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Gazprom verliert sein Monopol in Südosteuropa

8. Januar 2021

Drei Ereignisse zum Jahreswechsel werden sich langfristig auf das Geschäft von Gazprom in Südosteuropa auswirken - mit Folgen für den gesamten EU-Markt. Wer sind die Gewinner, wer die Verlierer?

Bau der Transadriatischen Pipeline TAP
Bild: TAP AG

Zum Jahreswechsel gab es auf dem Gasmarkt in Südeuropa gleich drei bedeutende Ereignisse mit zum Teil weitreichenden Folgen. Am 1. Januar gab der serbische Präsident Aleksandar Vucic feierlich das Startsignal: Sein Land wird nun mit russischem Gas über eine neue Route beliefert - durch Bulgarien über die Pipeline Balkan Stream, einem Ableger der Pipeline Turkish Stream.

Nur wenige Stunden zuvor, noch vor Neujahr, wurden nach Bulgarien Gaslieferungen aus Aserbaidschan über die erst vor wenigen Wochen fertiggestellte Transadriatische Pipeline (TAP) aufgenommen. Der bulgarische Premierminister Bojko Borissow betonte ebenfalls am Neujahrstag bei einem Besuch einer Kompressorstation an der griechischen Grenze: "Ab heute herrscht völlige Diversifizierung!" Faktisch verkündete er damit das Ende des Monopols von Gazprom auf dem bulgarischen Markt.

Müssen ihre Strategie überarbeiten: Hauptquartier von Gazprom in MoskauBild: picture-alliance/dpa/EPA/Maltsev

Das dritte Ereignis zu Neujahr war die kommerzielle Inbetriebnahme eines neuen schwimmenden Terminals für Flüssiggas (LNG) vor der kroatischen Insel Krk. Ein Tanker brachte amerikanisches LNG, es wurde modifiziert und in das Leitungsnetz des Landes, das wiederum mit dem europäischen Netz verbunden ist, gepumpt. Somit diversifiziert Kroatien - bisher fast ausschließlich von Gazprom versorgt - seine Lieferanten. Zudem kann das Land nun auch als Exporteur von Gas beispielsweise nach Ungarn und in die Ukraine agieren.

Folgen für die russischen Gaslieferungen nach Europa

Die größten Abnehmer von russischem Gas auf dem Balkan im Jahr 2019 waren laut Gazprom Kroatien (2,82 Milliarden Kubikmeter), Griechenland (2,41 Milliarden) und Bulgarien (2,39 Milliarden). Serbien lag mit 2,13 Milliarden Kubikmeter Erdgas in der Region an vierter Stelle.

Die Kapazität des jetzt in Betrieb genommenen kroatischen LNG-Terminals beträgt 2,6 Milliarden Kubikmeter pro Jahr. Theoretisch könnte Kroatien nun über Nacht die Zusammenarbeit mit Gazprom nahezu beenden, was aber unwahrscheinlich ist. Wahrscheinlich ist jedoch, dass die in Russland bestellte Gasmenge erheblich sinken wird.

Somit wird Gazprom künftig einem ernsthaften Wettbewerb in Kroatien ausgesetzt sein, was die Preise drücken wird, und zwar nicht nur auf dem kroatischen Markt selbst. Denn ein erheblicher, wenn nicht der größte Teil des Gases vom LNG-Terminal vor Krk wird wohl in den Export gehen. Hauptabnehmer wird vermutlich Ungarn sein, aber auch die Ukraine könnte ein potenzieller Kunde werden.

Das LNG-Terminal vor der kroatischen Insel Krk wurde 2018 fertiggestelltBild: DW/D. Romac

Nur eine Zwischenetappe auf dem Weg zum eigentlichen Ziel

Für Gazprom ist Ungarn ein sehr wichtiger Absatzmarkt. Im Jahr 2019 wurden dorthin 11,26 Milliarden Kubikmeter Gas verkauft. Nach Ungarn und von dort nach Österreich, wo sich der für den russischen Export wichtige Gashub Baumgarten befindet, soll der überwiegende Teil des Gases fließen, das Russland über den zweiten Strang der Pipeline Turkish Stream mit einer Kapazität von 15,75 Milliarden Kubikmetern nach Europa pumpen will.

Bulgarien und Serbien sind zu kleine Märkte für ein derart großes Projekt, ganz zu schweigen von Nordmazedonien (0,3 Milliarden Kubikmeter im Jahr 2019) und Bosnien und Herzegowina (0,24 Milliarden Kubikmeter). Die im letzten Jahr von der türkischen Grenze über bulgarisches Territorium verlegte Pipeline Balkan Stream und der nun erfolgte Anschluss Serbiens sind für Gazprom daher nur eine Zwischenetappe auf dem Weg zum eigentlichen Ziel: der Verlängerung der Pipeline nach Ungarn, was höchstwahrscheinlich erst im Jahr 2022 passieren wird.

