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PolitikEuropa

Es gibt keine Westbalkan-Lösungen ohne die USA

7. August 2020

Die USA haben in den 1990ern geholfen, die Kriege in Bosnien und Kroatien zu beenden. Auch heute ergreift Amerika auf dem Balkan die Initiative. Europa muss sich intensiver einbringen, meint Christian Schwarz-Schilling.

25 Jahre nach seinem Ende ist der Krieg in Bosnien noch vielerorts sichtbar, hier in der Stadt Gornji Vakuf Bild: DW

Ende Juli diesen Jahres veröffentlichte die englische Tageszeitung Guardian einen Artikel unter dem Titel "Bill Clinton pushed 'appeasement' of Serbs after Srebrenica massacre". Der Journalist Julian Borger schlussfolgert darin aus öffentlich zugänglichen Dokumenten der Clinton Digital Library zur US-Politik gegenüber Bosnien-Herzegowina, dass der US-Präsident und sein Team sehr entschlossen ein Ende des Krieges (1992-95) um die ex-jugoslawische Republik anstrebten.

Laut Borger wollte Clinton die muslimisch geführte Regierung Bosniens gleich nach dem Genozid im ostbosnischen Srebrenica auffordern, territoriale Zugeständnisse an die bosnischen Serben zu machen. Sogar eine Teilung entlang ethnischer Linien inklusive "Land Swap" und einem Referendum zur Sezession des serbisch kontrollierten Teils des Landes nach zwei bis drei Jahren wurde in einem Strategiepapier mit der Bezeichnung "Endgame" erwähnt.

Liest man das Dokument "995-07-20A, NSC Paper re Bosnia Endgame Strategy" allerdings genauer, so stößt man auf einen weit komplexeren Kontext. Clintons Berater versuchten darzustellen, mit welchen Maßnahmen man den Frieden in Bosnien-Herzegowina erreichen könnte. Dabei ist auffällig, dass ihre Vorschläge auch Überlegungen beinhalten, die weit früher bekannt waren. Bereits 1993 schlug Lord David Owen, der britische Verhandlungsführer Europas, eine viel weitergehende Zersplitterung Bosniens vor.

Hat Präsident Clinton "Endgame" selber begutachtet und für gut befunden? Darüber steht nichts in dem Artikel von Julian Borger und auch sonst ist nichts darüber bekannt. Was also geschah damals nach dem Völkermord von Srebrenica und vor den Verhandlungen in Dayton?

Christian Schwarz-Schilling war 2006/07 Hoher Repräsentant für Bosnien-HerzegowinaBild: Oliver Rüther

Die Konferenz von Split

Die britische Bosnien-Politik wollte sich weiter nicht einmischen, die Verhandlungen nach Srebrenica im gleichen Stil fortführen wie zuvor - obwohl weitere serbische Angriffe und damit die gänzliche Eroberung des Landes immer näher rückten und sich die nächste Katastrophe nach Srebrenica im westbosnischen Bihać bereits abzeichnete.

Der Frieden wurde nicht durch die von Julian Borger erwähnten Zugeständnisse erreicht, sondern durch die Konferenz von Split. Am 22. Juli 1995 kamen Bosniens Präsident Alija Izetbegović und sein kroatisches Pendant Franjo Tuđman in der kroatischen Küstenstadt zusammen, um in einer gemeinsamen Deklaration eine militärische Zusammenarbeit Kroatiens und Bosniens zu verkünden. Ich selbst, der Autor dieser Kolumne, war damals mit anwesend.

Kroatische Soldaten bei der Feier zum 25. Jahrestag der Operation "Oluja" in der Stadt Knin (5.8.2020)Bild: picture-alliance/AP/D. Bandic

"Oluja" befreit auch Westbosnien

Die darauffolgende kroatische Offensive "Oluja" (Sturm, 4.-8. August 1995) brachte die militärische Wende und war einer der wichtigsten Momente im Krieg in Ex-Jugoslawien. Die kroatische Armee befreite bisher serbisch besetzte Teile Kroatiens, die bosnische konnte Territorien im Westen Bosniens zurückerobern.

Nicht die NATO - "Oluja" beendete den Krieg in den beiden ex-jugoslawischen Republiken. Durch "Oluja" lösten sich alle Vorbehalte auf, die bisher seitens der Internationalen Gemeinschaft und der NATO gegen ein stärkeres Eingreifen in den Krieg vorgebracht worden waren; durch "Oluja" veränderte sich die Kriegslage vollkommen.

