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Gesellschaft

Welcher Islam gehört zu Deutschland?

Susanne Schröter23. Mai 2016

Der Islam hat viele Gesichter: aufgeklärte und totalitäre. In Deutschland hat aber nur ein liberaler und humanistischer Islam Platz, nur kritischer und reflektierter Glaube, meint Susanne Schröter.

Muslima mit Kopftuch vor Modegeschäft (Foto: picture-alliance/R. Hackenberg)
Bild: picture-alliance/dpa/R. Hackenberg

Als der an der Universität Münster lehrende Theologe Mouhanad Khorchide im Jahr 2012 ein Buch mit dem Titel "Islam ist Barmherzigkeit“ veröffentlichte, löste er höchst unterschiedliche Reaktionen aus. Viele Nichtmuslime feierten das Werk als Offenbarung eines humanistischen Islam, eines Islam, vor dem sich niemand zu fürchten braucht - nicht zuletzt, weil sein Autor das Bild eines Gottes zeichnete, der sich nicht für "Überschriften wie Muslim, Christ, Jude, gläubig oder ungläubig interessiert“. Khorchide verwarf die Idee einer ewigen Gültigkeit von Versen und Sprüchen, in denen Hass auf Nichtmuslime, Frauenfeindlichkeit und Rechtfertigungen von Gewalt zu finden sind und wollte sie lediglich als Dokumente der Vergangenheit verstanden wissen.

Susanne Schröter forscht in Frankfurt zum IslamBild: picture-alliance/dpa/FFGI/Privat/Schröter

Es schien, als ob es dem Professor mit einem Federstrich gelungen war, die Bedenken all derjenigen zu zerstreuen, die sich nicht sicher waren, ob der Islam wirklich zu Deutschland passe, wie dies Bundespräsident Wulff in seiner legendären Rede vom Oktober 2010 erklärt hatte. Ein guter Grund, auch für Muslime, so sollte man meinen, Khorchide anerkennend auf die Schulter zu klopfen. Doch dies geschah nicht. Im Gegenteil. Auf der Homepage von DITIB, dem größten muslimischen Verband, konnte man lesen, Khorchides Äußerungen seien eine "Absage der klassisch-islamischen Lehre" und eine "Beleidigung der muslimischen Identität“. Aus diesem Grund sei der Gelehrte als Hochschullehrer nicht tragbar und solle aus seinem Amt entfernt werden. Damit nicht genug: Der Koordinierungsrat der Muslime, ein Zusammenschluss mehrerer großer Verbände, verfasste ein fast hundert Seiten starkes "Gutachten“, um dieser Forderung weiteren Nachdruck zu verleihen, konnte sich jedoch glücklicherweise nicht durchsetzen.

Forderung nach islamischer Aufklärung

Khorchide und DITIB sind Vertreter zweier gegensätzlicher Pole, die die Debatte innerhalb des gegenwärtigen Islam in Deutschland prägen. Auf der einen Seite steht die Gruppe derjenigen, die islamische Theologie als moderne Wissenschaft konzeptualisiert und kritische Aspekte der religiösen Quellen nicht verschweigt, sondern diese vielmehr als zeitgebunden und daher auch als veränderbar versteht. Dazu gehören Intellektuelle, die sich im Muslimischen Forum Deutschland oder dem Liberal-Islamischen Bund zusammengeschlossen haben, aber auch Wissenschaftler wie Abdel-Hakim Ourghi oder Autoren wie Hamed Abdel-Samad und Seyran Ates, die sehr viel weiter gehen als Khorchide und eine islamische Aufklärung fordern. Auf der anderen Seite befinden sich Muslime, die jegliche Auseinandersetzung über den Islam zu vermeiden und Veränderungen oder neue Interpretationen religiöser Texte zu verhindern suchen. Sie sind vornehmlich in Verbänden organisiert und fallen nach islamistischen Anschlägen gewöhnlich durch die stereotype Bekundung auf, dass Dschihadismus nichts mit dem Islam zu tun habe. Der Umstand, dass es seit Beginn des Jahrtausends weltweit zu einer immensen Zunahme von Anschlägen im Namen des Islam kam, ficht diese Verbandsvertreter nicht an. Statt sich mit den theologischen Begründungen islamistischer Gewalt zu befassen, beschuldigen sie lieber die Mehrheitsgesellschaft der Islamfeindlichkeit, wenn diese nicht von der verbalen Exkommunikation der Attentäter überzeugt ist. Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime wollte jüngst gar den Begriff des Islamismus abschaffen, als ob dadurch das Phänomen verschwände.

