Land gegen Frieden: Was Menschen im Donbass davon halten
2. September 2025
Ein Motorrad braust an reifen Sonnenblumen vorbei und biegt in ein Feld ab, dabei wirbelt es viel Staub auf. Auf dem Motorrad sitzt Oleksij, Offizier eines Bataillons der 14. Brigade der Nationalgarde der Ukraine. Seine Einheit kämpft in der Nähe von Pokrowsk. Die russische Armee versucht, die Stadt einzukesseln, täglich gibt es dort Dutzende Angriffe. Das Motorrad stammt von der Front. Die Russen waren damit zu ukrainischen Stellungen vorgestoßen, doch Oleksij und drei weitere seiner Kameraden wehrten den Angriff ab und konnten es dabei erbeuten.
Zurzeit ruht sich Oleksij nach 27 Tagen Einsatz aus. Um ihre Stellungen verlassen zu können, musste seine Gruppe günstige Wetterbedingungen abwarten. Doch auf ihrem Weg mussten die Männer mit ihrem Fahrzeug trotzdem vor einer russischen Drohne fliehen.
"Ich habe die Hoffnung aufgegeben"
US-Präsident Donald Trump versucht, einen Frieden zwischen der Ukraine und Russland zu erreichen. Dabei wird über das künftige Schicksal des Donbass und mögliche Gebietsabtretungen im Tausch für einen Waffenstillstand debattiert. Die russische Armee ist vor einigen Wochen nordöstlich von Pokrowsk in der Donezk Oblast vorgestoßen. Damit nähert sich die Front der Stadt Dobropillja und den umliegenden Dörfern. Auch wenn das ukrainische Militär einige Ortschaften wieder befreien konnte, steht das Gebiet nun doch unter Dauerbeschuss. Daher fliehen immer mehr Menschen aus der Region vor den russischen Bomben und Drohnen.
"Ich habe wirklich an die Verhandlungen geglaubt und auf jeden Termin sehnlichst gewartet. Jetzt weiß ich, dass das sinnlos ist. Ich habe die Hoffnung aufgegeben", sagt Natalia aus Dobropillja. Wir treffen sie in einem Ort in der Region Donezk, wo sich Geflüchtete sammeln. "Es ist nicht richtig, den Krieg zu stoppen und uns dabei Gebiete wegzunehmen. Alles wird ruiniert. Eine Gewissheit, dass sie zurückerobert werden, gibt es ja nicht", fügt die Frau hinzu, deren Sohn nach einer Verwundung aus der Armee ausgemustert wurde.
"Verantwortung übernehmen"
Am Stabilisierungspunkt am Frontabschnitt Kramatorsk ist es ruhig. Stabilisierungspunkte nahe der Front nutzt die ukrainische Armee, um verwundete Soldaten medizinisch zu stabilisieren, bevor sie in Krankenhäuser verlegt werden. Die Ruhe hier bedeutet nicht, dass es auch an der Front ruhig ist. Vielmehr ist es ein Anzeichen dafür, dass es wegen russischer Drohnenangriffe im Moment schwierig ist, Verwundete zu transportieren, erläutern die Sanitäter. Manchmal bekommen sie Soldaten, die ein oder zwei Monate in Stellungen lagen. "Meist sind sie einfach erschöpft", sagt die Anästhesistin Tetjana.
Doch mitten in der Nacht trifft ein Verwundeter ein, der seinen Fuß verloren hat. Die Ärzte, die gerade noch gedöst haben, kümmern sich um ihn am Operationstisch. "Er ist auf eine Mine gelaufen", erklärt der Assistenzarzt Dmytro und betont: "Man sieht, dass beide Beine schon einmal operiert wurden. Das heißt, dass dies nicht seine erste Verwundung ist." Dmytro sagt, im Stabilisierungspunkt sei von Trumps Friedensbemühungen nichts zu spüren. Der Frontabschnitt Kramatorsk, wo er dient, liegt keine 20 Kilometer von seiner Heimatstadt Slowjansk entfernt. Vor Kriegsbeginn im Jahr 2014 arbeitete er in Donezk. Auf die Frage, was es für ihn heißt, für seine Heimat zu kämpfen, sagt er: "Verantwortung übernehmen."
Die Militärärzte beobachten die Verhandlungsbemühungen, versuchen aber, "sich nicht von Ereignissen ablenken zu lassen, die sie nicht beeinflussen können". "Ich hoffe das Beste", sagt Tetjana und betont: "Ich konzentriere mich auf die Hilfeleistung."
"Wir versuchen, unsere Soldaten zu retten"
"Wie Verhandlungen laufen, ist Sache der obersten Staatsführung. Unsere Aufgabe ist es, den Feind aufzuhalten, und wir erfüllen sie", sagt ein Soldat mit dem Rufnamen "Stinger", der als Funker bei der Verteidigung der Stadt Tschassiw Jar im Einsatz ist. Nach Angaben des ukrainischen Generalstabs gibt es am Frontabschnitt Kramatorsk, zu dem auch die Umgebung von Tschassiw Jar gehört, täglich etwa ein Dutzend Angriffe.
