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KonflikteIsrael

Gaza-Deal: Folgen für internationale Strafprozesse?

Cathrin Schaer
22. Oktober 2025

Im Gaza-Krieg herrscht eine - freilich fragile - Waffenruhe, eine Friedenslösung wird immerhin angestrebt. Internationale Gerichtsverfahren gegen Israel dürften aus unterschiedlichen Gründen dennoch weitergehen.

Palästinenser kehren in einer riesigen Menschenschlange nach dem Waffenstillstand nach Gaza-Stadt zurück
Nach Bekanntgabe des Waffenstillstands kehrten viele Palästinenser an ihre Wohnorte zurück Bild: Bashar Taleb/AFP/Getty Images

Könnte die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) künftig auch im Gazastreifen Verantwortung tragen? Über dieses Thema sprachder israelische Premierminister Benjamin Netanjahu bereits bei seinem Besuch im vergangenen Monat in Washington. Dass er die PA am liebsten aus allen politischen Zukunftsüberlegungen für Gaza ausschließen würde, ist bekannt, doch er steht diesbezüglich unter internationalem Druck. Also sagte er stattdessen, jegliche Rolle der Palästinenserbehörde setze eine "echte" Reform voraus. Dazu gehöre auch, "die Rechtsstreitigkeiten gegen Israel vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) und dem Internationalen Gerichtshof (IGH) zu beenden", so Netanjahu.

Bei beiden Instanzen sind Klagen gegen Israel anhängig. Sie richten sich teils direkt, teils indirekt gegen Netanjahu selbst, in seiner Eigenschaft als Regierungschef.

Beide Gerichte haben ihren Sitz in den Niederlanden. Der IStGH verfolgt Personen, die verdächtigt werden, Kriegsverbrechen begangen zu haben. Der IGH hingegen ist Anlaufstelle für Länder, die gegen andere Länder vorgehen, in der Regel wegen Vertrags- oder Konventionsbruchs. Israel erkennt beide Gerichtshöfe nicht an.

Ende 2023 wandte sich Südafrika an den IGH und warf Israel vor, gegen die Völkermordkonvention von 1948 verstoßen zu haben. Eine Entscheidung darüber wird frühestens Ende 2027 erwartet. Ein anderes Verfahren vor dem IGH ist anhängig: Nicaragua wirft Deutschland aufgrund seiner Unterstützung Israels Mittäterschaft am Völkermord vor.

Ende 2024 erließ der IStGH zudem Haftbefehle gegen Netanjahu und den ehemaligen israelischen Verteidigungsminister Yoav Gallant. Beiden werden Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Der IStGH erließ außerdem Haftbefehle gegen drei hochrangige Hamas-Führer, die jedoch nach deren Tod durch israelische Militäraktionen aufgehoben wurden.

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag. Hier wurde der Haftbefehl gegen den israelischen Premier Benjamin Netanjahu erlassenBild: Piroschka van de Wouw/REUTERS

Untersuchungen bereits seit 2021

Würde ein Ausstieg der Palästinensischen Autonomiebehörde aus dem IStGH-Verfahren dieses beenden? Schon vor Beginn des Krieges in Gaza hatte die PA den IStGH gebeten, die Lage im Gazastreifen zu untersuchen. Diese Ersuchen an den Gerichtshof werden als Unterbreitung bezeichnet. Die Palästinensische Autonomiebehörde hatte ihre Unterbreitung bereits 2018 beim IStGH eingereicht. Der IStGH untersucht die Situation seit 2021. Der Prozess befasst sich mit möglichen Verstößen bis zurück ins Jahr 2014. Vor dem Hamas-Angriff im Oktober 2023 konzentrierte er sich auf den israelischen Siedlungsausbau im Westjordanland.

Im November 2023 schlossen sich weitere Länder - darunter Südafrika, Bangladesch, Bolivien, Chile und Mexiko - dem IStGH-Verfahren an und erklärten, die Situation, über die die Palästinensische Autonomiebehörde das Gericht ursprünglich informiert hatte, müsse nun untersucht werden.

Darüber hinaus haben sich auch Menschenrechtsorganisationen dem IStGH-Verfahren angeschlossen. So hatte etwa der Journalistenverband Reporter ohne Grenzen bis Ende September 2025 fünf Beschwerden gegen Israel beim IStGH eingereicht. Darin hieß es, das israelische Militär greife gezielt palästinensische Journalisten an.

