Gauck wartet ab
21. Juni 2012Bundespräsident Joachim Gauck tritt auf die Bremse. Wegen der zu erwartenden Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht will er das Gesetz zum Stabilitätspakt ESM und zum Fiskalpakt vorerst nicht unterzeichen. Das teilte das Bundespräsidialamt am Donnerstagabend mit. Gauck entspricht damit dem Wunsch der Verfassungsrichter in Karlsruhe. Das Gericht hatte zuvor erklärt, dass es das Staatsoberhaupt bitten würde, die Gesetze nicht direkt nach ihrer Verabschiedung durch Bundestag und Bundesrat am nächsten Freitag zu unterzeichnen. Die Verfassungsrichter benötigten Zeit, um die Klagen zu prüfen. Damit wird der ESM nicht wie geplant zum 1. Juli in Kraft treten können.
Herber Rückschlag für die Bundesregierung
Für die Bundesregierung ist dies ein herber Rückschlag. Denn nur wenige Stunden vor der Mitteilung aus dem Schloss Bellevue, dem Amtssitz des Bundespräsidenten, war es ihr gelungen, die beiden größten Oppositionsparteien SPD und Grüne auf ihren Kurs zu bringen. Drei Stunden lang hatten die Spitzen von Regierung und Opposition im Kanzleramt verhandelt. Dann stand fest: Die Mehrheit für ESM und Fiskalpakt steht. Nur die Linke will dem Gesetz nicht zustimmen. Sie befürchtet, dass mit den Gesetzen "der Sozialabbau in Marmor gemeißelt" werde, so die Parteivorsitzende Katja Kipping. Der Pakt enthalte so große Kürzungs- und Verarmungsprogramme, dass die Linke ihn im Bundestag ablehnen und vor dem Bundesverfassungsgericht klagen werde.
SPD und Grüne dagegen waren zufrieden über das Ergebnis der Verhandlungen. Sie konnten sich mit ihrer Forderung nach einer Finanztransaktionssteuer durchsetzen. Grünen-Parteichef Cem Özdemir erklärte, die Bundesregierung habe sich in zentralen Punkten auf die Opposition zu bewegt. Die reine Sparpolitik sei zu Ende. SPD-Parteichef Sigmar Gabriel sagte, man habe sich mit der Bundeskanzlerin auf ein Maßnahmenpaket für Wachstum und Beschäftigung in Europa geeinigt. Dafür müsse es eine nachhaltige Einnahmequelle geben und das sei die Besteuerung der Finanzmärkte. Wenn es dafür in der Euro-Zone keine Mehrheit geben werde, dann werde Deutschland darauf abzielen, die Steuer mit neun Mitgliedsländern in einer "Koalition der Willigen" durchzusetzen, so Gabriel.
SPD-Fraktionsführer Frank-Walter Steinmeier ergänzte, die zurückliegenden acht Wochen Verhandlung seien ein "hartes Stück Arbeit" gewesen. Insgesamt sei aber ein Ergebnis erzielt worden, bei dem er "mit einigem Selbstbewusstsein" vor seine Fraktion treten und Zustimmung signalisieren könne.
Kein Schuldentilgungsfonds
Die Grünen scheinen sich damit abgefunden zu haben, dass der von ihnen zuvor vehement geforderte Schuldentilgungsfonds vorerst keine Chance auf eine Umsetzung hat. Parteichef Özdemir erklärte allerdings, angesichts der sich zuspitzenden Krise in Europa gebe es nach wie vor Anlass zur Sorge, was die Zukunft des Euro angehe. Entwarnung könne nicht gegeben werden. "Es bleibt das Problem, dass wir dramatische Schulden haben, von denen die Staaten realistischerweise nicht einfach runterkommen werden."
Die Zinsraten von sechs bis sieben Prozent für spanische und italienische Staatsanleihen würden zeigen, dass die Staaten ihre Probleme mit einem Sparkurs alleine nicht lösen könnten. Die Bundesregierung habe keine Antwort darauf, wie sich die Euro-Staaten aus der erpresserischen Umklammerung der Finanzmärkte befreien könnten. "Die Bundesregierung sieht die Lösung ausschließlich beim Konsolidieren. Das reicht uns nicht", so Özdemir.
Zufriedenheit bei der Regierung
Die Regierungskoalition ist mit dem Verhandlungsergebnis offenbar ebenfalls zufrieden. Es seien schwierige Verhandlungen gewesen, sagte Unions-Fraktionschef Volker Kauder und fügte hinzu: "Ich lasse mich auf Triumphgeheul, wer hat sich gegen wen durchgesetzt, nicht ein." Die Gespräche seien von der Einsicht getragen worden, dass Deutschland als wirtschaftsstärkstes Land in Europa seinen Beitrag leisten müsse, um den Euro zu stabilisieren und die Krise zu überwinden. "Das ist eine wichtige Botschaft für Europa, ein Signal an die Märkte, dass wir in Europa handlungsfähig sind", so Kauder.
FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle erklärte, er sei froh, dass man mit der Absage an einen Schuldentilgungsfonds die Vergemeinschaftung der Schulden verhindert habe. "Da setzen wir ein deutliches Zeichen gegen die Begehrlichkeiten unserer Partner in Europa und der Euro-Zone: Der deutsche Staatshaushalt kann nicht die Probleme aller unserer Partnerländer lösen."
Bundesländer müssen noch zustimmen
Die Mehrheit im Bundestag ist also sicher. Nun müssen noch die Bundesländer zustimmen. Die Länder befürchten, dass durch den Fiskalpakt größere finanzielle Belastungen auf sie zukommen könnten und fordern einen finanziellen Ausgleich. Am kommenden Sonntag (24.06.2012) trifft sich die Bundeskanzlerin zu abschließenden Gesprächen mit den Ministerpräsidenten.
Am kommenden Freitag soll zunächst der Bundestag, und anschließend der Bundesrat über den Fiskalpakt und den ESM abstimmen. Unmittelbar danach, so haben sie es jedenfalls angekündigt, werden die Linkspartei und die ehemalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) beim Bundesverfassungsgericht gegen die Gesetze klagen.