Vor einer Woche verließ "Stinger" die Stellungen, in denen er 15 Tage lang stationiert war. In dieser Zeit stürmten die Russen die Stellungen mehrmals. "Bislang führen wir keine Angriffe oder Befreiungsoperationen durch. Wir verteidigen uns lediglich und halten den Feind auf. Egal ob Autobahn, Stadt oder Feld - unsere Aufgabe ist es, ihn daran zu hindern, auch nur 100 Meter weiterzukommen", so der Soldat.
Manchmal gelingt es dem russischen Militär aber, zu den Stellungen von "Stingers" Kompanie vorzudringen. Seiner Meinung nach liegt dies an der großen Menge von Soldaten und Waffen, die die Russen einsetzen. "Wenn eine kritische Situation eintritt, versuchen wir, unsere Soldaten zu retten und sie auf die hinteren Stellungen zurückzuziehen, um eine vorteilhaftere Position einzunehmen", erläutert "Stinger".
"Von Friedensgesprächen keine Rede"
Wie an der Front verstärkt die russische Armee auch den Beschuss des ukrainischen Hinterlands. Am 22. August flogen mehr als 40 Lenkbomben Richtung Kramatorsk - die größte Stadt in dem Teil der Region Donezk, der unter ukrainischer Kontrolle ist. Drei Menschen wurden verletzt. Ende Juli wurde durch russischen Beschuss die Hälfte eines fünfstöckigen Wohnhauses im Stadtzentrum zerstört. Sechs Menschen starben, elf wurden verletzt.
"Es war halb drei, ich war gerade nach Hause gekommen. Alle Fenster flogen heraus. Meine Tochter wurde verletzt, Splitter trafen ihr Bein", erinnert sich die Rentnerin Walentyna, die im Nachbarhaus wohnt. Sie glaubt nicht, dass der Krieg durch Friedensgespräche beendet wird. Just als die Gespräche zwischen Wladimir Putin und Trump in Alaska am 15. August begonnen hätten, habe der Kremlchef Slowjansk beschießen lassen. "Dort lebt meine andere Tochter. Von Friedensgesprächen kann doch keine Rede sein", sagt Walentyna empört.
Die Einwohner von Kramatorsk, mit denen die DW gesprochen hat, lehnen meist territoriale Zugeständnisse im Tausch für einen Waffenstillstand ab. "Heute wird er sagen: Gebt mir die Region Donezk. Morgen wird er sagen: Gebt mir die Region Lwiw. Und in einer Woche wird er sagen: Gebt mir Kyjiw", sagt der Rentner Oleh über Putin.
"Kommt gar nicht in Frage, ich bin Ukrainerin und liebe den Donbass. Es wurde schon so viel Blut vergossen und so viele Menschen sind umgekommen. Auch mein Sohn ist im Kampfeinsatz", sagt die Rentnerin Soja auf die Frage zu Gebietsabtretungen.
"Das ist eine sehr ernste Entscheidung"
"Was ist der Ukraine wichtiger, die Region oder die Menschen?", fragt Wassyl, ein Mann mittleren Alters und fügt hinzu: "Wozu brauchen wir diese Region, wenn so viele Menschen umgekommen sind? Waren Sie an der Kontaktlinie? Ich komme von dort und habe alles verloren. In einer anderen Region werden wir unser Leben neu aufbauen." Gemeinsam mit seiner Frau verließ er sein Dorf im Bezirk Kostjantyniwka, wo die russische Armee vorrückt. "Putin kann man nicht trauen. Ich weiß nicht, was die Welt tun soll, um das zu stoppen. Wolodymyr Selenskyj hat es sehr schwer, das ist eine sehr ernste Entscheidung", sagt der Mann.
Die Menschen vor Ort zögern, wenn sie gefragt werden, welche Garantien die Ukraine vor einer erneuten russischen Aggression schützen können. "Unsere Sicherheitsgarantie ist unsere militärische Präsenz im ganzen Land", sagt Rentner Mykola. Switlana, eine Frau mittleren Alters, glaubt nicht an irgendwelche Garantien. "Weil ich im Laufe des Kriegs keine wahre Unterstützung gesehen habe", sagt sie enttäuscht.
Auch der junge Soldat Jaroslaw, der für die Befreiung seiner Heimatregion kämpft, verfolgt die Friedensbemühungen und ist gegen territoriale Zugeständnisse: "Ich habe viel darüber nachgedacht. Aber ich bin nicht bereit, Kramatorsk und die Region Donezk aufzugeben. Wofür haben so viele Männer im Donbass ihr Leben gelassen?" Gleichzeitig räumt Jaroslaw ein, dass Friedensgespräche unvermeidlich sind. Er sagt: "Jeder Krieg endet mit Verhandlungen. Wer seine Geschichte nicht kennt, ist dazu verdammt, dass sie sich wiederholt."
Adaption aus dem Ukrainischen: Markian Ostaptschuk