1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

"High Noon" in der Ostsee

Jörg Himmelreich Kommentarbild App PROVISORISCH
Jörg Himmelreich
12. Dezember 2019

Werden die von den US-Abgeordneten beschlossenen Sanktionen gegen die Firmen, die Nord Stream 2 bauen, tatsächlich wirksam? Das hängt neben Donald Trump nicht zuletzt auch vom Wetter ab, meint Jörg Himmelreich.

Das Verlegeschiff "Audacia" bei der Arbeit an Nord Stream 2Bild: picture alliance/dpa/B. Wüsteneck

"High Noon" - wer erinnert sich nicht der Schlüsselszene in Fred Zinnemans Westernklassiker? Gary Cooper stellt sich in der menschenleeren Hauptstraße einer US-Kleinstadt alleine dem Revolverduell mit den vier Banditen der Miller-Bande. Und erledigt sie natürlich, während sich alle Stadtbewohner aus Angst in ihren Häusern verkrochen haben.

Selten ist das politische Selbstverständnis der USA prägnanter in Szene gesetzt worden. Der gute Marshall kämpft zur Not alleine gegen die Verbrecher dieser Welt für die Gerechtigkeit. Noch zu Zeiten des Kalten Krieges sahen sich die USA als Vorkämpfer für Freiheit und Demokratie gegen das "Empire of Evil", das Reich des Bösen wie Ronald Reagan die UdSSR damals titulierte.

Trump im Kontrast zum Selbstverständnis der USA

Dieses Selbstverständnis der USA hat in der Welt und selbst auch in den USA unter Donald Trumps Präsidentschaft erheblich gelitten - tief ist der Kontrast zu der gegenwärtigen US-Innen- und Außenpolitik und dem Gebaren des Präsidenten. Dennoch ist dieses Selbstverständnis zu sehr in die politische DNA der USA eingegraben als dass sie nicht bis heute fortwirkt.

DW-Gastkommentator Jörg HimmelreichBild: privat

Nur so ist zu verstehen, dass am Mittwoch Republikaner und Demokraten, die sich in allen übrigen politischen Fragen in einen Stellungskrieg verbissen haben, jetzt in seltener Einmütigkeit im US-Kongress ein Gesetz verabschiedet haben. Es sieht Sanktionen gegen die Unternehmen vor, die betonumfasste Rohre in der Ostsee verlegen - die Gas-Pipeline Nord Stream 2. Das betrifft vor allem die Schweizer Firma Allseas, die als einzige weltweit die komplizierte Verlegetechnik dieser Röhren auf hoher See beherrschen. Ohne sie würde das russisch-deutsche Pipeline-Projekt durch die Ostsee, das wenige Wochen vor seiner Vollendung steht, auf längere Zeit hin nicht fertig gestellt werden können.

Das Projekt eines kleptokratischen Verbrecherregimes

In den Augen der überwältigenden Mehrheit beider US-Parteien ist Nord Stream 2 das Projekt eines kleptokratischen Verbrecherregimes, das verhindert werden muss - natürlich auch, um die Verkaufschancen von amerikanischem Flüssiggas in Europa zu erhöhen.

Neben diesen eher postideologischen Motiven gibt es auch handfeste sachliche Gründe, die gegen Nord Stream 2 sprechen: Nord Stream 2 wird für die Gasversorgung der Bundesrepublik Deutschland und Europas erst dann wichtig, wenn die Ukraine, wie Putin es aus politischen Gründen wünscht, als Transitland umgangen wird. Und wenn die Ende dieses Jahres endenden Verträge mit der Ukraine - wie ursprünglich von Putin geplant - nicht verlängert werden sollten. Dann wäre die Ukraine politischen Pressionen durch Russland nämlich noch mehr ausgeliefert als bisher.

Deutscher Alleingang

Außer Deutschland, Österreich und den Niederlanden ist die gesamte übrige EU - einschließlich der Kommission und des Parlaments - entschieden gegen Nord Stream 2. Deswegen wollen auch 23 EU-Mitgliedsstaaten mit der Änderung der EU-Gas-Richtlinie die Umsetzung des Projekts erschweren. 

Den von Deutschland betriebenen Alleingang tragen - mit Ausnahme der Grünen - alle im Bundestag vertretenen Parteien mit. Unisono agieren sie in naiver Russlandnostalgie und als Marionetten einer profitgierigen, deutschen Energiewirtschaft, die sich ihr Geschäft mit Putin nicht verderben lassen möchte und deswegen ebenfalls kein Interesse am Transit durch die Ukraine hat.

Die Zeit wird knapp

Das US-Sanktionsgesetz wird kommende Woche vom Senat verabschiedet und dann auch zügig von Trump unterzeichnet werden. Danach hat das State Department eine Frist von 60 Tagen, um eine Liste der Unternehmen zu erstellen, die sanktioniert werden sollen. Diese hätten dann 30 Tage Zeit, um ihre Operationen zu beenden und abzuwickeln.

Ob also die USA auch dieses Mal das Duell gewinnen, hängt davon ab, wie schnell Allseas wetterbedingt vorankommt, und davon, wie sehr sich die Beamten in Washington beeilen. Und das wiederum hängt davon ab, wie sehr der US-Präsident dieses Gesetz wirklich will. Politische Kehrtwenden und Finten stehen auf Trumps Agenda bekanntlich obenan.

So könnten die Allseas-Schiffe möglicherweise nach vollendeter Arbeit schon auf dem Weg in den Heimathafen sein, weil das Gesetz nicht rechtzeitig umgesetzt worden ist. Dann hätten die USA diesen "High Noon" verloren - wohl auch, weil der US-Marshall nicht mehr so gerecht und gut ist, wie einst im Film.

Dr. jur. Jörg Himmelreich ist Professeur Affilié an der École Supérieure de Commerce à Paris (ESCP), Campus Berlin.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen