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Politik

Zeit, Afrikas Bürgermeistern zuzuhören

Yvonne Aki-Sawyerr
7. Dezember 2018

Afrikas Städte leiden besonders unter der Migration nach Europa. Wie kann der UN-Migrationspakt helfen, diese Probleme in den Griff zu bekommen? Ein Gastbeitrag von Yvonne Aki-Sawyerr, der Bürgermeisterin von Freetown.

Zitattafel Yvonne Aki-Sawyerr Bürgermeisterin von Freetown

Ich wurde in Freetown geboren, der Hauptstadt Sierra Leones. Die meiste Zeit meines Lebens habe ich aber fern meiner Heimatstadt verbracht. Als Kind lebte ich in Ghana, später in Kanada. Nach meinem Studium an der London School of Economics arbeitete ich 26 Jahre lang in Großbritannien.

In meinem ersten Job bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Arthur Andersen LLP hatte ich mehrere Kollegen, die ebenfalls Migranten waren. Wie die meisten von ihnen sah auch ich mich damals nicht als Migrantin.

Vielleicht nahmen mich andere schon als Fremde wahr. Dennoch: Während meiner Zeit in der Weltstadt London fühlte ich mich seltsamerweise zu keinem Moment als Ausländerin. Ich bin mir natürlich bewusst, dass viele Migranten schon damals ganz andere Erfahrungen machten und sich ausgegrenzt fühlten.

Die Selbstwahrnehmung von Migranten als Außenseiter ist in den letzten Jahren sicher in vielen Ländern gewachsen, und sie wird heute viel deutlicher artikuliert. Der Zustrom von Flüchtlingen und Migranten ist zu einem heiß diskutierten politischen Thema geworden. In Europa und Amerika werden gerade große Anstrengungen werden unternommen, um Mauern zu bauen und Grenzen zu sichern.

Ich finde, dieses Geld könnte man besser in die Menschen investieren.

Aus dem Blickwinkel meiner Heimatstadt Freetown möchte ich eine afrikanische Sicht auf die Migrationsdebatte einbringen, auch im Hinblick auf die zunehmend schärfer werdende Diskussion um den UN-Migrationspakt.

Europa investiert viel Geld, um sich abzuschotten: Grenzzaun in der spansichen Exklave CeutaBild: Reuters/Reuters TV

Dramatischer Brain Drain

Wenn man auf Human-Development-Indizes schaut, sieht man schnell, dass die Lage in Sierra Leone dramatisch ist. Bereits im Jahr 2000 wanderte laut einer Studie die Hälfte aller Einwohner Sierra Leones mit Universitätsabschluss in entwickeltere Länder aus.

Eine Untersuchung jüngeren Datums zeigte, dass in Sierra Leone auf 100,000 Einwohner durchschnittlich nur zwei Ärzte und 17 Krankenschwestern kommen.

Ich kann diese Abwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte auch aus eigener Erfahrung veranschaulichen. Nur sieben meiner 28 Klassenkameraden, die 1984 mit mir zusammen in Freetown den Schulabschluss machten, leben heute noch in der Stadt.

Das ist ein uraltes Phänomen, nicht nur in Sierra Leone, sondern in ganz Afrika: Qualifizierte Menschen kehren ihren Heimatstädten den Rücken zu, und sie kehren nur selten zurück. In den letzten Jahren hat sich die Lage noch verschärft. Jetzt machen sich auch ärmere Bewohner auf die schwierige und gefährliche Route und verlassen Afrika. Unterwegs lauern große Gefahren auf sie, oft sogar der Tod.

Diejenigen, die diese beschwerliche Reise nicht überleben, lassen trauernde Familien zurück. Jene, die irgendwann zurückkehren, sind oft traumatisiert und tun sich schwer mit ihrer Wiedereingliederung in die Gesellschaft. All das führt zu weiteren sozialen und wirtschaftlichen Belastungen für unsere Städte.

Mehr noch, trotz der Auswanderung vieler Menschen wachsen Städte wie Freetown und andere in Afrika weiter an, denn es kommen viele neue, meist geringqualifizierte Arbeiter aus ländlichen Gebieten zu uns. Während wir auf der einen Seite unsere professionellen Möglichkeiten zur Versorgung von Menschen in Not verlieren, müssen wir auf der anderen Seite neue Menschen in unseren Städten integrieren.

Afrika braucht mehr produktive Jobs

Als neue Bürgermeisterin von Freetown ist für mich daher die Förderung der menschlichen Entwicklung eine der obersten Prioritäten. Wir müssen gerade jungen Menschen Zugang geben zu Qualifizierung und Jobs, wenn wir die Migration in den Griff bekommen wollen. Ein besonderes Augenmerk liegt hier auf der Schaffung von produktiven Jobs, also von Beschäftigungsverhältnissen, die die Wirtschaftskraft stärken.