Angefeindet: Reformtheologe Khorchide aus MünsterBild: picture-alliance/dpa/C. Seidel

"Generation Allah"

Die rhetorischen Spitzfindigkeiten lassen den Eindruck entstehen, dass man aus gutem Grund nicht an das Thema rühren möchte. Dazu passt auch, dass man presseöffentlich gewordene Fälle von Extremismus in einzelnen Gemeinden wie in den DITIB-Ortsgruppen von Melsungen, Dinslaken und Wolfsburg als Ausrutscher herunterspielt. Jeder, der diese Spielchen mit ansieht, muss sich die Frage stellen, ob der Grund für die merkwürdige Indifferenz womöglich daran liegt, dass man selbst eine eher ambivalente Haltung zu religiös begründeter Gewalt einnimmt. Denn immerhin ist Jihad im Sinne eines tatsächlichen Krieges durchaus ein Begriff, der im Koran und in den islamischen Überlieferungen relevant ist. Genau darauf berufen sich jihadistische Prediger, die ihn auch heute noch für ein adäquates Instrument halten, um Beleidigungen des Propheten Mohammed zu ahnden, Rache für westliche Außenpolitik zu üben oder gegen die verhassten Juden vorzugehen. In vielen Moscheegemeinschaften lädt man solche Prediger turnusmäßig ein. Die Jugend verlange nach den Salafisten, entschuldigen sich Moscheevorstände häufig, wenn sie von entsetzten Vertretern der Kommunen zu einer Erklärung genötigt werden. Das entspricht leider oft genug der Wahrheit. Salafismus ist eine Jugendbewegung und zieht so viele Teenager und junge Erwachsene an, dass der Psychologe Ahmad Mansour von einer "Generation Allah“ spricht. Damit meint er jedoch nicht nur diejenigen, die sich tatsächlich einer radikalen Gruppe anschließen und im schlimmsten Fall sogar nach Syrien in den Krieg ziehen, sondern auch diejenigen, deren Glaubensüberzeugung eine fließende Grenze zwischen Extremismus und Orthodoxie aufweist. Es ist eine Jugend, die den Sinn ihres Lebens darin findet, sich Gott und seinen Gesetzen bedingungslos zu unterwerfen, die bei jeder nur erdenklichen Handlung danach fragt, ob sie erlaubt (halal) oder verboten (haram) ist, weil sie der Ansicht ist, nur so im Paradies "die Gewinner zu sein", wie mir junge Männer bei einem Gespräch mitteilten. Das Leben in unserer Gesellschaft erscheint für diese jungen Leute sündhaft und gefährlich, und deshalb meiden sie Beziehungen zu so genannten Ungläubigen, die über das Notwendige hinausgehen.

Parallelstrukturen von der Wiege bis zur Bahre? Freitagsgebet in BerlinBild: Getty Images/AFP/T. Schwarz

Lückenlose Parallelstrukturen

Muslimische Verbände fördern die Segregation, weil sie dadurch Mitglieder binden und an Bedeutung gewinnen. In fast jeder Moschee existieren eigene Fußballgruppen, die gegen andere Moscheegruppen spielen, islamische Kindergärten und Kulturzentren werden gegründet, islamische Sozialarbeit und islamische Jugendarbeit ins Leben gerufen und ein großer islamischer Wohlfahrtsverband anvisiert. Lückenlose Parallelstrukturen von der Wiege bis zur Bahre verhindern allerdings Kontakte zu Nichtmuslimen. Und sie bergen die Gefahr, dass sich orthodoxe Vorstellungen verfestigen, die im Gegensatz zu den Werten und den kulturellen Gepflogenheiten in Deutschland stehen. Wer glaubt, dass die Gleichberechtigung der Geschlechter unislamisch ist, dass Nichtmuslime in der Hölle landen oder dass Apostaten den Tod verdienen, befindet sich nur physisch, nicht aber mental in Deutschland. Das gilt auch für diejenigen, die göttliche Befehle unhinterfragt ausführen möchten und Nachdenken als Häresie ablehnen.

Es wäre zu hoffen, dass ihnen der Zugang zu dem Wissen ermöglicht wird, dass zurzeit von liberalen, aufgeklärten und humanistischen Muslimen entwickelt wird. Ein Islam, der wahrhaftig zu Deutschland gehört, kann nur ein kritischer und reflektierter Glaube sein und keiner, der totalitäres Gedankengut im religiösen Gewand vertritt.

Susanne Schröter leitet das Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam (FFGI) an der Universität Frankfurt am Main.

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