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KonflikteIsrael

Gazastreifen: Will Israel den Weg für den Trump-Plan ebnen?

7. April 2025

Luftangriffe, Bodentruppen, Evakuierungen und eine Blockade der humanitären Hilfe verschlimmern die Lage im Gazastreifen. Will Israel einen Exodus der Palästinenser provozieren, um Trumps "Riviera-Plan" zu ermöglichen?

Kinder vor einem Zelt im südlichen Gazastreifen
Vertriebene im südlichen Teil des Gazastreifens: Die humanitäre Situation ist angespannt Bild: Hatem Khaled/REUTERS

Israel will im Gazastreifen weiter vorrücken. Am vergangenen Mittwoch kündigte Israels Premierminister Benjamin Netanjahu an, dass die israelischen Streitkräfte einen neuen Sicherheitskorridor zwischen den Städten Rafah und Chan Junis im Süden des Gazastreifens schaffen würden: "Wir zerschneiden den Streifen und erhöhen den Druck Schritt für Schritt, damit sie uns unsere Geiseln ausliefern", sagte Netanjahu.

Am Donnerstag hatte die Hamas einen israelischen Vorschlag für einen neuen Waffenstillstand abgelehnt. Die palästinensische Islamistenmiliz - die Israel und zahlreiche andere Länder, darunter Deutschland, als Terrororganisation einstufen - bekräftigte, dass sie nur an einem dauerhaften Waffenstillstand interessiert sei. Als Bedingung für die Freilassung der verbliebenen 59 israelischen Geiseln fordert die Hamas, dass sich Israel aus dem Gazastreifen zurückzieht und weitere palästinensische Gefangene freikommen.

Israel blockiert humanitäre Hilfe 

Massiv betroffen vom neuerlichen Aufflammen der Kämpfe zwischen der israelischen Armee (IDF) und der Hamas ist einmal mehr die palästinensische Bevölkerung. Laut dem jüngsten Bericht des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) hat Israel durch Evakuierungsbefehle zwischen dem 18. und dem 23. März rund 142.000 Menschen in Gaza vertrieben, unter anderem aus der Stadt Rafah an der Grenze zu Ägypten. 

Nach Angaben des von der Hamas geführten Gesundheitsministerium in Gaza wurden seit dem 24. März mindestens 1249 Palästinenser getötet (Stand 6. April 2025). Laut Olga Cherevko, einer Sprecherin des UN-Büros zur Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA), sind aufgrund der israelischen Evakuierungsbefehle mehr als 60 Prozent des Gazastreifens No-Go-Zonen. 

Hinzu kommt, dass Israel seit einem Monat humanitäre Hilfe für den Gazastreifen blockiert. Die UN-Ernährungsorganisation FAO teilte unlängst mit, dass sie all ihre Bäckereien wegen fehlender Vorräte schließen musste.

Hunger und Tod sind an der Tagesordnung

Dagegen gibt die israelische Behörde für palästinensische Angelegenheiten (COGAT) in einer Erklärung an, während des Waffenstillstands zwischen Januar und März hätten mehr als 25.000 Lastwagen 450.000 Tonnen Hilfsgüter in den Gazastreifen geliefert. Das entspreche etwa einem Drittel dessen, was während des 15-monatigen Krieges an Hilfsgütern in den Gazastreifen gelangt sei.

Der palästinensische Familienvater Mohammed al-Kurd sagte der Nachrichtenagentur AP, dass er seine zwölf Kinder mittlerweile ohne Abendessen ins Bett schicken müsse: "Wir sagen ihnen, dass sie Geduld haben sollen, dass wir am Morgen Mehl kaufen würden. Wir belügen sie und uns selbst."

Viele palästinensische Zivilisten mussten aufgrund der israelischen Evakuierungsbefehle schon mehrmals fliehenBild: EYAD BABA/AFP/Getty Images

Israel begann den militärischen Angriff auf den Gazastreifen , als Reaktion auf den Terroranschlag vom 7. Oktober 2023. Damals töteten Kämpfer der Hamas und anderer militant-islamistischer Milizen rund 1150 Menschen und entführten 251 in den Gazastreifen. 59 der Geiseln sind bis heute in der Hand ihrer Entführer, nur 24 von ihnen sollen noch leben. Die meisten anderen ließ die Hamas im Austausch gegen palästinensische Gefangene frei. Einige wenige wurden von der IDF befreit, drei wurden irrtümlich von israelischen Soldaten erschossen.

Nach palästinensischen Angaben sind in dem Krieg bisher mehr als 50.000 Palästinenser - Zivilisten und Kämpfer - getötet worden. Unabhängig überprüfen lassen sich diese Zahlen zwar nicht, aber internationale Organisationen wie die UN halten die Größenordnung für glaubwürdig.