Bislang hat die Mehrheit unserer jungen Leute nur Jobs, die wenig bis nichts zur Wertschöpfung beitragen, zum Beispiel im Kleinverkauf. In Freetown ist nur einer von 50 Jobs produktiv, der Durchschnitt in der Region liegt bei einem von zwölf.

Was ist meine Herangehensweise? Ich versuche unter anderem, die Expertise und die Beziehungen zu der wachsenden Zahl von Menschen zu suchen, die transnationale Identitäten haben, also jene, die emigriert sind, aber weiterhin etwas Positives beisteuern möchten zur ihrer Heimatstadt. Dank neuer Technologien ist es auch gar nicht mehr so wichtig, selbst vor Ort zu sein, um Wissen zu vermitteln.

Afrikanische Städte müssen meiner Ansicht nach dafür sorgen, dass die physische Abwanderung qualifizierter Menschen (Body Drain) nicht automatisch auch eine Abwanderung von Wissen und Qualifikationen (Brain Drain) bedeutet.

So habe ich eine Plattform ins Leben gerufen, die im Ausland lebende Sierra Leoner ermuntern soll, unsere Experten vor Ort in Fragen von Städteplanung und besserer Bildung zu unterstützen. Viele von ihnen machen das gerne, denn es ermöglicht ihnen, ihrer alten Heimat etwas zurückzugeben.

Afrikas Städte haben mit massenhafter Abwanderung nach Europa genauso zu kämpfen wie mit dem massenhaften Zustrom von Menschen aus ländlichen GebietenBild: AP

Zusammenarbeit auf allen Ebenen

Die Städte Afrikas müssen Antworten geben auf die Herausforderungen der Migration. Nur so können wir die Probleme beheben. Die größte Herausforderung momentan ist, dass zu wenig getan wird für nachhaltiges Wirtschaftswachstum, für mehr Investitionen, für Alphabetisierungsmaßnahmen für die erwachsene Bevölkerung und für die berufliche Qualifizierung von Menschen.

Partnerschaften zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor sind ein guter Ansatzpunkt, um daran etwas zu ändern. In den ersten sechs Monaten meiner Amtszeit als Bürgermeisterin Freetowns habe ich Pläne entwickelt, um die Schaffung von Arbeitsplätzen in der Green Economy und im Tourismus anzukurbeln. Außerdem versuche ich Investitionsmöglichkeiten zu schaffen in den Bereichen Abfallwirtschaft und Infrastrukturausbau. Alle Beteiligten sind daran interessiert, solche Vorhaben erfolgreich zu bewältigen.

Wenn wir die Probleme, die durch Migration entstehen, wirklich lösen wollen, dann geht das nicht ohne Zusammenarbeit. Wir brauchen diese auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene, wir brauchen sie aber auch im internationalen Rahmen.

Als Bürgermeister großer Städte liegt es in unserem ureigenen Interesse, mit Amtskollegen in den hochindustrialisierten Ländern zusammenzuarbeiten - zum Beispiel, um jene Schleuser zu bekämpfen, die unsere jungen Menschen mit falschen Versprechen nach besserer Arbeits- und Bildungschancen von hier weg locken.

Gleichzeitig müssen wir sicherstellen, dass Migranten und Flüchtlinge überall menschenwürdig behandelt werden.

Ein Ohr für die Sorgen der Kommunen

Dieses Wochenende werde ich im Vorfeld der UN-Konferenz zum Migrationspakt nach Marrakesch fliegen, um mich mit anderen Bürgermeistern aus der ganzen Welt auszutauschen. Wir werden dort den Mayors Migration Council gründen, um unsere Arbeit besser zu koordinieren.

Leider hat sich die Debatte um Flucht und Migration bei den Vereinten Nationen bislang zu sehr auf der Ebene der nationalen Regierungen abgespielt. Die Stimme von Bürgermeistern und Kommunen ist noch viel zu selten zu hören.

Wenn wir aber zu guten Lösungen in Migrationsfragen kommen wollen, müssen sich die Städte auch auf internationaler Ebene einbringen können. Heute lebt bereits mehr als die Hälfte der Menschheit (55%) in großen Ballungszentren.

Regierungen und internationale Organisationen können es sich daher schlicht nicht mehr erlauben, uns nicht zu konsultieren.

Yvonne Aki-Sawyerr OBE ist seit Mai 2018 die gewählte Bürgermeisterin von Freetown, der Hauptstadt Sierra Leones. Die Finanzexpertin hat in der Vergangenheit gegen den Handel mit Blutdiamanten in Sierra Leone gekämpft und eine Hilfsorganisation für benachteiligte Kinder mitgegründet. Aki-Sawyerr wurde für ihre Arbeit zur Bewältigung der Ebola-Krise in Sierra Leone ausgezeichnet und im Januar 2016 von Königin Elizabeth II. als Officer of the Most Excellent Order of the British Empire (OBE) geehrt.

Übersetzung: Michael Thaidigsmann

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