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Politik

Der Putin-Stalin-Pakt

23. August 2019

Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und Stalins Pakt mit Hitler kommt dem Kreml sehr zupass. So kann Wladimir Putin rechtfertigen, was er zur Stärkung der "Festung Russlands" unternimmt, meint Konstantin Eggert.

Bild: Reuters/G. Dukor

Das sind ziemlich arbeitsreiche Tage für die staatlichen russischen Medien und für diese ganzen bezahlten Trolle.

Es ist der 80. Jahrestag des Hitler-Stalin-Pakts und auch der Beginn des Zweiten Weltkriegs jährt sich am 1. September zum achtzigsten Mal. Diese Anlässe nutzend, hat der russische Staat eine massive Medienkampagne gestartet, inklusive der Social-Media-Aktivitäten der diplomatischen Missionen. Wir erleben etwas, was wir aus der Sowjetunion noch gut kennen: die Kunst des "Whataboutismus" - die Erwiderung, die Gegenfrage auf einen Vorwurf - am Ende eine Propagandatechnik. Unter Wladimir Putin erlebt sie eine Renaissance. Die Kampagne zielt darauf ab, die Russen und den Rest der Welt davon zu überzeugen, dass die Katastrophe von 1939 allein westlichen Ursprungs war. Und dass die Polen und die baltischen Staaten, damals Opfer der Aggression, in Wirklichkeit ebenso schlimm waren wie ihre Besatzer.

Abgekühlt? Noch kälter!

Früher ging die Propagandalinie so: "Stalin wurde durch die Umstände dazu gezwungen, mit Hitler zu verhandeln." Nun erleben wir eine geradezu überschwängliche Würdigung des Pakts und der Eroberungen, die sich daraus ergaben: der Einmarsch in Polen im September 1939 und die Besetzung von Litauen, Lettland und Estland im Sommer 1940.

Der russische Präsident Putin weiß sehr wohl, dass dies äußerst sensible und auch schmerzhafte Themen für die Menschen im mittleren Europa und im Baltikum sind. Das hindert ihn aber nicht daran, sie weiter verbal anzugreifen. Abgekühlte Beziehungen werden so noch kälter. Die Politik seiner Vorgänger Michail Gorbatschow und Boris Jelzin, die historische Verantwortung der UdSSR in Teilen anzuerkennen und die Taten Stalins zu verurteilen, hat Putin aufgegeben.

Protokoll in Farbe

Im vergangenen Mai wurde vom russischen "Institut für Auswärtige Politik", einer Propagandaschmiede finanziert vom Kreml, ein Buch zur "Anti-Hitler-Koalition" veröffentlicht. Es ist nichts anderes als der Versuch, die Schuld für den Kriegsbeginn auf Großbritannien und Frankreich - die damaligen Bündnispartner Polens - zu schieben. Bei dieser Gelegenheit wurde dazu auch - in Farbe - erstmals das geheime Zusatzprotokoll zum Hitler-Stalin-Pakt veröffentlicht, und die Verfasser verbinden das mit ausgiebigem Dank an das Archiv des russischen Außenministeriums.

Der Kreml hatte jahrzehntelang abgestritten, dass sich dieses Protokoll überhaupt im Besitz Russlands befinde. Eine Veröffentlichung war also garantiert nur nach ausdrücklicher, persönlicher Anweisung von Putin möglich.

Stalin umarmen!

Seit der Annexion der Krim und dem Einmarsch in der Ostukraine im Jahr 2014 wurde das Vorgehen Putins häufig mit der Außenpolitik Stalins verglichen. Putin hat sich nun dazu entschlossen, diesem Bild zu entsprechen, manchmal auf eine fast groteske Weise. Dafür gibt es drei Gründe.

Erstens: Er treibt damit sein eigenes Verständnis der Geschichte, der Identität und des Patriotismus voran - und vermittelt dieses Verständnis so an seine Landsleute. Demzufolge handelt die staatliche Autorität immer richtig und rechtschaffen - sei es nun der Zar, der Generalsekretär oder der Präsident. Die edelste staatsbürgerliche Pflicht besteht darin, das Urteil der Oberen ohne Zweifel zu akzeptieren - und sogar bereit zu sein, zu sterben, wenn es befohlen wird. 

Konstantin Eggert ist russischer Journalist

Der Zweite Weltkrieg mit seinen immensen Opfern auf sowjetischer Seite dient seit fünf Jahren dazu, der Putinschen Isolationspolitik für die "Festung Russlands" die ultimative Propagandagrundlage zu liefern. Stalins Zynismus und Aggressionen werden als "Pragmatismus" und als "Verteidigung nationaler Interessen" verherrlicht. Wohlgemerkt: Das geschieht zu einer Zeit, da sich die russische Öffentlichkeit Umfragen zufolge mehr über die Wirtschaft und soziale Fragen sorgt als über Abenteuer im Ausland.

Zweitens: Der Stalin-Vergleich ist geeignet, dem Westen Angst einzujagen. "Ihr glaubt, ich bin schlecht? Nun, ich bin noch schlimmer, als ihr glaubt!" Das ist eine typische Botschaft eines isolierten autoritären Herrschers, dessen Hauptanliegen es ist, nicht als schwach zu gelten. Weder beim Publikum im eigenen Land noch gegenüber anderen Staaten. Putin will das Narrativ kontrollieren. Er möchte gesehen werden als jemand, der sich nicht den Regeln anderer unterwirft, sondern nur nach seinen eigenen Regeln vorgeht.

Was wird nach 2024?

Drittens: Putin hat das Jahr 2024 im Blick, wenn er offiziell als Präsident zurücktreten muss und gleichwohl die volle Kontrolle über Russland behalten will. Eine Änderung der russischen Verfassung, die die Grenzen der Amtszeiten eines Präsidenten aufhebt, bleibt zwar möglich, wäre aber ungewöhnlich. Dieser russische Führer mag unerwartete und spektakuläre Entscheidungen, so wie die Annexion der Krim-Halbinsel im Jahr 2014. Die Schaffung eines "neuen" Staates, zum Beispiel durch den Beitritt der - von Moskau ermöglichten und finanzierten - separatistischen "Republiken" in der Ostukraine zu Russland, könnte da passen. Das wird in der russischen Hauptstadt tatsächlich diskutiert. Und dies könnte dem starken Mann Russlands einen Vorwand liefern, eine neue Verfassung zu verkünden und so die Uhr zurückzudrehen, was seine Präsidentschaft anbelangt.

Dass Stalin es auch so gemacht hat, daran würde Putin seine Mitbürger erinnern und sie zugleich auf mögliche Entwicklungen in der Zukunft vorbereiten. Die Botschaft Putins ist unverkennbar: "Wir haben es schon mal gemacht. Wir können es wieder tun."

Wird er das?

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