1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikEuropa

Putins Kriegsdrohungen gegen die Ukraine

Jörg Himmelreich Kommentarbild App PROVISORISCH
Jörg Himmelreich
18. Februar 2022

Die Ukraine-Krise kam keineswegs überraschend, der Konflikt zeichnet sich bereits seit Jahren ab. Putins Vorgehen erklärt sich aber nicht allein mit alten russischen Traumata, meint Jörg Himmelreich.

Immer noch offen - lässt Putin seine Truppen die Ukraine angreifen oder nicht?Bild: DW

Die diesjährige Münchner Sicherheitskonferenz steht ganz im Zeichen von Putins unausgesprochener Drohung eines militärischen Angriffs auf die Ukraine. Die ganze westliche Welt hält weiter den Atem an. Der Aufmarsch von 150.000 Soldaten an der nördlichen, westlichen und südlichen Grenze zur Ukraine sowie die aus dem östlichen Mittelmeer ins Schwarze Meer verlegten Flottenteile sprechen für sich selbst, selbst wenn Putin das alles zur rein technischen Operation erklärt. Alle russische Nachrichten über angebliche Truppenabzüge sind bisher nicht verifiziert. Sie sollten daher nicht zu der in Deutschland gerne gepflegten Entspannungseuphorie gegenüber Putin verleiten. Putin kann jederzeit einmarschieren.

Dass Putin diese Eskalation überhaupt auf diese Spitze treibt, ist auch eine Folge einer von naiven Fehleinschätzungen geprägten deutschen Russland-Politik nach dem Ende des Kalten Krieges. Schon am 5. Februar 1997 hatte George F. Kennan, der Nestor der US-Russlandpolitik, anlässlich des beschlossenen NATO-Beitritts von Polen, Tschechien und Ungarn davor gewarnt, dass diese erste Osterweiterung des Bündnisses die nationalistischen, anti-westlichen, anti-demokratischen und militaristischen Tendenzen der russischen Politik nur beflügeln würde.

Völlige Verkennung russischer Bedürfnisse

Natürlich war es richtig, dem Wunsch der überwältigenden Mehrheit dieser Völker im östlichen Mitteleuropa nach Schutz durch die NATO nach jahrzehntelanger sowjetischer Unterdrückung nachzukommen. Ihr Recht auf Souveränität und auf freie Bündniswahl, wie sie die sowohl von der UdSSR als auch Russland unterzeichnete Helsinki-Akte der KSZE von 1975 und der Charta von Paris garantieren, können nicht auf dem Altar des Weltschmerzes einer untergegangenen Supermacht geopfert werden. Aber das tiefe russische Bedürfnis nach Aufweichung dieser NATO-Erweiterung wurde seitdem nicht zuletzt in Deutschland völlig verkannt.

DW-Gastkommentator Jörg HimmelreichBild: privat

Dies auch, obwohl Putin auf der Münchener Sicherheitskonferenz fast genau vor 15 Jahren einer überraschten westlichen Öffentlichkeit unmissverständlich vortrug, dass die NATO-Osterweiterungen Russland dazu zwängen sein Raketenarsenal mit Waffen aufzurüsten, "die das amerikanische System durchbrechen".

Anlässlich der russischen Invasion in Georgien im August 2008 war deutsche Russland-Politik im Schatten des damaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy erleichtert, dass Putin nicht gleich Tiflis besetzte. Zumal im Auswärtigen Amt unter dem damaligen Außenminister und heutigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier durchaus auch die Auffassung bestand, dass der damalige georgische Präsident Micheil Saakaschwili diese russische Invasion selbstverschuldet provoziert hätte. Dagegen träumte Steinmeier zu dieser Zeit noch von einer "Modernisierungspartnerschaft" mit Russland.

Fehleinschätzung der Person Putin

Genauso überraschte die Russland-verklärende deutsche Politik die Krim-Annexion 2014. Das Debakel einer alleine auf Verständnis für russische Eigentümlichkeiten (und seien sie noch so rechtswidrig) setzenden Politik, beruht auf einer fatalen Fehleinschätzung Putins und seinem Hang, seine Ziele mit aller Gewalt durchzusetzen. Er ist mit allen - auch militärischen - Mitteln bereit, die europäische Friedensordnung nach dem Ende des Kalten Kriegs und unter blanker Verachtung der sie garantierenden gesamten völkerrechtlichen Vertragsarchitektur wieder der ehemaligen, sowjetischen territorialen Einflusssphäre zu unterwerfen.