Reporter ohne Grenzen reichte fünf Beschwerden gegen Israel ein. Im Bild die im August 2025 bei einem israelischen Angriff getötete Journalistin Mariam DaggaBild: Jehad Alshrafi/AP Photo/picture alliance

Anfang des Monats erklärte zudem die italienische Premierministerin Giorgia Meloni gegenüber der Presse, ihr und anderen Ministern würden in einer weiteren Beschwerde beim IStGH von einer palästinensischen Interessengruppe "Mittäterschaft am Völkermord" vorgeworfen. Die Begründung: Italien habe Waffen an Israel geliefert.

Komplizierte Beweislage

Die kürzlich in Kraft getretene Waffenruhe werde die Art und Weise, in der vor dem IStGH oder dem IGH Verfahren geführt werden, aller Wahrscheinlichkeit nach nicht ändern, sagen Rechtsexperten der DW. Die Tatsache, dass Israel nun unter Bedingungen zugestimmt hat, die Bombardierung des Gazastreifens einzustellen, entkräfte frühere Vorwürfe nicht.

"Alle Verfahren, ob auf nationaler oder internationaler Ebene, bleiben von den aktuellen Entwicklungen unberührt", sagt Kai Ambos, Professor für Völkerstrafrecht an der Universität Göttingen, gegenüber der DW.

Und die von zahlreichen Staaten als Terrororganisation eingestufte Hamas? Der Friedens-Plan von US-Präsident Donald Trump sieht als Möglichkeit auch Amnestien für Hamas-Kämpfer vor, die ihre Waffen abgeben. Hierzu seien weitere Details erforderlich, so der Jurist. Aber grundsätzlich seien solche Amnestien "für nationale Justizsysteme wie das deutsche oder auch den IStGH nicht bindend", betonte der Jurist. Die Vereinbarung sei nur zwischen den beiden Konfliktparteien bindend. Demnach könnten theoretisch also auch Klagen gegen etwaig amnestierte Hamas-Kämpfer noch vor internationalen Gerichten landen.

Ähnlich sieht es Susan Akram, Leiterin des Internationalen Praxisprogramms für Menschenrechte an der juristischen Fakultät der Universität Boston. "Die Waffenruhe sollte keinen Unterschied für die Strafverfolgung oder die Rechenschaftspflicht für vergangene Verbrechen beider Seiten machen", urteilt die Juristin. "Die Beweislage dürfte allerdings kompliziert werden, da Beweise vermutlich unter den Trümmern in Gaza vernichtet und weil Tausende von Palästinensern, die Zeugen von Gräueltaten wurden - darunter Hunderte Journalisten - getötet wurden."

Allerdings seien bereits viele Beweise gesammelt worden, sagt Akram. Die UN-Untersuchungskommission für die besetzten palästinensischen Gebiete kam im September zu dem Schluss, dass Israel in Gaza einen Völkermord begehe. Israel weist dies zurück. Dennoch dürfte die Datenbank der Kommission von den Gerichten voraussichtlich ebenfalls genutzt werden.

"In verschiedenen Ländern laufen zudem weitere Verfahren", sagt Akram. Sie richten sich gegen europäische Regierungsvertreter, die der Mittäterschaft am Völkermord in Gaza angeklagt werden. Ebenso laufen Prozesse gegen eine Reihe israelischer Soldaten und Kommandeure, denen Verbrechen in Gaza vorgeworfen werden. Nichts davon wird durch die Waffenruhe berührt."

Verhandelt Klagen anderer Länder gegen Israel: der internationale GerichtshofBild: Nick Gammon/AFP/Getty Images

Auswirkungen auf deutsche Verfahren?

Das betrifft auch Fälle in Deutschland. In den nächsten Wochen wird eine Klage des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) gegen die deutsche Regierung vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt. Das ECCHR argumentiert, Deutschland dürfe keine Waffen oder Rüstungskomponenten nach Israel exportieren.

"Aus nicht-juristischer Sicht ist die Frage verständlich, ob die aktuelle Situation Auswirkungen auf den Fall haben könnte", erklärt Alexander Schwarz, Co-Direktor des Programms Völkerstrafrecht beim ECCHR. "Aber rechtlich gesehen ändert eine Waffenruhe - ganz gleich, wie lange sie anhält - nichts an der Rechtsgrundlage unserer Forderung."

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

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