Zwei Jahre Gaza-Krieg: Wie ist die deutsche Haltung?
7. Oktober 2025
Wenige Tage vor dem zweiten Jahrestag des brutalen Überfalls der islamistischen Terrororganisation Hamas auf israelische Dörfer und ein Musikfestival keimt in der deutschen Regierung so etwas wie Hoffnung auf. Der Friedensplan, den US-Präsident Donald Trump gemeinsam mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu ausgearbeitet hat, könnte das Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen stoppen und Freiheit für die verbliebenen Geiseln in der Gewalt der Hamas bringen, glaubt Bundeskanzler Friedrich Merz.
Deutschland kritisch an der Seite Israels
Die neue Koalitionsregierung aus Christdemokraten und Sozialdemokraten stellt sich – wie schon zuvor auch die abgelöste Regierung aus SPD, Liberalen und Grünen – fest an die Seite des Staates Israel. Mit Kritik an der Regierung Netanjahu wird aber seit einigen Monaten, seit Bilder von hungernden Kindern und riesigen Trümmerfeldern in Gaza die Runde machen, nicht mehr gespart.
Gegen Widerstand bei den eigenen Christdemokraten entschied der Bundeskanzler im August, dass die Lieferung von Waffen, die Israel direkt in Gaza verwenden könnte, teilweise ausgesetzt wird.
"Solidarität mit Israel bedeutet nicht, dass wir jede Entscheidung, die eine Regierung trifft, für gut halten und ihr dabei auch noch Unterstützung zukommen lassen – bis hin zu militärischer Unterstützung durch Waffen", sagte Friedrich Merz dem ARD-Fernsehen während seines Sommerurlaubs in München. Einen allgemeinen Lieferstopp, wie ihn Teile der Opposition und pro-palästinensische Gruppen fordern, lehnt Merz allerdings ab.
Kanzler Merz und sein Außenminister Johann Wadephul haben wiederholt die jüngsten Angriffe der israelischen Armee gegen Gaza-Stadt als "nicht nachvollziehbar" und "nicht zielführend" bezeichnet. Der Bundesaußenminister fordert außerdem den ungehinderten Zugang von Hilfsorganisationen nach Gaza und eine Versorgung der Bevölkerung dort.
Davor, die Zustände als "Völkermord" zu bezeichnen, schreckt die deutsche Regierung aber zurück. Das sei erst zu bewerten, wenn der Internationale Gerichtshof (IGH) zu einer Entscheidung komme, heißt es dazu von Diplomaten aus dem Auswärtigen Amt in Berlin. Vor dem UN-Gericht in Den Haag ist eine entsprechende Klage anhängig.
Die Anerkennung Palästinas als Staat sieht Berlin kritisch. Was viele Verbündete in der EU und NATO inzwischen vollzogen haben, lehnte der Bundesaußenminister in einem DW-Interview als "verfrüht" ab. "Ziel bleibt die Zwei-Staaten-Lösung", so Wadephul. Die könne aber nur am Ende eines Prozesses stehen.
Deutsche Grundsätze zu Israel bleiben unverändert
Seit den Angriffen der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 betonen die Regierung und fast alle Parteien das Existenzrecht Israels und sein Recht auf Selbstverteidigung. Das Wort von der deutschen Staatsräson, die den Schutz des jüdischen Staates einschließt – geprägt von der damaligen Kanzlerin Angela Merkel 2008 – gilt weiter.
Die besondere Verantwortung Deutschlands, die aus dem schrecklichen Verbrechen der Schoah erwächst, bleibe, so Bundeskanzler Merz: "Die Grundsätze der deutschen Israelpolitik sind unverändert, daran hat sich nichts verändert und daran wird sich nichts ändern."
Geändert hat sich allerdings das gesellschaftliche Klima. Jedes Wochenende wird irgendwo in Deutschland für palästinensische Belange, für die Menschen in Gaza, aber teilweise auch für ein Ende des Staates Israel protestiert.
Auf der anderen Seite gibt es pro-israelische Demonstrationen, bei denen an das Schicksal der Geiseln gemahnt wird, die sich auch nach zwei Jahren noch in der Gewalt der militanten Hamas befinden. Die Polizei spricht allein in Berlin von rund 700 Demonstrationen in zwei Jahren, wobei es ungefähr doppelt so viele pro-palästinensische wie pro-israelische gegeben haben soll.
