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Politik

Die Drohungen der Türkei ernst nehmen

Kommentarbild PROVISORISCH | Rainer Hermann, FAZ & Klett-Cotta
Rainer Hermann
10. August 2019

Ein neuer Einmarsch der Türkei in Syrien steht allem Anschein nach unmittelbar bevor. Dieser könnte jedoch selbstzerstörerische Folgen haben, meint Rainer Hermann von der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".

Mit Artilleriefeuer auf syrisches Gebiet eröffneten türkische Truppen im Januar 2018 die "Operation Olivenzweig"Bild: Getty Images/AFP/B. Kilic

Die Türkei ist kein Land, das Drohungen tatenlos verstreichen lässt. Bereits zweimal hat Ankara seine Ankündigung wahrgemacht, in Syrien einzumarschieren: mit der "Operation Euphrat-Schild" von August 2016 bis März 2017 und mit der "Operation Olivenzweig" im ersten Quartal 2018. Seither kontrolliert die Türkei zwei Prozent der Fläche Syriens.

Berauscht von diesem Erfolg will die Türkei mit einem dritten Einmarsch ihre Kontrolle nun auf den östlichen Teil Nordsyriens erheblich ausweiten. Wenn das viertägige islamische Opferfest endet, das am Sonntag beginnt, kann die Operation östlich des Euphrats anlaufen. Die militärischen Vorbereitungen entlang der Grenze scheinen abgeschlossen, günstig scheinen auch die Bedingungen dafür.

Niemand hält die Türkei zurück

So gibt es im internationalen Umfeld niemanden, der die Türkei zurückhielte. Als der amerikanische Präsident Trump zu Jahresbeginn der Türkei gedroht hatte, die türkische Wirtschaft zu zerstören, war der türkische Präsident Erdogan plötzlich kleinlaut geworden. Jetzt aber redet die amerikanische Regierung nicht einmal mehr von den Sanktionen, die sie wegen des türkischen Kaufs des russischen Luftabwehrsystems S-400 angedroht hatte. Erdogan hat seine Karteien wieder einmal gut gespielt: Indem er mit der Keule schwingt, in Syrien einzumarschieren, erhöht er den Druck auf Washington, dass die USA in der Hoffnung einlenken, so eine weitere Eskalation zu verhindern.

Rainer Hermann ist Redakteur der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung"Bild: Helmut Fricke

Auch innenpolitisch sind die Bedingung günstig. Nach der Schlappe bei den Lokalwahlen braucht Erdogan ein Thema, mit der er die Nation wieder hinter sich vereint; das ist verlässlich der Konflikt mit den Kurden. Seit der Tötung eines führenden PKK-Kaders am 27. Juni durch den türkischen Staat und die Vergeltungstat der PKK (die Tötung eines türkischen Diplomaten am 21. Juli in Nordirak durch die PKK), ist zudem der alte Kurdenkonflikt wieder entflammt. Außerdem nimmt der Unmut in der türkischen Bevölkerung gegen die syrischen Flüchtlinge zu; Erdogan kann eine Operation damit rechtfertigen, dass sie Raum für deren Rückkehr nach Nordsyrien schaffe.

Die Voraussetzungen für einen dritten Einmarsch erscheinen für Ankara daher günstig. Er könnte jedoch zwei selbstzerstörerische Szenarien auslösen. In dem einen Fall stehen sich türkische und - an der Seite der Kurden - amerikanische Soldaten gegenüber und bekämpfen sich. Kämpfen die Amerikaner nicht an der Seite der Kurden, tritt das andere Szenario ein: Die Kurden rufen dann das Assad-Regime zu Hilfe, das somit einen weiteren verlorenen Teil Syriens zurückgewinnt. Als Folge muss Washington seine Stützpunkte in der Kurdenregion aufgeben, und die Türkei sieht sich jenseits der Grenze wieder Assad gegenüber. Derweil nutzt der IS das Vakuum, um zurückzukehren.

Unvereinbare Positionen

Die Strategen in Ankara sind klug genug, beide Szenarien zu kennen. Daher hoffen sie, mit maximalem Druck die Amerikaner so weit zu bekommen, dass diese einer weit größeren und tieferen "Pufferzone" als derzeit zustimmen. In einer solchen Pufferzone sollen die Kurden aber nichts mehr zu sagen haben.

Die syrischen Kurden haben jedoch klar gemacht, dass sie sich Ankara nicht unterwerfen und sie die Errungenschaften ihrer Selbstverwaltung nicht aufgeben. Die Positionen sind damit unvereinbar. Im achten Jahr des syrischen Kriegs droht daher eine weitere Runde der Gewalt. Denn die Geschichte lehrt, dass Drohungen der Türkei ernst zu nehmen sind.

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