1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Die Rückkehr von Stalins Monster

Kommentatorenbild - Schriftsteller Viktor Jerofejew
Viktor Jerofejew
28. September 2016

Die Neugründung des russischen Ministeriums für Staatssicherheit steht für den Traum von der sowjetischen Weltmacht, meint der russische Schriftsteller Viktor Jerofejew. Für Andersdenkende eine alarmierende Nachricht.

Bild: picture-alliance/AP Photo/M.Meissner

Das Leben in Russland wird immer spannender. In den Medien tauchte die Meldung auf, eine Reform der Geheimdienste stehe unmittelbar bevor. Anstelle des im Vergleich zu Sowjetzeiten doch ziemlich zahnlosen FSB entsteht erneut eine (man dachte, auf ewig vergessene) staatliche Struktur der Ära Stalin: das Ministerium für Staatssicherheit, kurz MGB. Ausgehend vom damaligen MGB bedeutet das: Die Schrauben werden angezogen - und zwar richtig.

Der Name MGB: unglücklich gewählt

Das MGB der Stalin-Zeit war berühmt-berüchtigt für seinen Kampf gegen Kosmopolitismus, der in einen gnadenlosen, geradezu absurden Kampf gegen den Westen, wie auch in eine machtvolle antisemitische Kampagne mündete. Diese Kampagne gipfelte gegen Ende des Stalin-Regimes in der sogenannten "Ärzteverschwörung", einem von Stalin und einigen Gefolgsleuten erfundenen Komplott der "Mörder im weißen Kittel". Es war die Ouvertüre zur massenhaften Verbannung sowjetischer Juden nach Sibirien. Desweiteren gab es auch die "Leningrader Affäre": Die meisten führenden Funktionäre der Stadt - die nach der deutschen Blockade im Zweiten Weltkrieg noch als Helden gefeiert worden waren - wurden als Volksfeinde liquidiert.

Im Kulturbereich bleibt besonders die Hetzkampagne des MGB gegen die Schriftsteller Anna Achmatowa und Michail Soschtschenko in Erinnerung, welche letztlich die gesamte Intelligenzija terrorisierte. Selbst für jemanden, der die Geschichte der Stalin-Zeit nur oberflächlich kennt, ist die Abkürzung MGB historisch vorbelastet und unglücklich gewählt für eine staatliche Einrichtung, die eigentlich schlimmer ist als der allseits bekannte KGB. Der wurde ja erst nach Stalins Tod gegründet und wandte keine legalisierte Folter gegen sowjetische Bürger an.

Wer hat sich das ausgedacht? Wer will hier wem allein mit dem Namen MGB Angst einflößen? Ist es ein Hinweis auf mögliche massenhafte Repressionen in der Zukunft? Eine bedrohlich geballte Faust in Richtung des äußeren Feindes? Ein wütender Hieb mit eben dieser Faust gegen Korruption in den Sicherheitsstrukturen, die bizarre Ausmaße und Formen annimmt? Oder einfach bloß eine völlig unsensible Haltung gegenüber einer gefährlichen Wortverbindung?Auf diese Fragen erhält man keine Antwort. Denn es gibt keine.

Sehnsucht nach dem alten Ruhm der Supermacht

Das Leben in Russland ähnelt zunehmend einer Spezialoperation mit geheimnisvollem Ziel. Solch ein erstaunliches Phänomen hat es in der ganzen russischen Geschichte nicht gegeben. Unter den Zaren errichtete man eine Gesellschaftsordnung auf der Basis von Autokratie, Orthodoxie und Volksnähe - drei klaren Orientierungspunkten. Die Kommunisten setzten auf das Modell "Lichte Zukunft", in der jeder seinen Fähigkeiten und Bedürfnissen entsprechend leben sollte. Selbst unter Stalin, als sich der Kommunismus mit dem starken imperialen Bewusstsein des "Führers aller Völker" mischte, war klar, dass es im Schutz der Weltrevolution der Weltherrschaft entgegenging. Das hat natürlich nicht ganz geklappt, aber vieles, besonders in Osteuropa, ist gelungen. Unter Gorbatschow und Jelzin begann man von allgemein menschlichen Werten zu reden: Die Angelegenheit bewegte sich in Richtung einer Ehe mit dem Westen. Es hat nicht funktioniert, aber wir haben es wenigstens versucht.

Der russische Schriftsteller Viktor JerofejewBild: imago/ITAR-TASS

Mit dem Antritt Putins geriet zwar die Verbindung mit dem Westen rasch ins Wanken, doch der Glaube daran, dass es gelingen würde, eine bequeme Konsumgesellschaft zu erschaffen, wurde erst sehr viel später erschüttert. Es dauerte einige Jahre, in denen man glaubte, den Lebensstandard Portugals erreichen zu können. Dann wurde klar: Wir schaffen auch das nicht! Wir in Russland haben keine Gehirne von Chinesen, mit deren Hilfe wir die Welt mit unseren Produkten überschwemmen könnten. Und an die Stelle der Vision von einer Konsumgesellschaft trat allmählich das Bild eines schweren Verlusts.

