1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Preis für Merkel - Verantwortung für die Zukunft

DW Moderator Michel Friedman (Auf ein Wort…)
Michel Friedman
28. Oktober 2019

Mit dem Theodor-Herzl-Preis ehrt der WJC Persönlichkeiten, die sich für das Ideal einer sicheren und toleranten Welt für das jüdische Volk einsetzen. Angela Merkel bekommt den Preis zu Recht, meint Michel Friedman.

Theodor Herzl (1860 - 1904)Bild: picture-alliance

Auf den ersten Blick mag es paradox erscheinen: Nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle, nach den wiederholten sowohl geistigen Brandstiftungen als auch tatsächlichen Angriffen auf jüdische Einrichtungen und Menschen erhält die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, Angela Merkel, die Auszeichnung des World Jewish Congress. Und ja: Noch nie war die Situation für jüdisches Leben nach 1945 in diesem Land so angespannt, so ernsthaft bedroht wie heute. Dieser Zustand ist gewachsen mit einer erstmaligen und einmaligen Realität in der Geschichte Nachkriegsdeutschlands: Eine Partei des Hasses ist die größte Oppositionspartei im deutschen Bundestag, gewählt von Millionen Menschen, die wussten, was sie taten, als sie die AfD nicht nur in den Bundestag, sondern auch alle Landtage der Republik entsandten.

Dass AfD-Chef Alexander Gauland im Zusammenhang mit Hitler und dem dritten Reich, also auch im Zusammenhang mit dem Holocaust, von einem "Vogelschiss" der Geschichte spricht, dass antisemitische und rassistische Bestandteile der Rhetorik dieser Partei mehr als nur geistige Brandstiftung darstellen, dass alle wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass der Judenhass in Deutschland qualitativ und in seine Gewaltbereitschaft in die Höhe geschnellt ist - all das ändert nichts an der Tatsache, dass sich immer noch die große Mehrheit in diesem Land für Demokratie, Freiheit, Menschenrechte und die Würde des Menschen, die unantastbar ist, einsetzt.

DW-Gastkommentator Michel FriedmanBild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

Während eine wachsende Minderheit der Meinung ist, dass die Würde des Menschen antastbar ist - auch und gerade die des jüdischen Menschen -, versucht die Mehrheit, andere Signale zu setzen. Dass diese so leise, so schüchtern und deshalb auch größtenteils wirkungslos bleiben, hat nicht nur damit zu tun, dass ein Teil diese Mehrheit antidemokratische Kräfte nicht wirksam bekämpft und der Frage ihrer Beziehung zur Demokratie hilflos gegenübersteht. Gleichzeitig muss man deutlich kritisieren: Ein Teil der Polizei, der Staatsanwaltschaft und der Justiz haben nicht ausreichend die rechtsextreme Gefahr für die Gesamtbevölkerung analysiert und danach gehandelt; aber auch in der Politik wurde teilweise das Problem des Rechtsextremismus, des Judenhasses und des Rechtsterrorismus seit Jahrzehnten zu oft mit dem Hinweis: "Es kann nicht sein, was nicht sein darf" verdrängt, anstatt offensiv deutlich zu machen, dass dies ein gesamtgesellschaftliches Problem ist, nicht nur eines der betroffenen Minderheit, in diesem Fall der jüdischen Bevölkerung.

Angela Merkel ist trotzdem zu Recht Preisträgerin geworden. Sie hat sowohl in ihrer Person als auch in ihrer Funktion immer deutlich, auch öffentlich, ihr Gesicht gezeigt. Aber auch sie muss sich fragen lassen, warum in einem Zeitraum von mehr als zehn Jahren, in dem sie die Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland war, nicht mehr getan wurde, die staatlichen Institutionen nicht mehr gemacht haben. Angela Merkel hat sich immer deutlich gegen Rechtsradikale auch im bürgerlichen Gewand gestellt.

Sie hat sich vorbildlich engagiert und sich gegen Judenhass offensiv positioniert. Vor allen Dingen hat sie deutlich gemacht, dass Antisemitismus unmittelbar ein Angriff auf die jüdische Gemeinschaft, aber letztendlich auf die Demokratie ist. Der Antisemitismus ist keine deutsche Erfindung. Aber Ausschwitz ist es.

Trotzdem: Dieser Preis bedeutet nicht nur Anerkennung, sondern Verantwortung für die Zukunft. Eine Zukunft in der es wieder mehr Respekt und Menschenwürde, statt Hass und Ausgrenzung gibt.