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Politik

Kein Sieg der Demokratie

Kommentarbild PROVISORISCH | Rainer Hermann, FAZ & Klett-Cotta
Rainer Hermann
14. Juli 2017

Seit dem Putschversuch vor einem Jahr hat sich die Türkei dramatisch verändert. Präsident Erdogan hat diesen Wandel aber bereits viel früher eingeleitet, meint Rainer Hermann von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Unterstützer von Präsident Erdogan feierten vor einem Jahr die Niederschlagung des PutschversuchesBild: picture-alliance/dpa/S. Suna

Bereits die Art des Erinnerns zeigt, wie weit sich die Türkei von Europa entfernt hat. Denn die türkische Führung inszeniert an diesem Wochenende den ersten Jahrestag des gescheiterten Putschversuchs mit Massenaufläufen und einem Pomp, wie man es sonst nur aus Volksrepubliken kennt. Der "Sieg der Demokratie" soll gefeiert werden, und gleichzeitig verabschiedet sich die Türkei von ihr. Denn alles läuft in der Türkei auf Präsident Erdogan zu. Er lässt sich seit jener Nacht als den Helden feiern, der die Türkei mit der Niederschlagung des Putsches neu gegründet hat.

Abschied von der Republik Atatürks

Die Türken hatten zwar Erdogan und dessen AKP seit 2002 immer wieder gewählt. Sie haben aber Erdogans Projekt einer "Neuen Türkei" mit einem Präsidialsystem, das die parlamentarische Demokratie ablösen soll, immer abgelehnt. Dann löste vor einem Jahr der gescheiterte Putschversuch das Momentum aus, die Republik Atatürks durch die Republik Erdogans zu ersetzen.

Rainer Hermann ist Redakteur der Frankfurter Allgemeinen ZeitungBild: picture-alliance/dpa

Die erste Republik war eine unvollkommene Demokratie gewesen, die neue Republik aber ist nicht freiheitlich und nicht demokratisch. Sie basiert auf dem Mythos, dass sich die "Nation" um Erdogan schart. Wer Erdogan und dessen religiös-konservative Agenda kritisiert, gilt als ein Feind dieser "Nation". Der Ausnahmezustand macht es leicht, solche Kritiker und Dissidenten als "Terroristen" zu stigmatisieren und zu verfolgen. Nach dem Putschversuch haben die Entlassungen und Verhaftungen ein gewaltiges Ausmaß angenommen. Sie hatten jedoch schon 2014 als Reaktion Erdogans auf die Korruptionsermittlungen in dessen Umfeld begonnen. Seit damals wurden die Listen der Leute angelegt, die jetzt entlassen oder festgenommen werden.

Hoffnung auf eine neue Opposition

Oppositionsführer Kilicdaroglu von der "Republikanischen Volkspartei" (CHP) nannte die Ereignisse früh einen "kontrollierten Putsch". Erdogan habe Kenntnis von den Putschplänen und die Kontrolle über sie gehabt - und hat sie dennoch nicht gestoppt. Der "Gerechtigkeitsmarsch" von Kilicdaroglu, der in den vergangenen Wochen von Ankara nach Istanbul geführt hat, erschüttert zwar Erdogan nicht, er gibt aber wieder Hoffnung. Seine CHP war lange die verkrustete Staatspartei - nun erfindet sie sich als Anti-Establishment-Partei gegen die heutige, korrupte Staatspartei AKP neu. Erdogan zeigt ihr die Grenzen auf, der Stellvertreter von Kilicdaroglu wurde eben zu 25 Jahren Haft verurteilt. Um den "Sieg der Demokratie" geht es in der Türkei wahrlich nicht. Weder an diesem Wochenende, noch danach.

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