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Politik

"Babyn Jar ein einzigartiger Schreckensort"

29. September 2016

Babyn Jar steht für das schlimmste Massaker an Juden vor dem systematischen Massenmord in den NS-Lagern. Bundespräsident Gauck mahnt gemeinsames Erinnern an - und macht auch den Konflikt in der Ukraine zum Thema.

Ukraine Gedenken an Massaker von Babi Jar
Gedenkstätte für die Opfer des Massakers von Babyn Jar Bild: Reuters/V. Ogirenko

Bundespräsident Joachim Gauck hat die deutsche Verantwortung für die Gräuel der Nazis als Verpflichtung zum Einsatz für Menschenrechte und europäische Werte hervorgehoben. "In dem ich mich vor all den Opfern von einst verneige, stelle ich mich an die Seite all der Menschen, die heute Unrecht benennen, Verfolgten Beistand leisten und unverdrossen für die Rechte der Menschen eintreten, denen die Menschenrechte versagt werden", sagte Gauck in Kiew bei der Gedenkveranstaltung zum 75. Jahrestag des NS-Massenmordes von Babyn Jar, einer Schlucht auf dem Gebiet der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Auch der Vorsitzende des Jüdischen Weltkongresses, Robert Singer, und EU-Ratspräsident Donald Tusk nahmen an der Zeremonie teil. 

Am 29. und 30. September 1941, zehn Tage nach der Einnahme Kiews, erschossen deutsche Besatzungstruppen binnen 36 Stunden 33.771 Männer, Frauen und Kinder. Die meisten von ihnen waren Juden. Es war die größte Massenerschießung während des Eroberungs- und Vernichtungskrieges des NS-Regimes im Osten. Als Vorwand für die Mordaktion dienten Sprengstoffanschläge der Roten Armee im Kiewer Stadtzentrum wenige Tage zuvor. 

Die Überlebende von Babyn Jar

01:30

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Aufarbeitungsprozess noch nicht abgeschlossen

Der Bundespräsident sagte, er sei "immer wieder fassungslos und voller Trauer angesichts der monströsen Verbrechen anderer Deutscher in einer anderen Zeit". Gauck nannte die Schlucht von Babyn Jar einen einzigartigen Schreckensort, an dem sich "der verbrecherische Charakter des rasseideologischen Vernichtungskrieges" der Nazis im Osten Europas offenbare. "Die Verheerungen, die er in der Ukraine hinterließ, waren beispiellos."

Gauck bezeichnete den Prozess, sich der eigenen deutschen Schuld zu stellen und dem Versagen nicht auszuweichen, auch viele Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, als nicht abgeschlossen und generationenübergreifend. "Im Bewusstsein dessen wenden wir uns immer wieder Opfern zu, die hilflos dem Unrecht, der Not und Verfolgung ausgesetzt waren oder sind."

Bundespräsident Gauck (M.) und der ukrainische Präsident Poroschenko (r.) während der Gedenkzeremonie Bild: picture-alliance/dpa/W. Kumm

Gauck nennt Ukraine teil des Westens

Ohne die russische Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim direkt anzusprechen, bescheinigte Gauck der Ukraine in Anwesenheit von Präsident Petro Poroschenko, sie gehöre zum Westen. Das Land habe den Westen "daran erinnert, dass der Ukraine heute und auch in Zukunft ein Platz in der Familie der Völker zusteht, als souveräne Nation in einem Staat, dessen territoriale Integrität zu achten ist". Deutschland habe die "Ukrainer als streitbar erlebt - streitbar für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und damit als Teil unserer europäischen Wertegemeinschaft".

Der Bundespräsident hatte kurz vor seiner Rede gemeinsam mit Poroschenko und Tusk Kerzen an einem Denkmal für die Opfer von Babyn Jar aufgestellt. Kiews Stadtoberhaupt Vitali Klitschko hatte am Morgen gemeinsam mit Vertretern der Kiewer Stadtverwaltung und Stadtratsabgeordneten Blumen an mehreren Denkmälern für die Opfer niedergelegt. Am Ort der Massaker soll nun eine Gedenkstätte gebaut werden.

Angesicht der aktuellen Spannungen zwischen Russland, der Ukraine, Polen und anderen Staaten aus dem früheren sowjetischen Einflussbereich mahnte Gauck eine gemeinsame Erinnerungskultur an. "Unsere Verantwortung liegt darin, aus Zahlen im Tötungsplan des nationalsozialistischen Regimes wieder Menschen, Individuen zu machen." In dem Maße, in dem dies gelinge, werde auch ein dringend benötigtes gemeinsames Erinnern möglich sein, "weil die Geschichte, um die es geht, eine gemeinsame ist".

In Babyn Jar seien Juden, Ukrainer, Russen und Polen von Deutschen getötet worden, sagte der Bundespräsident. Jene, die heute verstehen wollten, wie es dazu habe kommen können, dass Väter und Großväter zu Mördern oder Opfern geworden seien, seien heute aufeinander angewiesen. "Antworten auf unsere Fragen weden wir nur gemeinsam finden", mahnte Gauck. Er plädiere nicht für ein Verwischen von Verantwortlichkeiten, sondern für eine grenzübergreifende, gemeinsame Forschung, die den Versuchungen des Nationalismus widerstehe.

chr/se (dw, epd, dpa, afp)

 

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