Europa blieb passiv

Währenddessen setzte man sich in der NATO und insbesondere seitens Großbritanniens und Frankreichs gegenüber US-Präsident Clinton mit Nachdruck dafür ein, "to stop this counteroffensives, arguing that they may incite greater Serbia to invade from the other side, but Clinton said he refused." (The Clinton Tapes von 2009, 277).

Doch mit den bosnischen und kroatischen militärischen Erfolgen erübrigten sich sowohl diese Strategie als auch die Überlegungen im "Endgame"-Papier. Die bosnischen Serben kamen an den Verhandlungstisch nach Dayton. Die Möglichkeit einer Sezession der "Republika Srpska" - des Teils von Bosnien, der im Krieg "ethnisch gesäubert" worden war und in dem jetzt vorwiegend Serben leben - lag während der Friedensverhandlungen in der US-Stadt im Spätjahr 1995 zu keinem Zeitpunkt auf dem Tisch.

Franjo Tuđman (Kroatien, li.) und Slobodan Milošević (Serbien) bei den Verhandlungen in DaytonBild: picture-alliance/dpa/J. Marquette

Kalte Schulter für die USA

Welches Spiel Europa seit Anfang der Balkankriege der 1990er spielte, konnte man schon im Mai 1993 klar sehen. Damals schickte Präsident Clinton seinen Außenminister Warren Christopher nach Europa, um in Amerika ausgearbeitete Interventionspläne zu besprechen. Doch die europäischen Politiker zeigten dem US-Gesandten die kalte Schulter.

Nur durch das in Split geschaffene Bündnis zwischen Bosnien und Kroatien und dank der Tatsache, dass die Amerikaner den Kroaten militärische Hilfe zukommen ließen, konnten die Kriege in Kroatien und Bosnien überhaupt beendet werden. Wir können dem damaligen amerikanischen Präsidenten Clinton nur dankbar sein, dass er beide Völker ernst genommen und ihnen geholfen hat.

US-Präsident Clinton, Frankreichs Staatsoberhaupt Chirac und Kanzler Kohl 1995 in DaytonBild: Reuters/C. Platiau

Appeasement? Ein unhaltbarer Vorwurf

Gerade Clinton jetzt der Appeasement-Politik gegenüber den Serben nach Srebrenica zu beschuldigen, grenzt an Geschichtsklitterung. Der anti-amerikanische Guardian-Artikel hilft heute in erster Linie ewigen Sezessionisten, etwa dem derzeitigen serbischen Mitglied der bosnischen Präsidentschaft, Milorad Dodik. Der forderte prompt in der bosnisch-serbische Nachrichtenagentur "Srna", man solle "die US-Idee einer Sezession der Republika Srpska rehabilitieren."

Tatsache ist, dass die USA Bosnien-Herzegowina damals, als Europa nicht konsequent handeln wollte, zum Frieden verholfen hat. Die Vereinigten Staaten sind auf dem Westbalkan weiterhin engagiert, auch wenn man Vorstöße wie den des derzeitigen US-Sonderbeauftragten Richard Grenell in Kosovo als kurzsichtig und gefährlich bezeichnen kann. Die USA bleiben ein starker Verbündeter im Westbalkan, der die Initiative ergreift. Etwas wie die jüngste Resolution des US-Senats zum 25. Jahrestag des Genozids von Srebrenica hat bisher kein einziges europäisches Land zustande gebracht.

Wo bleibt Europa? Europa muss sich weiter intensiver im Westbalkan einbringen, um die Entwicklung zu Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechten dort zu unterstützen. Artikel wie der von Julian Borger fallen in alte Muster zurück, die schon während der Balkankriege in die Katastrophe geführt haben. Für eine solch plumpe Neuschreibung der Geschichte sollte sich der Guardian zu schade sein.
 

Prof. Dr. Christian Schwarz-Schilling war von 1982 bis 1992 CDU-Bundesminister für Post und Telekommunikation. Er trat aus Protest gegen die Haltung der Bundesregierung im Bosnien-Krieg zurück. 2006/07 amtierte er als Hoher Repräsentant und EU-Sonderbeauftragter in Bosnien-Herzegowina.

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