nicht vergleichbar mit der Revolution vor 41 Jahren, meint Rainer Hermann von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Vor allem Studenten in Teheran demonstrierten im Gedenken an die Opfer des Flugzeugabschusses Bild: picture-alliance/dpa/AP Photo/E. Noroozi

Der Abgesang auf die Islamische Republik Iran erfolgt zu früh. Seit dem Eingeständnis der Revolutionswächter, dass sie das ukrainische Passagierflugzeug aus Versehen abgeschossen und diese Tatsache drei Tage verheimlicht haben, ziehen viele Iraner zwar einen Vergleich zur Nuklearkatastrophe von Tschernobyl im April 1986. Die Sowjetführung hatte damals für mehrere Tage eine Nachrichtensperre verhängt. Die Katastrophe und der Umgang mit ihr wurden rückblickend zum Symbol für das Versagen der Sowjetunion, deren Zerfall mehr als drei Jahre später einsetzte. Das muss sich in Iran nicht wiederholen.

Verfrüht sind auch die Parallelen zur islamischen Revolution: Im Februar 1979 schossen die Sicherheitskräfte nicht mehr auf die Demonstranten, immer mehr von ihnen liefen zu den Revolutionären über. Und diese hatten eine charismatische Figur, Ajatollah Chomeini, um die sie sich alle scharten.

Keine Voraussetzungen für eine erfolgreiche Revolution

Solche Voraussetzungen für eine erfolgreiche Revolution sind heute nicht gegeben. Denn die Revolutionswächter, die der Krieg gegen den Irak von 1980 bis 1988 geprägt hat, sind entschlossen, weiter scharf auf Demonstranten zu schießen. Sie sind bedingungslos loyal zu dem System, von dem sie auch wirtschaftlich profitieren. Die Demonstranten bringen aber keine kritische Masse zustande, um gegen diese Macht anzugehen. Und sie haben auch keinen Anführer, um den sich alle scharen könnten.

Rainer Hermann ist Redakteur der Frankfurter Allgemeinen ZeitungBild: Helmut Fricke

Jedoch wird der Rhythmus der Proteste in der Islamischen Republik Iran schneller, die Slogans werden radikaler, und die Proteste werden blutiger. Der erste große Protest im Jahr 1999 dauerte eine Woche - Studenten hatten gegen die Schließung einer Zeitung der Reformer protestiert. Ihr Protest im Umfeld der Teheraner Universität wurde aber niedergeknüppelt.

Zehn Jahre später lieferten sich nach der manipulierten Wiederwahl des Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad Demonstranten, die überwiegend aus der bürgerlichen Mittelschicht stammten, und die Bassidschi - die Freiwilligenmiliz der Revolutionswächter - in den Straßen Teherans erstmals Straßenschlachten. Dann demonstrierten drei Millionen Menschen friedlich und forderten, die Wahl zu annullieren. Aber auch sie bildeten keine kritische Masse, um die Islamische Republik zu erschüttern.

Zum Jahreswechsel 2017/18 gingen erstmals landesweit zehntausende, meist ärmere Iraner, die gegen die hohe Inflation und Arbeitslosigkeit protestierten, auf die Straße. Dann löste im vergangenen November die Verdreifachung der bis dahin sehr niedrigen Benzinpreise die bislang größte Protestwelle aus. In allen Provinzen, in großen wie in kleinen Städten, demonstrierten die Menschen gegen die Führung der Islamischen Republik, Gebäude der staatlichen Banken und der Sicherheitskräfte wurden in Brand gesteckt. Die Sicherheitskräfte schossen scharf, und mehr als 1000 Demonstranten wurden getötet.

Der Funke nach dem Flugzeugabschuss sprang nicht über

Die jüngsten Proteste nach dem Abschuss des ukrainischen Passagierflugzeugs gingen von zwei Teheraner Universitäten aus, an denen Mahnwachen für die Opfer gehalten wurden. Der Funke sprang nicht auf andere Bevölkerungsschichten über und auf nur wenige andere Städte. Zwar setzten die Sicherheitskräfte Tränengas ein und schossen mit Schrotkugeln. Sie schossen aber nicht, wie noch im November, scharf. Der Protest verebbte rasch.

Der Abschuss des Passagierflugzeugs beschleunigt zweillos die Erosion des Vertrauens in die Islamische Republik. Der 80 Jahre alte Revolutionsführer Chamenei zeigt aber keinerlei Bereitschaft, daraus Konsequenzen zu ziehen und Reformen einzuleiten. Im Gegenteil hat der Wächterrat viele Kandidaten für die Parlamentswahl am 21. Februar disqualifiziert, selbst jeder dritte der gegenwärtigen Abgeordneten darf nicht mehr antreten. Chamenei will dafür sorgen, dass eine neue Generation junger, ihm und den Prinzipien der Revolution ergebener Abgeordneter das Parlament, das ohnehin wenig zu sagen hat, kontrolliert. In der iranischen Gesellschaft brodelt es zwar. Ein Kollaps der Islamischen Republik steht damit aber nicht bevor, zumindest nicht in naher Zukunft.

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