Einige Parolen und Plakate der palästinensischen Aktivisten sind in Deutschland illegal. Die Polizei ermittele inzwischen in tausenden Fällen gegen Demonstrierende, so die Gewerkschaft der Polizei in Berlin. Viele der Verfahren würden aber am Ende eingestellt.
Der Antisemitismus in Deutschland wächst schneller
Stark angestiegen ist der Antisemitismus, also der Judenhass, in den letzten zwei Jahren. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt präsentierte im Juni die offiziellen Statistik antisemitischer Taten, die angezeigt wurden.
Sie haben im Jahr 2024 gegenüber 2023 um 21 Prozent zugenommen und einen absoluten Höchststand mit 6236 Taten erreicht. Zum ohnehin vorhandenen Antisemitismus von rechts sei zusätzlich noch linker und pro-palästinensischer Antisemitismus sichtbar hinzugekommen, kritisiert der Botschafter Israels in Deutschland, Ron Prosor, im Gespräch mit der DW.
"Ernste Probleme haben wir mit dem Antisemitismus von links – in der Kulturszene, bei Akademikern, in Universitäten, in Galerien, Theatern –, wo im Grunde Israel und Juden dämonisiert und delegitimiert werden", so Prosor.
Gegen Ausladung und Ausgrenzung von Juden setzte der Kulturstaatsminister Wolfram Weimer ein Zeichen. Er lud die Münchner Philharmoniker mit ihrem israelischen Dirigenten spontan nach Berlin ein, nachdem ihr Konzert im belgischen Gent vom Festivalveranstalter zuvor abgesagt worden war. Ebenfalls auf Initiative von Weimer nahm der Satiriker Jan Böhmermann einen als Israel-feindlich kritisierten Rapper aus seinem Programm.
Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, sagte der DW, natürlich hegten viele deutsche Juden Sympathien für den Staat Israel. Sie aber für die Politik der Regierung Netanjahu verantwortlich zu machen und sie zu dämonisieren, sei nicht hinnehmbar.
"Fakt ist, dass hier eine Regierung in Israel und das Handeln einer Regierung in Israel mit Juden in der ganzen Welt gleichgesetzt wird, was eben ganz klar falsch ist", meint Josef Schuster. Kritik an Netanjahu sei in einer Demokratie selbstverständlich, aber das Existenzrecht Israels sollte nicht angegriffen werden.
Genau das passiert aber auf einigen pro-palästinensischen Demonstrationen und in Schmierereien an Hauswänden. Da ist von "Zio-Nazis" und "Kindermördern" die Rede. Davidsterne, die wie Hakenkreuze der Nazis aussehen, finden sich an Mauern in Berlin.
Menschen aus Palästina: in Sorge um die alte Heimat
Gegen strafrechtliche Verfolgung und eine vermeintliche Einschränkung der Redefreiheit hat erst am vergangenen Wochenende ein breites Bündnis von Hilfsorganisationen wie Amnesty International, Care und Oxfam sowie palästinensischen Aktivisten und radikaleren Gruppen in Berlin demonstriert. Mit dabei war auch die im Bundestag vertretene Linkspartei, die Israel Völkermord und der Bundesregierung die Unterstützung der Regierung Netanjahu vorwirft.
Die Deutsch-palästinensische Gesellschaft weist in ihren Veröffentlichungen im Internet darauf hin, dass sich auch das Leben von Palästinenserinnen und Palästinensern in Deutschland nach dem 7. Oktober 2023 verändert hat. Viele haben Verwandte oder Freunde, die unter den katastrophalen Bedingungen im Gazastreifen leiden oder von israelischen Soldaten getötet wurden.
Mitglieder der Deutsch-palästinensischen Gesellschaft (DPG) haben zusammen mit kritischen Anwälten Strafanträge unter anderem gegen Bundeskanzler Merz wegen Beihilfe zum Völkermord gestellt.
"Ich bin kein Anhänger der Hamas", sagte Nazih Musharbash, Vorsitzender der DPG, in einem Interview im Deutschlandfunk.
"Ich hoffe, dass es in Palästina, in der Zivilbevölkerung genügend Menschen gibt, die Druck auf die Radikalen ausüben können, damit es zu einer Regelung kommt. Wir sind alle gegen den Krieg, gegen Gewalt. Wir wollen eine friedliche Regelung – in nachbarschaftlicher Beziehung, mit Respekt und gegenseitiger Anerkennung."