Gaza-Aktivisten ausgeflogen
3. Juni 2010Nach dem israelischen Militäreinsatz gegen den Gaza-Hilfskonvoi sind in der Nacht zum Donnerstag (03.06.2010) fast 500 der noch festgehaltenen Aktivisten in die Türkei und nach Griechenland ausgeflogen worden. Türkische Flugzeuge brachten 466 der Freigelassenen - unter ihnen sechs Deutsche und vor allem Türken - nach Istanbul. Dort wurden sie von Tausenden Menschen erwartet und mit Beifall empfangen. Der stellvertretende Ministerpräsident Bülent Arinc begrüßte sie wie Helden. Sie hätten "Barbarei und Unterdrückung" erlebt und seien mit Stolz heimgekehrt, sagte Arinc.
An Bord waren auch die Leichen der neun bei dem Zwischenfall getöteten Männer. Auch in Athen trafen in der Nacht 35 freigelassene Gaza-Aktivisten ein.
Erdogan will Strafanzeige erstatten
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan kündigte an, dass gegen die Verantwortlichen des israelischen Angriffs auf die Gaza-Hilfsflotte Strafanzeige gestellt werde. "Wir werden das nicht auf sich beruhen lassen", sagte Erdogan. Er begrüßte, dass mit der starken internationalen Reaktion auf den Angriff auch das Leid der Palästinenser im Gazastreifen wieder in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt worden sei.
Die neun bei dem israelischen Angriff auf die Gaza-Hilfsflotte getöteten Männer wurden inzwischen identifiziert. Acht von ihnen stammen aus der Türkei, einer sei türkischstämmiger US-Bürger. Dies sei das Ergebnis von Untersuchungen in Istanbul, teilten die Behörden mit. Auf sie wurde offenbar bei dem Angriff geschossen. Bei rechtsmedizinischen Untersuchungen der Leichen in Istanbul seien Schussverletzungen gefunden worden, berichtete die türkische Nachrichtenagentur Anadolu. Auf eines der Opfer sei laut den Berichten der Gerichtsmediziner aus kurzer Distanz gefeuert worden. Weitere Erkenntnisse zu den Todesumständen erhofften sich die Experten von den ballistischen Untersuchungen, deren Ergebnisse in etwa einem Monat vorlägen.
Hilfsorganisation: Wir machen weiter
Die islamisch-türkische Hilfsorganisation IHH kündigte unterdessen neue Konvois gegen die israelische Seeblockade an. "Wir machen weiter, bis das Embargo aufgehoben ist", sagte IHH-Vorsitzender Bülent Yildrim nach seiner Abschiebung aus Israel in Istanbul. Seine Organisation wolle die ganze Welt an noch größeren Konvois beteiligen, die von Land und See aus geplant seien.
Israel: Keine internationale Untersuchung
Der israelische Außenminister Avigdor Lieberman hat sich gegen eine internationale Untersuchung der blutigen Stürmung der Gaza-"Solidaritätsflotte" ausgesprochen. "Wir sind erwachsen genug, um damit selbst klarzukommen", sagte der ultra-rechte Minister dem israelischen Rundfunk. "Wir brauchen hier keinen Vormund." Er sprach sich für eine interne Untersuchung der Vorfälle mit Hilfe angesehener israelischer Juristen aus. "Wir haben nichts zu verbergen, im Gegenteil."
US-Vizepräsident Joe Biden unterstrich das Recht Israels, die Gaza-Flotille auf mögliche Waffen und andere unerlaubte Güter zu überprüfen. "Israel hat das Recht zu wissen, ob Waffen eingeschmuggelt werden", sagte Biden in einem Fernsehinterview. Schließlich befinde sich Israel "im Krieg" mit der radikal-islamischen Palästinenser-Organisation Hamas. Führende US-Regierungsbeamte erklärten der "New York Times", dass die Regierung von Präsident Barack Obama die Seeblockade des Gaza-Streifens als "unhaltbar" betrachte. Zudem dränge Washington auf eine neue Politik, mit der mehr Güter in den verarmten Gazastreifen gelangen könnten.
Ban fordert Aufhebung der Gaza-Blockade
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat von Israel die sofortige Aufhebung der Blockade des Gazastreifens gefordert. Die seit langem andauernde Blockade sei kontraproduktiv und falsch. "Sie bestraft unschuldige Zivilisten. Sie muss von den israelischen Behörden sofort aufgehoben werden", erklärte Ban in New York.
Derweil fuhren von Ägypten aus weiter Lastwagen mit Hilfsgütern in den Gazastreifen. Nach Angaben von Beobachtern waren am Grenzübergang Rafah auf der Sinai-Halbinsel am Mittwoch insgesamt 25 Lastwagen abgefertigt worden. Präsident Husni Mubarak hatte den von ägyptischer Seite seit 2007 geschlossenen Grenzübergang am vergangenen Dienstag für Hilfslieferungen geöffnet, nachdem israelische Soldaten die "Solidaritätsflotte" angegriffen hatten.
Autorin: Annamaria Sigrist (dpa, afp, ap, rtr)
Redaktion: Gerd Winkelmann