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Ein Manöver und gefährliche Abhängigkeiten

Jörg Himmelreich Kommentarbild App PROVISORISCH
Jörg Himmelreich
1. September 2022

Große militärische Übungen senden immer klare Signale. Im Fall des russisch-chinesisch-indischen Manövers "Wostok 2022" richtet sich eines auch an Deutschland, meint Jörg Himmelreich.

Die chinesische "Volksbefreiungsarmee" reiste mit viel militärischen Gerät in den Osten RusslandsBild: RUSSIAN DEFENCE MINISTRY/AFP

An der russischen Militärübung "Wostok 2022" im Osten Russlands nimmt China wie schon 2018 wieder teil, dieses Mal sogar mit allen drei Teilstreitkräften zu Wasser, zu Lande und in der Luft. Das macht deutlich: Die militärische Kooperation zwischen China und Russland intensiviert sich. Angesichts des russischen Einmarschs in die Ukraine ist das für Wladimir Putin ein wichtiges Zeichen: Trotz seines brutalen Krieges ist er weltpolitisch nicht völlig isoliert. Sogar Indien nimmt dieses Mal an dem Manöver teil. All dies sind Vorboten einer langsam sich herausbildenden neuen Weltordnung.

Die beiden Autokratien Russland und China verbindet das gemeinsame geopolitische Interesse, die gegenwärtige, noch von der Vormacht der USA geprägte Weltordnung abzulösen. Vor allem die Volksrepublik China will nach dem Plan Xi Jinpings 2049, 100 Jahre nach ihrer Gründung, zur alleinigen Weltmacht aufgestiegen sein. Putin seinerseits strebt an, die Territorien des einstigen Zarenreichs in Europa wieder zu unterwerfen.

Geostrategische Parallelen

Dabei ergänzen sich beide Autokratien in der militärischen Herausforderung der USA, ohne sich dabei gegenseitig zu behindern. Russlands Armee fordert die USA und die NATO im Westen der eurasischen Landmasse vor allem am Boden heraus. China hingegen baut vor allem seine Flotte im Pazifik  aus, unter anderem mit seinem erstmals selbstständig gebauten dritten Flugzeugträger. Dabei ist China ungefähr seit der Jahrtausendwende Russland in fast jederlei Hinsicht überlegen. Einzige Ausnahme ist die russische Nuklearmacht. Der knappen Million russischer Soldaten stehen zwei Millionen chinesische gegenüber.

DW-Gastkommentator Jörg HimmelreichBild: privat

China erwirtschaftet heute schon weltweit das größte Bruttoinlandsprodukt, Russland nur ein Siebtel davon - etwa so viel wie Italien. Technologisch ist China in vielen Industriebereichen längst auf westlichem Niveau, während Russland überwiegend von der Ausbeutung seiner Rohstoffe abhängt. Sein Gas fackelt es jetzt schon ab, weil es immer weniger nach Europa verkaufen kann. Sein Öl kann es nach China und Indien nur noch zur Deckung der Produktionskosten losschlagen.

China will - anders als Indien - die Weltordnung immer stärker nach eigenen nationalen Sicherheitsinteressen mitgestalten; seine zunehmend aggressive Politik im süd- und ostchinesischen Meer zeigt das an. Immer unverhohlener macht Xi Jinping deutlich, dass er die Annexion Taiwans anstrebt. Für die zukünftige Politik Chinas ist es ganz entscheidend, wie robust der Westen die russische Invasion in die Ukraine eindämmt. Peking verfolgt das im Hinblick auf seine Bestrebungen gegenüber Taiwan mit höchster Aufmerksamkeit.

Folgen für die USA, Europa und die Ukraine

Angesichts der so ungleich stärkeren Machtressourcen Chinas im Vergleich zu Russland konzentrieren sich die USA geostrategisch längst vor allem auf den Umgang mit der Herausforderung China. Bereits Barack Obamas "pivot to Asia" (Schwenk nach Asien) brachte das zum Ausdruck. Und es wirkt sich auch heute auf den Krieg in der Ukraine aus: Weil angesichts eines sich ohnehin ständig verschlechternden sino-amerikanischen Verhältnisses die USA bei einem eventuell eskalierenden Konflikt mit China über alle Machtressourcen verfügen möchten, unterstützen die USA die Ukraine militärisch nur in dem Umfang, dass diese sich gegenüber Russland behaupten kann. Aber eben ohne die USA militärisch zu sehr in Anspruch zu nehmen. Im übrigen erwarten die USA von Europa zurecht, dass es militärisch erheblich aufrüstet, um sich selbst zu schützen und die USA sich auf die Gewährung des nuklearen Schutzschilds für Europa beschränken können.

Chinesische Soldaten beim "Wostok 2022"-Militärmanöver in RusslandBild: RUSSIAN DEFENCE MINISTRY/AFP

Insofern betrifft die chinesisch-russische militärische Annäherung Europa und Deutschland unmittelbar. Vor allem die Bundesrepublik, für deren Unternehmen China einer der wichtigsten Absatzmärkte wie auch Lieferant von Rohstoffen und Halbfertigprodukten ist, muss darauf achten, dass sich deutsche Unternehmen aus kurzsichtigen Profitinteressen nicht in Abhängigkeitsfallen hineinmanövrieren. Das war schon der dramatische Fehler, der gegenüber Russland gemacht wurde. Gegenwärtig besteht diese Gefahr beispielsweise für den wichtigen Batterierohstoff Graphit aus China. Handel von strategischen Rohstoffen ist heute nicht mehr alleine "eine Angelegenheit der Wirtschaft" und führt nicht zum politischen Wandel - beides Irrtümer der über lange Jahre verfehlten deutschen Russlandpolitik.

Abhängigkeiten reduzieren

Deswegen wird es gerade für die Politik gegenüber China wesentlich darauf ankommen, die Abhängigkeiten deutscher Unternehmen vom dortigen Absatz- und Rohstoffmarkt zu reduzieren. Das setzt natürlich voraus, dass sich deutsche Bundesregierungen nicht zum Büttel kurzsichtiger Unternehmensinteressen und des Geschreis ihrer Lobbygruppen über die Gefährdung des Wirtschaftsstandorts Deutschland machen. Genau das hat nämlich zur fatalen energiepolitischen Abhängigkeit von Russland geführt.

 

Dr. jur. Jörg Himmelreich ist Professeur Affilié an der École Supérieure de Commerce à Paris (ESCP), Campus Berlin. Bereits 2007 warnte er in der Zeitschrift "Internationale Politik" der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik erstmals vor dem Vorgehen Wladimir Putins.

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