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Politik

Der Kreml wird nicht nachgeben

27. März 2018

Die Ausweisung zahlreicher russischer Diplomaten wird die Krise nach dem Anschlag auf Sergej Skripal nicht lösen. Im Gegenteil, meint der russische Journalist Konstantin von Eggert - Russland wird noch härter reagieren.

Russische Diplomaten müssen Großbritannien verlassenBild: picture-alliance/dpa/AP/F. Augstein

"Ich glaube es einfach nicht!" - das sagte Konstantin Stanislawski, der Begründer des modernen russischen Theaters, zu Schauspielern, wenn er mit deren Darbietung nicht zufrieden war. Das Vereinigte Königreich und seine zwei Dutzend Alliierten auf dem Globus haben am Dienstag zusammen wie aus dem Munde Stanislawskis gesprochen.

"Ihr lügt!" - das ist die Botschaft hinter der beispiellosen Ausweisung von russischen Diplomaten, welche die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, die USA, Kanada und Australien beschlossen haben.

Diese Demarche wird sich in Zukunft in allen Büchern zur Geschichte der internationalen Diplomatie wiederfinden. Selbst Saddam Hussein oder der nordkoreanischen Kim-Dynastie blieb solch eine öffentliche Demütigung erspart. Ein bedeutender politischer und diplomatischer Sieg für die britische Premierministerin Theresa May.

Das kleine Island und Putins "bester Freund"

Zwei Akte dieses Dramas haben meine Aufmerksamkeit besonders auf sich gezogen: Als das kleine Island 1990 als erster Staat die Unabhängigkeit Litauens anerkannte, stellte sich die kleine Insel der großen Sowjetunion gegenüber. Jetzt kündigte Reykjavik den politischen und diplomatischen Bann Moskaus an, obwohl die Isländer nicht einmal Mitglied der EU sind und im Gegensatz zu Kanada, Australien und den USA keinerlei spezielle Beziehungen zu Großbritannien pflegen. Die zweite Besonderheit: Der "beste Freund" der Russen, der ungarische Premierminister Viktor Orbán hat sich ebenfalls dazu entschlossen, einen russischen Diplomaten des Landes zu verweisen. Vielleicht nicht aus eigener Überzeugung - aber der EU-kritische ungarische Populist, der für seine guten Verbindungen zu Wladimir Putin bekannt ist, hat damit gezeigt, wo seine wirklichen Prioritäten liegen.

Und wahrscheinlich wird das auch nicht das Ende der Geschichte sein. EU-Ratspräsident Donald Tusk hat gedroht, dass die EU-Mitgliedsstaaten noch weitere Schritte unternehmen könnten. Was bedeutet: Länder, wie Portugal oder die Slowakei, die bislang noch kein russisches Botschaftspersonal des Landes verwiesen haben, könnten dies immer noch tun. Experten der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) untersuchen die Substanz, die verwendet worden ist, um den ehemaligen britischen Spion Sergej Skripal und seine Tochter Julia zu vergiften.

Tokio wartet noch ab

Wenn sie zu dem Schluss kommen, dass das Gift aus russischer Produktion stammt, könnte dies zu weiteren Ausweisungen führen. 

Konstantin von Eggert

Offiziell wartet auch Tokio noch ab. Das japanische Außenministerium ließ ausrichten, dass es die Situation aufmerksam beobachte. Vermied aber bislang die Frage zu beantworten, ob der wichtigste US-Verbündete in Asien die amerikanische und britische Linie unterstützen will.

In einer westlichen Demokratie hätte ein derartiges Desaster auf diplomatischer Ebene den Rücktritt des kompletten Außenministeriums sowie der Spitzen des Geheimdienstes notwendig gemacht und zu parlamentarischen Untersuchungen geführt. Auch der Regierungschef wäre sofort unter Druck geraten. Aber Russland ist keine Demokratie.