"Verlust der Hoffnung auf allen Seiten"

Unterdessen verschlechtere sich die humanitäre Lage der rund 2,3 Millionen Palästinenser in dem Küstenstreifen weiter, warnen internationale Hilfsorganisationen. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz teilte mit, dass die Wiederaufnahme der Feindseligkeiten und der Gewalt zu einem "Verlust der Hoffnung auf allen Seiten" führe.

"Man nimmt das Leben gar nicht mehr als solches wahr", sagte Ihab Suliman, ein ehemaliger Universitätsprofessor in Gaza der Nachrichtenagentur AP. "Leben und Tod sind für uns ein und dasselbe geworden." Suliman ist bereits acht Mal innerhalb des Gazastreifens vor den Kämpfen geflohen.

Blindgänger in zerstörten Gebäuden töten pro Tag zwei Menschen, die in den Trümmern nach Habseligkeiten suchen, schätzt der britische Minenräumexperte Nicholas OrrBild: OMAR AL-QATTAA/AFP/Getty Images

Nicholas Orr, ein ehemaliger Minenräumer des britischen Militärs, sagte der Nachrichtenagentur AFP, dass allein Blindgänger, also nicht explodierte Munition, etwa zwei Menschen pro Tag töteten. Betroffen seien hauptsächlich Kinder, die Trümmer von zerbombten Gebäuden durchsuchen. "Du hebst etwas auf und es explodiert. Das war es dann mit dir, deiner Familie und dem, was von dem Gebäude noch übrig war", so Orr.

Ein Artilleriegeschoss kostete den 15-jährigen Ahmed Azzam aus Rafah ein Bein: "Wir durchsuchten die Überreste unseres Hauses", sagte Azzam der Nachrichtenagentur AFP. "Ich wusste nicht, was es war, aber plötzlich explodierte es." Er habe schwere Wunden an beiden Beinen davongetragen, eines musste amputiert werden. 

Netanjahu spricht sich für Trumps Umsiedlungsplan aus

"Es gibt keine explizite Erklärung [aus Israel], aber es ist eine vernünftige Annahme, dass die humanitäre Hilfe blockiert wird, um die Menschen zur Flucht zu zwingen", sagte Nathan Brown, Professor für Politikwissenschaft und Internationale Angelegenheiten an der George Washington University in der US-Hauptstadt, im Gespräch mit der DW.

"Wenn man das Gebiet bombardiert, die Bevölkerung im Gazastreifen zwingt, von einem Ort zum anderen zu ziehen, und dann die humanitäre Hilfe abschneidet, dann wirkt das, was Israel einen freiwilligen Fortzug aus Gaza nennt, viel weniger freiwillig", führte er aus.

Auf der Social-Media-Plattform X sprach sich Israels Ministerpräsident Netanjahu erstmals öffentlich für den Vorschlag von US-Präsident Donald Trump aus, die Palästinenser aus dem Gazastreifen umzusiedeln: "Wir werden für die allgemeine Sicherheit im Gazastreifen sorgen und die Umsetzung des Trump-Plans zur freiwilligen Migration ermöglichen."

Bereitet der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu im Gazastreifen den Weg für Donald Trumps "Riviera-Pläne", die eine Umsiedlung von Palästinensern in andere Länder vorsehen?Bild: Ilia Yefimovich/dpa/picture alliance

Im Februar hatte Trump angekündigt, dass die USA Gaza "in Besitz nehmen" und in die "Riviera des Nahen Ostens" verwandeln würden, also in eine mondänen Küstenregion. Die arabischen Nachbarn, vor allem Ägypten und Jordanien, forderte Trump auf, die palästinensische Bevölkerung aufzunehmen. Der Vorschlag wurde weithin abgelehnt, und die UN warnt, dass dies als ethnische Säuberung angesehen werden würde. 

"Was wir von der israelischen politischen Führungsriege und sogar in den militärischen Plänen sehr deutlich sehen, ist, dass sie tatsächlich den Grundstein dafür legen und mit der Entvölkerung von Gaza beginnen wollen", sagte Amjad Iraqi von der International Crisis Group, einer globalen Organisation zur Konfliktprävention, der DW. 

Vieles, sagt Iraqi spreche dafür, "dass es Israel im Wesentlichen um die kollektive Bestrafung der palästinensischen Bevölkerung geht - in Gaza wie auch im Westjordanland".

Konstantin Eggert in Jerusalem hat zu diesem Artikel beigetragen.

Jennifer Holleis Redakteurin und Analystin mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika.