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Zeit zum Nachdenken

Sturm Peter Kommentarbild App PROVISORISCH
Peter Sturm
1. Juli 2016

Viele sehen nach dem Brexit-Referendum in Großbritannien Europa unter einer Welle des Populismus verschwinden. Aber die Vernunft hat noch nicht völlig abgedankt, meint Peter Sturm von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Bild: Getty Images/AFP/B. Stansall

Nach der Volksabstimmung in Großbritannien schlage die große Stunde der Populisten in Europa. Das sagen jetzt viele. Und in der Tat: Man stelle sich Europa und die Welt vor, wenn Frankreich von einer Präsidentin Le Pen geführt würde, wenn in Österreich die "Freiheitlichen" den Bundeskanzler stellten, wenn in den Niederlanden die "Freiheitspartei" von Geert Wilders regierte. Und wenn das alles noch gekrönt würde von einem Präsidenten Donald Trump in Washington. Niemand kann und darf ausschließen, dass zumindest Teile dieses Horrorszenarios Wirklichkeit werden.

Aber es muss andererseits auch niemand in Panik verfallen. Die Neuwahl in Spanien hat zwar nicht viel mehr Klarheit geschaffen als die vor sechs Monaten. Aber die Linkspopulisten sind geschwächt aus ihr hervorgegangen. Es sieht also so aus, als habe die Vernunft noch nicht komplett abgedankt, auch nicht bei den Wählern. Diesem beruhigenden Befund steht freilich ein harter und möglicherweise wachsender Kern von Menschen gegenüber, die auch dem größten Unsinn Glauben schenken, wenn er sich nur gegen das "Establishment", die "Eliten", oder eben "Europa" richtet. Warum? Viele Menschen fühlen sich von der globalisierten Welt(wirtschaft) abgehängt. Sie haben das Gefühl, immer und überall seien andere wichtiger als sie und ihre Probleme. Und wenn diese Gefühle (das Internet macht es möglich) nur laut und ausdauernd genug artikuliert werden, werden diffuse Gefühle politisch relevant. Der politische Populismus reagiert da ganz "marktkonform": Er befriedigt eine offensichtlich vorhandene Nachfrage nach Antworten, möglichst einfachen Antworten.

Peter Sturm ist Redakteur der Frankfurter Allgemeinen ZeitungBild: Frankfurter Allgemeine Zeitung

Der erwähnte harte Kern der Frustrierten darf nicht zur Mehrheit werden. Diese Forderung ist leicht aufzustellen. Aber was folgt daraus? Von Politikern wird verlangt, dass sie in jeder Situation eine für die Mehrheit gute Lösung haben - möglichst sofort. Da das aber nur selten möglich ist, weil die Welt kompliziert ist, sind sehr schnell sehr viele sehr enttäuscht. Es hilft alles nichts: Öffentlichkeit und Wähler müssen der Politik auch einmal Zeit und Gelegenheit geben, gründlich über Dinge nachzudenken. Das hört sich erst einmal reichlich naiv an in einer Zeit, da alles "in Echtzeit" kommuniziert wird. Aber wie sonst soll irgendetwas auf der Welt funktionieren?

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