Witze auf Twitter und Verschwörungstheorien im TV

Außenminister Sergej Lawrow ging am Montag erst einmal demonstrativ Fußball spielen mit der Altherrenrunde von Spartak Moskau. Die russische Botschaft in Washington reagierte auf den Rauswurf seiner 60 russischen Agenten aus den USA mit einem Witz auf Twitter: Die Follower wurden gefragt, welches der drei US-Konsulate in Russland der Kreml als Reaktion auf die Schließung des russischen Konsulats in Seattle nun seinerseits schließen solle?

Die Marionetten aus dem Kreml und die vermeintlichen TV-Experten machten sich den ganzen Tag über die Europäer lustig und schwafelten von Verschwörungstheorien. Der Nervengiftanschlag in Salisbury sei eine britisch-amerikanische Provokation, sagten sie. "Russland ist zu groß geworden und die neidischen US-Amerikaner wollen es wieder zurecht stutzen. Washington hat seine Lakaien dazu gezwungen, sich seinem diplomatischen Boykott anzuschließen." Diese Version der Ereignisse wird gerade in die Köpfe der russischen TV-Zuschauer geprügelt.

Die Briten haben noch ein paar mehr Pfeile im Köcher

"Seht her, das große Russland kann nur große Gegner haben, nicht solche Mini-Feinde wie Rumänien oder Finnland." Viele werden diesen verblendeten Erklärungen Glauben schenken.

Ich hege keinen Zweifel daran, dass der Kreml auf die diplomatischen Ausweisungen mit gleicher Münze reagieren wird: Hey, ihr werft russische Botschaftsmitglieder raus - dann schließen wir eben ein US-Konsulat.

Auch das Moskauer BBC-Studio könnte geschlossen werden, falls die britische Medienaufsichtsbehörde Russia Today, dem Propagandasender des Kremls, die Sendelizenz in Großbritannien entzieht.

Abgesehen von den normalen politischen und diplomatischen Moskauer Reaktionen sind die Möglichkeiten Russlands begrenzt. Gleichzeitig haben die Briten noch ein paar mehr Pfeile im Köcher. Als da wären: Beschlagnahmung von dubiosen russischen Oligarchengeldern im Ausland, Entzug der britischen Staatsbürgerschaft von Exilrussen und deren Familienmitgliedern, Aufnahme russischer Offizieller in die britische "Magnitski-Liste".

Russlands Lügenkette endet katastrophal

Noch nicht einmal der komplette Boykott Großbritanniens der Fußball-WM kann ausgeschlossen werden, sollten die Untersuchungen des Angriffs in Salisbury Beweise für eine Beteiligung des russischen Staates liefern.

Offiziell hat Moskau mehrmals vor dem Anschlag in Salisbury gelogen: vom ehemaligen KGB-Agenten Alexander Litwinenko, der angeblich von Boris Beresowski vergiftet wurde, über den Angriff Georgiens auf Südossetien, über die ukrainischen Faschisten auf der Krim, über das Nichtvorhandensein russischer Truppen im Donbass bis hin zum erfundenen russischen Fluglotsen, der angeblich einen ukrainischen Jet gesehen haben wollte, als er das Passagierflugzeug MH17 vom Himmel schoss. Jetzt ist diese Lügenkette in einer diplomatischen Katastrophe geendet.

Aber der Kreml wird nicht nachgeben. Er versteht jeden Rückzug als Niederlage. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Moskau über eine sogenannte "Impulsantwort" gegenüber dem Westen nachdenkt.

Für solche Aktionen gibt es Hacker, Propagandisten und - wenn nötig - die russischen Streitkräfte. Der Kalte Krieg glich einst einem Boxkampf. Da gab es immerhin Regeln. In seiner Neuauflage mit dem Westen wird es keine geben. Putins Russland hat sich in der neuen Auseinandersetzung für einen Mix aus allen Kampfkünsten entschieden.

Konstantin von Eggert ist Kommentator und Moderator beim unabhängigen russischen TV-Sender Dozhd.

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