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Politik

Türkische Kandidatensuche

Kommentarbild PROVISORISCH | Rainer Hermann, FAZ & Klett-Cotta
Rainer Hermann
5. Mai 2018

Wer kann den amtierenden Präsidenten Erdogan schlagen? Allein darum ging es bei der Auswahl der Spitzenkandidaten der Oppositionsparteien in der Türkei, meint Rainer Hermann von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Bild: Reuters/M. Cetinmuhurdar

Die Wahlen hätten erst Ende 2019 stattfinden sollen. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat aber die Präsidenten- und Parlamentswahl kurzentschlossen auf den 24. Juni vorverlegt. Jetzt geht es ganz schnell, und die Parteien geben im Tagesrhythmus ihre Kandidaten für die Wahl des Staatspräsidenten bekannt. Kein Zweifel besteht, dass Erdogan in der ersten Runde mit großem Vorsprung vorne liegen wird.

Das gemeinsame Ziel: Erdogan verhindern

Daher suchen die Oppositionsparteien Kandidaten, die in einer Stichwahl, die für den 8. Juli angesetzt ist, Erdogan schlagen könnten. Sie gehen zudem Wahlbündnisse ein, die verhindern sollen, dass eine Partei an der Zehn-Prozent-Hürde scheitert und damit die Chancen der AKP auf eine absolute Mehrheit im Parlament vergrößert. Die Oppositionsparteien eint das Ziel, eine Wiederwahl Erdogans, der dann mit großen Vollmachten regieren könnte, ebenso zu verhindern wie eine absolute Parlamentsmehrheit der AKP.

Rainer Hermann ist Redakteur der Frankfurter Allgemeinen ZeitungBild: picture-alliance/dpa

Zeichen, dass die AKP und Erdogan nervös geworden sind, gibt es hinreichend. Eines ist das Vorziehen der Wahlen um lange 18 Monate, ein anderes der Druck, den die Staatsspitze auf den früheren Staatspräsidenten Abdullah Gül ausgeübt hat, um nicht gegen Erdogan anzutreten. Denn auf Gül, einen Kritiker Erdogans in der AKP, hätten sich die Oppositionsparteien einigen können und auch wollen.

Nicht gefallen wird Erdogan ebenso, dass die prokurdische und linke HDP ihren früheren, charismatischen Vorsitzenden Selahattin Demirtas ins Rennen schickt. Er ist zwar seit November 2016 inhaftiert, aber nicht verurteilt und kann daher kandidieren. Kurden, die sonst nicht zur Wahl gegangen wären, werden nun ihre Stimme abgeben. In das konservative AKP-Reservoir dringt die frühere Innenministerin Meral Aksener, die gerade die Iyi-Partei gegründet hat, als türkische Nationalistin ein. Die gemäßigt linke CHP hat ihren Kandidaten Muharrem Ince danach ausgesucht, dass er in einer Stichwahl sowohl kurdische Stimmen wie auch Wähler von Aksener vereinen könnte.

Erdogan muss es im ersten Wahlgang schaffen

Für Erdogan wird es also darauf ankommen, gleich in der erste Runde die absolute Mehrheit zu erhalten. Damit es dabei nicht zu Unregelmäßigkeiten kommt, fordern die Oppositionsparteien Wahlbeobachter.

Mit dem Vorziehen der Wahlen wollte die AKP unter anderem verhindern, dass die erst im Oktober 2017 gegründete Iyi-Partei überhaupt teilnehmen kann. Dem hat die CHP einen Strich durch die Rechnung gemacht, indem sie der neuen Partei 15 Abgeordnete "ausgeliehen" hat, so dass sie im Parlament eine Fraktion bilden konnte und damit das Recht hat, an der Wahl teilzunehmen.

Ein Kalkül Erdogans und seiner AKP geht jedoch auf: Die Oppositionsparteien CHP, HDP und Iyi sind sich ideologisch so fremd, dass sie nicht entschlossen an einem Strick ziehen. Und eine frühere Oppositionspartei, die nationalistische MHP, hat Erdogan ohnehin auf seiner Seite. Mit ihrer Unterstützung will Erdogan bereits in der ersten Runde gewinnen. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht - aber sind längst nicht mehr so hoch wie unmittelbar nach dem gescheiterten Putschversuch vom Juli 2016.

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