Bis dahin wird Gazprom den ungarischen Markt nach wie vor per Transit durch die Ukraine versorgen, nur dass es in Ungarn jetzt Konkurrenz aus Kroatien geben wird. Laut Croatiaweek ist das LNG-Terminal bei Krk für die nächsten drei Jahre schon ausgebucht, bis 2027 zu 80 Prozent und bis 2035 zu etwa 50 Prozent. Das Terminal ist also ein langfristiger und gefragter Wettbewerber, trotz der Tatsache, dass regasifiziertes Flüssiggas in der Regel teurer ist als Pipeline-Gas.

Der Südliche Gaskorridor ist jetzt voll funktionsfähig

Während die Aufnahme des kommerziellen Betriebs des LNG-Terminals bei Krk für Gazprom den Verlust seiner Monopolstellung in Kroatien und mehr Wettbewerb in Ungarn bedeutet, verliert der russische Konzern durch den Start des sogenannten Südlichen Gaskorridors auch in Bulgarien seine Monopolstellung und wird einem verstärkten Wettbewerb in Griechenland und Italien ausgesetzt sein. Die Konkurrenz ist aber in diesem Fall kein Flüssiggas beispielsweise aus Katar, Algerien oder den USA, sondern günstigeres Pipeline-Gas aus Aserbaidschan.

Der Südliche Gaskorridor ist ein System aus zwei Pipelines: TANAP und TAP. Die Trans-Anatolian Natural Gas Pipeline (TANAP) wurde 2018 in Betrieb genommen und pumpt Gas aus Aserbaidschan über Georgien und die Türkei nach Griechenland, wo Anschluss an die nun in Betrieb genommene Trans Adriatic Pipeline (TAP) besteht. Durch sie fließt das Gas weiter nach Albanien und schließlich über den Grund der Adria bis nach Italien.

Die TAP hat eine Kapazität von zehn Milliarden Kubikmeter pro Jahr, davon sind acht Milliarden für Italien bestimmt, den Hauptabnehmer aserbaidschanischen Erdgases in der EU. Für Gazprom ist Italien nach Deutschland der zweitwichtigste Markt in der EU. 2019 lieferte das Unternehmen dorthin 22,1 Milliarden Kubikmeter Gas. Theoretisch könnte nach Inbetriebnahme der TAP die Nachfrage nach Gas aus Russland um etwa ein Drittel sinken.

Die Präsidenten Aserbaidschans und der Türkei, Alijew und Erdogan, haben die TANAP und den Südlichen Gaskorridor initiiertBild: picture-alliance/AA/A. Dumanli

Noch größere Verluste drohen Gazprom auf dem Balkan. Schon im Jahr 2021 soll jeweils eine Milliarde Kubikmeter aserbaidschanischen Erdgases über die TAP nach Griechenland und Bulgarien fließen. Wenn man bedenkt, dass beide Länder 2019 bei Gazprom rund 2,4 Milliarden Kubikmeter gekauft haben, könnten die russischen Lieferungen in diese beiden Märkte um etwa 40 bis 45 Prozent sinken, und bei geringem Verbrauch, beispielsweise aufgrund eines warmen Winters oder längerer Lockdowns, sogar um die Hälfte.

Für Serbien ergeben sich nun finanzielle Vorteile

Vor dem Hintergrund derart grundlegender Verschiebungen auf dem südosteuropäischen Gasmarkt erscheint der Anschluss Serbiens an die Pipeline Balkan Stream lediglich als eine Änderung der Route der russischen Gaslieferungen auf diesen relativ kleinen Markt. Früher bezog Serbien das Gas über die Ukraine und Ungarn. Nun, ein Jahr nach der offiziellen Inbetriebnahme von Turkish Stream, wird das russische Gas über den Grund des Schwarzen Meeres, dann durch die Türkei und Bulgarien auch nach Serbien fließen.

Das Land wird von der geänderten Route und Transitgebühren klar profitieren, da sich laut der russischen Nachrichtenagentur Interfax der Preis für russisches Gas von 240 auf 155 US-Dollar pro tausend Kubikmeter verringert, was die Wettbewerbsfähigkeit des russischen Gases steigert. Gleichzeitig hat Gazprom aber die ihm vom Kreml aufgetragene strategische Aufgabe, den Gastransit durch die Ukraine vollständig zu beenden, immer noch nicht gelöst.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk

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