Man begann, den Zusammenbruch der Sowjetunion bedauerlich zu finden. Denn eben zu Stalins Zeiten entstand das ideale Modell eines sozial gerechten Staates und einer Supermacht. Man füge der sozialen Gerechtigkeit nur den Gesellschaftsentwurf der orthodoxen Kirche hinzu und auf geht's - zurück zum früheren Ruhm!

Sowjetunion-Utopie wird auf das 21. Jahrhundert übertragen

Doch offen über diese Bewegung in Richtung Sowjetunion zu sprechen, ist bislang nicht üblich. Alles versinkt im Nebel. Allerdings ist der Nebel nicht dicht genug: Man nimmt die Bewegung wahr. Genauer gesagt: nur Konturen dieser Bewegung. Aus diesem Grunde sind unsere Liberalen auch überzeugt davon, dass die Machthaber im Kreml diesen Krebsgang, den Weg zurück in Richtung Sowjetunion, ausschließlich um des eigenen Machterhalts willen einschlagen. Die orthodoxe Kirche hingegen ist davon überzeugt, dass der Zeitpunkt gekommen sei, die Verbindungen zu westlichen, dem russischen Volk fremden Werten zu kappen und den Staat bei seiner Erstarkung zu unterstützen. Die Machthaber selbst schließlich sind überzeugt davon, dass das Modell UdSSR das einzig richtige Modell für Seele und Geist des Volkes ist.

Hier jedoch hat sich ein wichtiges Detail eingeschlichen. Die Sowjetunion war eine Utopie, philosophisch begründet auf Marxismus und imperialen Träumen des 19. Jahrhunderts. Und dieser Staat stützte sich hauptsächlich auf die Macht von Waffen und allgemeiner Angst.

Die Konsequenz ist klar: Indem unsere regierenden Romantiker diese Utopie auf das 21. Jahrhundert übertragen, verwandeln sie die Bewegung Russlands in eine Spezialoperation, in deren Verlauf wir im romantischen Nebel die Krim annektieren und von Noworossija träumen, während im politischen Programm Schirinowskis schon von Rückkehr zu den Grenzen der UdSSR die Rede ist. Die Nachbarn haben Angst, und ihre Angst macht sie allmählich zu Feinden. Die Bevölkerung, abgeschnitten vom Warenfluss aus dem Westen, sieht sich gewissen realen Schwierigkeiten ausgesetzt. Im Übrigen glaubt sie dem Staatsfernsehen und wählt, was verlangt ist, um sich eines Tages auf wundersame Weise in einer Supermacht mit allen sich daraus ergebenden Folgen wiederzufinden. Da nun aber der Weg zur Supermacht dornenreich ist, braucht es mächtige Helfer.

Jagd auf Werwölfe und Andersdenkende

Und hier taucht das Phantom MGB auf. Nicht etwa irgendein Staatskomitee mit vagen Vollmachten wie der KGB, sondern eben ein mit sämtlichen Vollmachten ausgestattetes Ministerium, das dann auf die Werwölfe einschlagen wird. Auf jene in den Sicherheitsstrukturen, die nach außen hin mit der Utopie einverstanden sind, selbst aber den niederträchtigen Kapitalismus leben. Das zum Ersten. Zweitens: Das Ministerium übt keinerlei Toleranz gegenüber den Andersdenkenden, der "Fünften Kolonne" der kreativen Mittelklasse, die nicht von der Utopie durchdrungen sind. Drittens: Die Unbilden, welche die Massen der Bevölkerung auf dem Weg zurück in die lichte Zukunft erwarten, können zu spontanen Aufständen führen, wie sie in der russischen und sowjetischen Geschichte bekanntermaßen vorkamen. Demgegenüber muss man sich mit allem Verantwortungsbewusstsein des geistig erleuchteten Erbauers einer Utopie verhalten. Und dabei nicht seine Macht verlieren, da ja kein anderer bereit ist, das Volk in eine Gesellschaft zu führen, welche die besten Seiten einer Autokratie und des Kommunismus miteinander verbindet.

Inwieweit diese Pläne realisierbar sind, bleibt offen. Denn es ist unklar, wie hoch das Maß an Toleranz und Loyalität der Massen und Eliten ist. Inwieweit wird das MGB den Traditionen seines älteren stalinschen Bruders entsprechen? Das hängt ab vom Willen des Regenten. Nun ja, und von der Weltlage. Denn gäbe es keine Schlaglöcher und Fallstricke auf diesem utopischen Weg des Kremls und nicht diese üblen, nach Europa drängenden ukrainischen Nachbarn, dann befänden sich die Russen schon heute allesamt in der UdSSR - und das MGB wäre ihre gute Mutter und Fürsprecherin.

(Aus dem Russischen von Beate Rausch.)

Sie können unterhalb dieses Artikels einen Kommentar abgeben. Wir freuen uns auf Ihre Meinungsäußerung!

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen