Gastland Philippinen auf der Frankfurter Buchmesse 2025
14. Oktober 2025
Die Frankfurter Buchmesse gilt als die weltweit größte Messe für Bücher und Medien. Sie bringt jährlich Fachleute und Publikum aus der ganzen Welt zusammen und gilt als zentraler Treffpunkt für Verlage, Autorinnen und Autoren, Agenturen und Medien. Zudem fördert die Buchmesse den internationalen kulturellen Austausch und die Sichtbarkeit literarischer Vielfalt. In diesem Jahr stehen die Philippinen als Gastland im Fokus.
Und da ist tatsächlich etwas zu entdecken: 40 neue Übersetzungen philippinischer Autoren, die Lust machen, das Land und seine Literatur besser kennenzulernen. Wir präsentieren eine Auswahl. Es ist eine Reise durch die Geschichte, die mit einer echten Reise der DW nach Südostasien beginnt.
Auf dem Campus der University of the Philippines, im Großraum Manila, treffen wir den derzeit vielleicht wichtigsten Schriftsteller des Landes: José Dalisay. Sein Debütroman ist erst jüngst auf Deutsch erschienen: "Killing Time in a Warm Place". Es ist die Geschichte einer Gruppe junger Leute, die in den frühen 1970er-Jahren gegen das Regime von Ferdinand Marcos aufbegehren. Der verhängt daraufhin das Kriegsrecht und lässt die Anführer verfolgen. Aber viele werden auch gebrochen, arrangieren sich mit dem System. José Dalisay ist einer von ihnen. Sein Roman beschreibt eine Gesellschaft, die sich auch nach dem Ende von Marcos' Herrschaft 1986 nicht von ihren Wunden erholt hat. Bis heute wird das Land von Familienclans beherrscht. "Wir waren alle euphorisch", sagt Dalisay, "was für eine Ironie, dass wir auf die Straße gegangen sind, um den Diktator Marcos aus dem Amt zu entfernen, und nun unter der Herrschaft seines Sohnes stehen."
Seinen Einfluss als Schriftsteller hält Dalisay für gering. Die Regierung sei "ungebildet und immun gegen Metaphern. Wenn Sie jedoch Journalist sind, dann könnten Sie in Schwierigkeiten geraten. Wir Romanautoren haben das Privileg, davon verschont zu bleiben, zumindest vorerst."
Tod und Zerstörung durch Naturkatastrophen
Dass Sprache Leben retten oder auch zerstören kann, beschreibt Daryll Delgado in ihrem Roman "Überreste", der von einer Naturkatastrophe biblischen Ausmaßes erzählt. Im November 2013 traf der Taifun Haiyan auf die Philippinen, tötete tausende Menschen und verursachte milliardenteure Schäden. Leider fast schon Normalität im südostasiatischen Inselstaat: Der Weltrisikoindex 2025 nennt die Philippinen als das Land, das weltweit am häufigsten von Naturkatastrophen bedroht ist. Daryll Delgado war 2013 als Mitarbeiterin einer NGO vor Ort. Ihre Erfahrungen damals waren die Grundlage für diesen eindrucksvollen Roman. Dessen Hauptfigur Ann - das Alter Ego von Daryll Delgado - wird inmitten von Tod und Zerstörung mit ihrer eigenen Familiengeschichte konfrontiert, die in Verbrechen des Marcos-Regimes involviert war.
"Überreste" ist nicht nur eine Auseinandersetzung mit der jüngeren Geschichte der Philippinen und auch nicht einfach ein weiterer Climate-Fiction-Roman. Daryll Delgado reflektiert auch die Folgen des spanischen und amerikanischen Kolonialismus und dessen Auswirkungen auf Identität und Sprache. Auf den Philippinen gibt es rund 170 Sprachen; im Katastrophengebiet waren alle Warnungen und später alle Informationen für die Bevölkerung auf den Amtssprachen Englisch oder Filipino - Sprachen, die dort nur wenige Menschen verstehen. Daryll Delgado: "Wenn wir sagen, dass die Geschichten der Menschen vor Ort wichtig sind, in welcher Sprache sollten sie dann erzählt werden? Sie müssen in der Sprache erzählt werden, die die Menschen verstehen."
Ein Schriftsteller als Nationalheld der Philippinen
Ende des 19. Jahrhunderts war die Sprache, die auf den Philippinen zumindest von den gesellschaftlichen Eliten verstanden wurde, das Spanische. Über 300 Jahre währte da schon die spanische Kolonialherrschaft über das Land. 1887 erschien - auf Spanisch - der Roman "Noli me tangere", dessen Autor heute als Nationalheld gefeiert wird. Denn José Rizal, Augenarzt, Schriftsteller, Kosmopolit, wagte das Unmögliche: Er kritisierte die Macht der katholischen Kirche, die Ungleichheit, die Korruption der spanischen Kolonialherren. Das Buch wurde auf Druck der Kirchen und der Machthaber schnell verboten. Die Wiederveröffentlichung der deutschen Übersetzung von 1987 ist eines der Highlights des philippinischen Gastlandauftritts.
Es war aber nicht dieser Roman, der Rizal schließlich das Leben kostete, sondern seine kolonialkritischen Schriften und seine Kontakte zu aufständischen Rebellen. 1896 wurde José Rizal im Alter von 35 Jahren hingerichtet. Zwei Jahre später wurden die Spanier mit Hilfe der Amerikaner von den Philippinen vertrieben. Heute wird Rizal als Nationalheld gefeiert, sein Todestag, der 30. Dezember, ist Feiertag, "Noli me tangere" ist Schullektüre. Sein Biograf Ambeth Ocampo glaubt zu wissen, warum diese Faszination für Rizal bis heute anhält: "Rizal ist unser Nationalheld, weil er sich eine Nation vorstellte, bevor sie überhaupt existierte. Und genau diese Vorstellungskraft treibt uns an und macht uns zu dem, was wir heute sind." Dass das, was die Philippinen heute sind, auch bedeutet, sich mit der Vergangenheit immer wieder aufs Neue auseinandersetzen, belegen die beeindruckenden Bücher, die jetzt zu entdecken sind.