Zu diesen Machtmitteln gehört übrigens auch eine aggressive Energiesicherheitspolitik, die die Abhängigkeiten vom russischen Gasexport politisch instrumentalisiert. Auch das haben deutsche Bundesregierungen bewusst ignoriert, indem sie alle Lieferverträge mit der staatlichen Gazprom als nur "privates Geschäft" abtaten.

Die ukrainische Demokratie als Gefahr

Im Hinblick auf die gegenwärtige militärische Aggression Putins gegenüber der Ukraine geht es am Ende nicht nur um eine eingebildete militärische Bedrohung und nicht alleine um die Befriedigung posthegemonialer russischer Großmachtträume. Es geht Putin - und zwar vor allem ihm persönlich und weniger der russischen Bevölkerung - darum, dass das demokratisches Regierungsmodell der Ukraine scheitert, so unvollkommen es auch noch sein mag. Eine funktionierende stabile Demokratie in der historisch und kulturell eng verwandten Ukraine droht den Rückhalt für Putins kleptokratische Diktatur zu zerstören. Das kann er nicht hinnehmen.

In der Ukraine hat sich längst eine pro-europäische, stabile Zivilgesellschaft herausgebildetBild: Efrem Lukatsky/AP Photo/picture alliance

Die geradezu lächerlichen Bedrohungsszenarien durch die Ukraine oder die NATO entspringen alten russischen Umzingelungsphobien, sich stets einer unmittelbaren militärischen Bedrohung von Mächten im Westen ausgesetzt zu sehen. Nur sie rechtfertigen ein autokratisches Regierungssystem, das zum Schutz vor dieser Bedrohung eine starke Führung benötigt, die jede Opposition ausschaltet.

Militärische Abwehr und wirtschaftliche Sanktionen

Wladimir Putin kann formal bis 2036 im Amt bleiben. Solange wird seine aggressive Politik des militärischen Drucks nicht nachlassen. Dem kann von westlicher, vor allem von deutscher Seite, nur mit einer unmissverständlichen militärischen Abwehr und mit wirtschaftlichen Sanktionen begegnet werden. Hier hat die Lernkurve deutscher Politik noch ein großes Potenzial nach oben. Diplomatische Zugeständnisse in Kernbereichen westlicher Grundwerte, wie die Idee einer "Finnlandisierung" der Ukraine gehen völlig fehl.

Eine wertegeleitete Außenpolitik kann eine Aufhebung des Selbstbestimmungsrechts der Ukraine nicht zulassen, zumal solch ein Zugeständnis für Putin nur eine Zwischenstation bis zur vollständigen politischen Vereinnahmung des Landes wäre. Deswegen sollte von der Bundesregierung auch unmissverständlich erklärt werden, dass die Ukraine grundsätzlich das Recht auf eine NATO-Mitgliedschaft hat, selbst wenn es derzeit nicht zur Debatte steht.

Natürlich müssen alle Kanäle diplomatischer Entspannung bemüht und genutzt werden. Der ganze Bereich der vertraglichen Rüstungskontrolle (keiner der zentralen Verträge ist noch in Kraft, alle müssen neu verhandelt werden) bietet sich an, im gegenseitigen Interesse zu vertrauensbildenden Maßnahmen und zum Abbau von Bedrohungen zu gelangen. So könnten Putins Bedrohungsphobien vertraglich gemindert werden. Und er kann zeigen, wie ernst es ihm tatsächlich um europäische und russische Sicherheit ist.

 

Dr. jur. Jörg Himmelreich ist Professeur Affilié an der École Supérieure de Commerce à Paris (ESCP), Campus Berlin. Bereits 2007 warnte er in der Zeitschrift "Internationale Politik" der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik erstmals vor dem Vorgehen Wladimir Putins.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen

Mehr zum Thema

Weitere Beiträge anzeigen